Technik

Peinliche Mogelpackung: Rollei Powerflex 10x Retro

Rollei Powerflex 10x Retro

Der Name „Rollei“ stand einst für fotografische Perfektion. Rollei war ein Synonym deutscher Ingenieurskunst, das in einem Atemzug mit Leica und Zeiss genannt wurde. Ich vermute, man muss nicht – wie ich – im Braunschweiger Land, wo Rollei sein Werk hatte, aufgewachsen sein, um das so wahrzunehmen. Heute ist Rollei nur noch einen Hülle, die von wechselnden Inhabern als Etikett für importierte Massenware verwendet wird. Die Rollei Powerflex 10x Retro ist das jüngste Beispiel für diesen betrüblichen Niedergang – ein Produkt, das den historischen Namen trägt, aber in jeder Hinsicht dessen Erbe verrät.

Technische Irreführung statt Ingenieurskunst

Die vielleicht dreisteste Irreführung findet sich in der Bewerbung einer „variablen Auflösung von 8 bis 64 Megapixeln“. Die ernüchternde Wahrheit: Die Kamera besitzt einen bescheidenen 8-Megapixel-Sensor (Sony IMX415), dessen Auflösung durch simple mathematische Interpolation künstlich aufgeblasen wird. Diese Technik erzeugt keine neuen Bildinformationen, sondern bläht lediglich die Dateigröße auf und täuscht einen Detailreichtum vor, der schlichtweg nicht existiert.
Diese Praxis ist nicht nur technisch fragwürdig, sondern auch ethisch bedenklich. Sie steht in krassem Gegensatz zu den Werten, für die Rollei einst stand: Ehrlichkeit, Präzision und kompromisslose Qualität.

Smartphone-Sensor in Kamera-Verkleidung

Der verwendete Sensor entspricht in Größe und Spezifikationen dem, was in Einsteiger-Smartphones verbaut wird – eine technische Realität, die in der nostalgisch verklärten Marketingkommunikation konsequent verschwiegen wird. Die unausweichlichen Konsequenzen dieser Sensorgröße sind – wenn sie nicht von den KI-Tricks heutiger Smartphones korrigiert werden:

  • Stark limitierte Dynamikbreite
  • Erhebliches Bildrauschen bereits bei ISO-Werten über 400
  • Unzureichende Detailauflösung
  • Deutlich sichtbare Qualitätsverluste bei weniger als optimalen Lichtbedingungen

Die physikalischen Grenzen eines solchen Sensors lassen sich durch kein noch so geschicktes Marketing überwinden. Was wir hier sehen, ist im Kern ein Smartphone-Sensor, der hinter einer nostalgischen Fassade verborgen wird.

Die 4K-Farce

Besonders dreist ist die Bewerbung der angeblichen „4K-Videofunktion„. Die Kamera zeichnet zwar nicht mal nominell, also interpoliert, mit einer Auflösung von 3840 x 2160 Pixeln auf. Im Datenblatt steht: „4K (2880 x 2160) mit 24 fps“. Auch die Bitrate liegt mit unter 30 fps weit unter dem erforderlichen Niveau für echte 4K-Qualität. Das Ergebnis ist ein Etikettenschwindel: Die Aufnahmen erreichen nicht mal formal die Pixelzahl von 4K, entbehren also der tatsächlichen Detailwiedergabe und Bildqualität, die für diesen Standard charakteristisch sind. Die Beschränkung auf 24 Bilder pro Sekunde ohne alternative Frameraten verdeutlicht zudem die technischen Limitierungen der verwendeten Hardware.

Verarbeitung: Form ohne Substanz

Wo einst Metallgehäuse, Präzisionsmechanik und handgefertigte Komponenten den Ruf von Rollei begründeten, finden wir heute Kunststoff in Metallanmutung. Die äußere Form imitiert klassische Designelemente, ohne deren haptische Qualität und strukturelle Integrität zu bieten.

Preispolitik: Unangemessene Positionierung

Trotz des Einführungspreises von 199 Euro (UVP 269,99 Euro) positioniert sich die Powerflex 10x Retro weit über ihrem technischen Wert. Für diese Summe erwirbt der Käufer im Wesentlichen:

  • Einen 8-Megapixel-Sensor in Smartphone-Qualität
  • Ein (immerhin) mittelmäßiges Zoomobjektiv
  • Ein Kunststoffgehäuse im Retro-Look
  • Den einst prestigeträchtigen Namen „Rollei“

Der tatsächliche technische Gegenwert liegt deutlich unter dem verlangten Preis. Die Differenz ist als Nostalgie-Aufschlag zu verstehen – eine Gebühr für die Illusion, ein Stück fotografischer Geschichte zu besitzen.

Das Urteil: Ein Verrat am Erbe

Die Rollei Powerflex 10x Retro ist mehr als nur eine mittelmäßige Kamera – sie ist ein Sinnbild für den Missbrauch eines historischen Namens. Wo einst Innovation, Präzision und kompromisslose Qualität standen, finden wir heute irreführendes Marketing, technische Mittelmäßigkeit und gezieltes Ausnutzen nostalgischer Gefühle. Dieses Produkt ist nicht nur eine Enttäuschung für einen potenziellen Kunden, sondern auch eine Beleidigung des historischen Erbes von Rollei. Die Kamera steht exemplarisch für eine bedauernswerte Praxis in der Konsumgüterindustrie: Das Ausschlachten einst prestigeträchtiger Markennamen für minderwertige Produkte.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

Kommentar

  1. Interpolierte Sensorauflösungen, um das Datenblatt aufzuhübschen – ich glaube, das habe ich zuletzt vor 20 Jahren gesehen, und es war schon damals fragwürdig. Heutzutage ist es nur noch peinlich. „64 MP Fotos: Maximale Detailtiefe für hochauflösende Bilder“ – ich fasse es nicht.

    Dass die Kamera trotz des vorgetäuschten Prismenbuckels keine Spiegelreflexkamera ist – geschenkt, das würde eh niemand glauben. Aber wenn man sie umdreht, findet man nicht einmal einen elektronischen Sucher.

    Dabei sind manche Zubehörprodukte, die diese Firma unter dem Markennamen „Rollei“ vertreibt, gar nicht so übel und ihren Preis durchaus wert, aber mit solchen Märchen-Specs macht man sich keine Freunde und hält man keine Kunden. Bauernfang ist es auch, vermeintlich zahlreiche, sehr positive Bewertungen auf der Produktseite aufzuführen (24.836 von knapp 30.000 Kunden gaben fünf von fünf Sternen) – und nur im Kleingedruckten darauf hinzuweisen, dass es zu dieser Kamera noch gar keine Bewertungen gibt und die genannten Bewertungen anderen Produkten gelten.

    Übrigens: Sensoren für Smartphones haben ja schon bis zu 200 echte Megapixel (Samsungs ISOCELL HP2). Die Sensorpixel sind dann zwar klitzeklein (0,6 µm) und bei nicht ganz so gutem Licht müssen jeweils 16 Sensorpixel zu einem Bildpixel verrechnet werden, womit nur noch 12,5 Megapixel übrig bleiben. Weil jeweils 4 × 4 Sensorpixel für dieselbe Farbe empfindlich sind, ist die effektive Auflösung auch im 200-MP-Modus nicht so hoch, wie man sie von einem konventionellen 200-MP-Sensor mit Bayer-Filtermuster erwarten würde, aber immerhin: Es sind echte 200 Millionen Pixel. Mit realen 8 Megapixeln würden heutzutage auch ernstzunehmende Smartphone-Hersteller nicht mehr um die Ecke kommen.

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