Technik

Vollformat oder Crop

Kameras mit Kleinbildsensor und solche mit kleineren Sensoren haben jeweils ihre Vor- und Nachteile. Beide Formate lassen sich auch sinnvoll kombinieren.

Die Auswahl an Vollformatkameras ist größer denn je. 2012 sind fast so viele neue Modelle vorgestellt worden wie zusammengenommen in den drei Jahren zuvor. Hersteller bieten inzwischen die „großen“ Sensoren sogar auch im Kamerasegment unterhalb der Profiklasse an. Nie war die Versuchung für Besitzer sogenannter Crop-Kameras, also Kameras mit etwa halb so großen Aufnahmesensoren, so groß, umzusteigen – und damit vermeintlich aufzusteigen. Doch auch die Auflösung und Bildqualität von aktuellen Crop-Kameras sind höher denn je. Für wen lohnt sich also der Umstieg tatsächlich?
Zunächst muss man vielleicht mit ein paar Legenden aufräumen. Vollformat heißt nicht so, weil die Sensoren die maximal machbare, ideale Größe besitzen. Es gibt noch wesentlich größere Sensoren für die sogenannten Mittelformatkameras, was die sprachliche Verwirrung komplett macht. Die Begriffe entstammen der Zeit, als noch rein auf chemische Filme fotografiert wurde. Als das am weitesten verbreitete Format hatte sich 24 × 36 mm auf einem sogenannten Kleinbildfilm durchgesetzt. Weil in der Fotowelt nahezu sämtliches Zubehör auf diese magische Größe ausgerichtet war, hießen nach der digitalen Revolution sehr bald Sensoren in dieser Größe Vollformat-Sensoren. Sie decken das gewohnte Aufnahmeformat eben voll ab.
Verwendet man kleinere Sensoren in einem für Vollformat ausgelegten optischen System, wird an den Rändern etwas vom Motiv abgeschnitten (englisch: to crop). Das wirkt dann so, als hätte man eine längere Brennweite verwendet. Für diese scheinbare Brennweitenverlängerung kann man einen sogenannten Crop-Faktor angeben. Benutzt man einen Sensor mit einem Crop-Faktor von 1,6, so erhält man mit einem Objektiv von 100 mm Brennweite einen Bildausschnitt, den ein Vollformat-Sensor mit der 1,6-fachen Brennweite erzielt hätte, also bei 160 mm. In der Praxis spielt die Rechnerei inzwischen eine untergeordnete Rolle. Die Hersteller haben in den gängigen Bereichen entsprechend kürzerbrennweitige Objektive eigens für die Crop-Kameras entwickelt. Damit ist selbst der Weitwinkelbereich sehr gut abgedeckt.
Was der kurze Exkurs zeigen sollte, ist, dass es keine in Stein gemeißelte Idealgröße für Sensoren gibt. Das Vollformat ist einfach an das gebräuchliche Format der analogen Fotografie angelehnt, und damit im Prinzip ebenso willkürlich oder zumindest vor dem Hintergrund anderer technischer Konventionen gewählt wie die Fülle von kleineren Sensoren mit Crop-Faktoren von 1,3, 1,5, 1,6 oder 2. Keines dieser Systeme ist in der Praxis grundsätzlich besser oder schlechter. Mit keinem macht man automatisch brillantere Bilder. Sie haben aber verschiedene Stärken und Schwächen, die es zu kennen gilt. Ob man sie in der Praxis bemerkt, hängt vom Einsatzzweck und vielen anderen Faktoren ab. Alle aktuellen Sensoren sind zumindest so gut, dass die Bildergebnisse in Standardsituationen auf einem ähnlich hohen Niveau liegen.
Warum also dann überhaupt große Sensoren in Kameras packen, die damit meist spürbar mehr kosten als solche mit kleineren Sensoren? Fotografen geben meist drei Hauptargumente pro Vollformat an. Zunächst die bessere Bildqualität bei extrem schlechtem Licht. Hier spielt das Vollformat tatsächlich seine Stärke aus. Je dichter Pixel auf einem Chip gepackt sind, desto eher neigt dieser zum Rauschen, das Bild wirkt flau und körnig. Auf großen Sensoren haben gleich viele Pixel mehr Platz, das Rauschverhalten ist besser. In der Praxis spielt dies aber nur bei Aufnahmen eine Rolle, die unter schlechten Lichtbedingungen bei hohen ISO-Einstellungen aufgenommen werden.
Der zweiten Begründung liegt ein gestalterischer Gedanke zugrunde. Es geht um das Spiel mit geringen Schärfentiefenbereichen. Die Zusammenhänge zwischen Blendeneinstellung, Brennweite und Sensorformat sind komplex, aber im Endeffekt ist es so, dass Vollformatkameras knappere Schärfentiefenbereiche haben. Es ist mit ihnen leichter, zum Beispiel nur auf ein Auge eines Menschen die exakte Schärfe zu legen. Auch in diese Situation werden die allermeisten Fotografen nicht alltäglich kommen, und Besitzer von Crop-Kameras kompensieren diesen Effekt durch den Einsatz noch lichtstärkerer Objektive mit entsprechend größeren Anfangsblenden.
Das dritte Argument lässt sich gar nicht mehr mit Messdaten unterlegen. Es geht um das Gefühl für Brennweite und Bildwinkel, das langjährige Fotografen entwickelt haben. Sie wissen, was sie mit einem 85-mm-Teleobjektiv erreichen und möchten den Crop-Effekt vermeiden. Im Idealfall nutzen sie ihre alten Objektive weiter, vor allem Weitwinkelobjektive, die durch den Crop-Faktor zu mittleren Standardbrennweiten würden. Auch manch anderes älteres Zubehör bleibt an Vollformatkameras voll nutzbar. Als Beispiel seien nur Diaduplikatoren genannt, mit denen man Kopien von Dias anfertigte. An Digitalkameras eignen diese sich zum raschen Scannen der alten Schätze.
Das alles erkaufen sich Vollformatfotografen zunächst einmal durch einen bereits angesprochenen höheren Preis. Und zwar doppelt. Nicht nur die Gehäuse sind kostspieliger, auch die Objektivauswahl ist tendenziell teurer, wenn man auf erstklassige Linsen zurückgreift, die über das große Format bis in die heiklen Ecken eine brillante Abbildungsleistung zeigen. Gehäuse und Objektive sind zudem in der Regel massiger und schwerer als die meisten Crop-Kameras – auch, wenn in jüngster Zeit erste kompaktere Gehäuse auf den Markt gekommen sind. Und zumindest einige der Vollformatkameras haben eine Seriengeschwindigkeit, die unter denen vergleichbarer Modelle mit kleinerem Klappspiegel, kleinerem Verschluss und oft auch weniger großen Bilddateien liegt.
Für viele Profis, insbesondere im Studiobereich liegen die Vorteile des Vollformats auf der Hand und die Mehrkosten spielen im Arbeitseinsatz eine geringere Rolle. Vor allem ambitionierte Amateure schwanken aber zwischen den Sensorformaten. Crop-Kameras sind bei den Spiegelreflexmodellen mit Abstand am weitesten verbreitet. Die kompakteren Gehäuse und Objektive lasten weniger schwer auf der Schulter und nehmen weniger Platz in der Fototasche weg. Sie nutzen kleinere Bildkreise und sind daher gnädig zu älteren Vollformatobjektiven, weil sie die schlechtere Abbildungsleistung am Rand einfach ausblenden. Reizvoll ist zudem für Sport- und Tierfotografen der „Zuschlag“ im Telebereich. Aus dem 300er-Tele wird bei einem Crop-Faktor von 1,6 fast ein 500er-Tele bei unveränderter hoher Lichtstärke.
Aus der Unentschlossenheit machen manche Fotografen eine Tugend. Sie verwenden bewusst Vollformat- und Crop-Kameras parallel. Zum Beispiel, um mit einem Objektiv verschiedene scheinbare Brennweiten zu erzielen. Oder für unterschiedliche Themengebiete. Die Vollformatkamera für Landschaft und Studio, die Crop-Kamera für Sport und Tierwelt. Oder einfach aus Komfortgründen: Für den bewussten Fototrip kommt die Vollformatkamera mit einem Komplettset Festbrennweitenobjektiven in die Tasche, aber in den Urlaub fährt ein leichteres Gehäuse samt Universalzoom mit.
Großartige Bilder kann man mit jeder Spiegelreflexkamera machen, die auf dem Markt ist – schlechte allerdings auch. Das wichtigste Werkzeug bleibt nämlich das Auge des Fotografen. Eine Situation vom besten Standpunkt zu erfassen, das passende Licht abzupassen und den richtigen Moment zu finden – das schafft kein noch so großer Sensor der Welt.
Quelle: prohoto-online

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Johannes Wilwerding

Johannes Wilwerding hat bereits Mitte der Achziger Jahre und damit vor dem Siegeszug von Photoshop & Co. Erfahrungen in der Digitalisierung von Fotos und in der elektronischen Bildverarbeitung gesammelt. Seit 2001 ist er freiberuflicher Mediengestalter und seit 2005 tätig für das DOCMA-Magazin.

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