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Bildperspektive ermitteln: Fluchtlinien

Die vorrangige Aufgabe beim Komponieren digitaler Montagen ist es, die Perspektive aus dem vorgegebenen Bildraum abzuleiten.

Herkömmliche Lehrbücher zur Perspektivkonstruktion müssen bei einem leeren Blatt Papier anfangen, auf dem das Geru?st fu?r eine ku?nftige Szene entstehen soll. Wir haben es besser, unsere Bilder sind bereits vorhanden. Unsere Ausgangssituation ist also eine ganz andere als beim Malen oder Zeichnen eines Bildes. Wir beginnen nicht mit dem leeren Blatt (oder Monitor), sondern mit einem bereits vorhandenen Foto. Unsere vorrangige Aufgabe ist es daher nicht, Perspektive frei zu konstruieren, sondern sie aus dem vorgegebenen Bildraum abzuleiten.

Ebenen vorbereiten
Bevor Sie damit beginnen, Hilfslinien einzuzeichnen, machen Sie es sich möglichst zur Gewohnheit, dafu?r eine neue Ebene, gegebenenfalls sogar mehrere, anzulegen. In der Begeisterung der Bildbearbeitung vergisst man diese Vorbereitung mitunter und steht am Ende mit einem unbrauchbaren Bild voller Konstruktionslinien da und muss wieder von vorn beginnen. Dieser Hinweis erübrigt sich, wenn Sie die Linien nicht mit der Option „Pixel fu?llen“ anlegen, sondern als Formebenen, was der besseren Nachbearbeitung wegen ohnehin zu empfehlen ist.
Tipp: Wenn es Ihnen trotzdem einmal passiert ist, dass Sie die Linien im Bild selbst gezeichnet haben, so wählen Sie notfalls „Alles“ aus und kopieren es, kehren in der Protokollpalette zum Anfangszustand zuru?ck und setzen den Inhalt der Zwischenablage ein.

Fluchtlinien
Wählen Sie mit der U-Taste (gegebenenfalls plus Umschalttaste) das Linienzeichner-Werkzeug oder aktivieren Sie das Tool direkt aus der Werkzeugpalette. In der Optionenleiste (oben) vergewissern Sie sich, dass das linke Symbol für „Formebene“ aktiviert ist und dass die Linie nicht mit einer Pfeilspitze ausgestattet wird (unter dem blauen Pfeilsymbol in der Mitte). Legen Sie Linienstärke und Farbe fest. Suchen Sie markante Kanten im Bild, an denen ausgerichtet Sie Linien ziehen. Am einfachsten ist diese Konstruktion, wenn waagerechte Objektkanten parallel zu waagerechten Bildkanten verlaufen – in diesem Fall sind das etwa die schwarzen Kachelreihen auf dem Boden oder die der Kamera zugewandten Vorderseiten der quaderförmigen Sockel. Bei gedru?ckter Leertaste lassen sich die Linien beim Aufziehen verlagern.

Die beiden – roten – Konstruktionslinien schneiden sich in einem Punkt. Sofern die so nachgezogenen Gebäudekanten in der Realität exakt parallel zueinander verlaufen und auch alle anderen Elemente entsprechend ausgerichtet sind, reichen diese beiden Linien, die als Fluchtlinien bezeichnet werden, bereits aus, um fu?r eine solche Szene die Bildperspektive eindeutig zu ermitteln. Alle anderen Fluchtlinien – hier gelb eingezeichnet – bestätigen sie durch ihr Zusammenlaufen in diesem Schnittpunkt nur noch. Diese Form der Perspektive, bei der frontale Flächen parallel zur Bildebene liegen und jene Kanten, die sich in die Bildtiefe erstrecken, in einem Punkt konvergieren, heißt Zentralperspektive. Eine andere Bezeichnung ist Einpunktperspektive; der Schnittpunkt der Fluchtlinien muss nicht in der Bildmitte liegen.

Fluchtlinien, Fluchtpunkt und Horizont
Der Punkt, an dem sich die Fluchtlinien kreuzen, heißt Fluchtpunkt (hier rot umkreist). Ziehen Sie durch diesen Punkt eine waagerechte Linie: Das ist der Horizont. Wäre hinter dem Fenster am Ende der Passage eine weite Wu?stenebene oder das Meer, wäre zu erkennen, dass der wirkliche Horizont genau mit dieser Linie zusammenfällt (sofern die Kamera bei der Aufnahme gerade gehalten wurde). Man kann also zwischen Fluchtlinien unterscheiden, die sich dem Fluchtpunkt oder dem Horizont von unten, und solchen, die sich ihm von oben nähern. Der Horizont befindet sich immer auf der Augenhöhe des Betrachters beziehungsweise der Kamera. Das gilt ohne Ausnahme; nicht nur dann, wenn Sie auf einer Leiter stehen oder auf dem Boden liegen, sondern auch, wenn Sie in einem Flugzeug sitzen oder in einem tiefen Schacht.

Die Konstruktionsbedingungen der Zentral- oder Einpunktperspektive gelten nicht nur unter idealen Bedingungen wie bei der Einkaufspassage aus Autun (links), sondern auch dann, wenn Gebäude- oder sonstige Kanten gegeneinander versetzt sind (so lange sie parallel zueinander verlaufen). Bu?rgersteig und Häuser links (gelbe Fluchtlinien) haben denselben Fluchtpunkt wie die Gebäude rechts, die ebenfalls in unterschiedlichem Abstand zur Straße stehen (rot), oder die Zebrastreifen u?ber die zum Petersplatz ausgerichtete Via della Conzilazione (blau); selbst die Laternen auf den beiden Obelisken rechts ordnen sich dieser Ausrichtung unter.
Anmerkung: Damit Sie schon einmal sehen, wozu diese Konstruktionen praktisch dienen: Das weiße Rechteck in der Bildmitte wurde perspektivisch passend in Photoshop hinzugefu?gt.

Dieser Intensivkurs aus dem Band „Perspektive“ ist einer von vielen hundert, die Sie auf der DVD-Edition der Photoshop-Enzyklopädie finden.
Weitere Auszüge aus der Enzyklopädie finden Sie hier.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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