Warum uns unkonventionelle Bilder berühren
Viele Bilder entstehen oft aus ähnlichen Perspektiven – eine einzigartige, persönliche Botschaft besitzen sie nicht. Die Neugier des Betrachters wecken dagegen erst Konventionsbrüche. Dabei wird mitunter schockiert oder provoziert – im besten Fall zieht das Bild den Betrachter durch eine unausgewogene Komposition in seinen Bann.
„Wer die Regeln brechen will, muss zunächst nach den Regeln spielen“. Was im ersten Moment widersprüchlich klingen mag, macht durchaus Sinn. Denn ein eleganter Regelbruch kann nur dann gelingen, wenn man auch weiß, womit genau gebrochen werden soll.
In den Visual Trends im Juli 2017 erkundet Adobe Stock, wie Künstler mit Blickwinkel, Balance und Perspektive umgehen – dabei geht es allerdings nicht darum herauszufinden, wie man es „richtig“ macht. Vielmehr wollen sie zeigen, wie Künstler bewusst die Regeln der Bildkomposition brechen, um uns Betrachter zu schockieren und zu erschüttern. Ob gesellschaftlicher Wandel, politischer Umbruch oder Umweltbedrohungen – es geht um die Künstler, die die Betrachter ihrer Bilder aus dem Gleichgewicht werfen und mit knallharten Fakten konfrontieren.
Unkonventionelle Bilder: Experten-Tipps
Wollt ihr Regeln brechen, dann gebt richtig Gas
Es mag unlogisch klingen, aber wer Regeln erfolgreich brechen will, muss sich an bestimmte Regeln halten, erklärt Morgan David de Lossy, Fotograf, Regisseur und leitender Produktentwickler bei Adobe. Man kann nicht einfach loslegen und die bestehende Ordnung durcheinanderbringen – um Regeln auseinandernehmen zu können, muss man sie zunächst einmal kennen: „Lernt von den Klassikern bis ihr die Grundlagen beherrscht. Erst dann kann man als Fotograf auch gezielt unausgewogene Kompositionen angehen.“
Hat man einmal die grundlegenden Gestaltungstechniken im Griff, zum Beispiel den goldenen Schnitt, kann man die Regeln auf den Kopf stellen – dann aber bitte voll und ganz! „Traut euch was“, rät Morgan. „Fährt man lediglich ein wenig neben der Spur, wirkt es wie ein Versehen. Ein eleganter Regelbruch ruft Bilder im Geist des Betrachters auf, die dieser nicht gewohnt ist, und genau das wird eure Arbeit aus der Masse hervortreten lassen.
Allerdings gibt es da auch ein Gleichgewicht innerhalb des Ungleichgewichts“, fügt Morgan an. Zur Erklärung nutzt er eine Metapher: „Im Film sagen die Figuren nie, was sie tun. Sie sagen nicht ‚Ich bin wütend‘, während sie Wut darstellen – das wäre zu flach. Sagt aber eine Figur ‚Mir geht’s gut‘, verhält sich dabei jedoch, als wäre sie wütend, ist das Interesse des Zuschauers geweckt. Sein Verstand fragt sich, was wohl als Nächstes passiert. Fotografie und Film ähneln sich. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, das Augenmerk zu lenken, aber jedes Element – Figuren, Komposition, Licht, Kleidung – muss seinen Teil zum Gesamtbild beitragen.“
Wenn die Natur aus dem Gleichgewicht gerät, probiere sämtliche Blickwinkel
Die Fotografin und Adobe-Stock-Mitwirkende Shannon Benson, die sich sehr für den Erhalt der Umwelt einsetzt, ist eine Meisterin der Naturfotografie – mit schönen, aber auch aufwühlenden Bildern. Sie vereint traditionelle Elemente der Komposition mit Blickwinkeln, die zum Nachdenken anregen und den Betrachter zweimal hinsehen lassen. „Wichtig ist, dass man dem jeweiligen Motiv gerecht wird, indem man diverse Kompositionen ausprobiert“, erläutert Shannon. „Bewegt euch umher, um dem Betrachter am Ende eine einzigartige Perspektive zu bieten und seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Das Wichtigste jedoch ist, dass ihr eine klare Botschaft habt, die ihr vermitteln wollt, und euch selbst fragt, ob ihr das mit diesem Bild tatsächlich erreichen könnt.“
Wagt euch an aufwühlende Motive
Wer sich an unausgewogenen Kompositionen versuchen will, kann sich von provokativen Kunstwerken Inspiration holen – vielleicht gibt es ja ganz in der Nähe eine Galerie mit aufwühlenden Bildern. Eine Ausstellung zum Werk des Malers Otto Dix in der Tate-Galerie in Liverpool beleuchtet derzeit die „roh realistischen“ Porträts von Deutschland in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Wie auch Morgan rät, beunruhigt Dix’ Kunst durch kreative Spannung – wir sind schockiert, in gewisser Weise aber auch erfreut. In einer Kritik zu der Ausstellung hebt die Zeitung The Guardian die Komplexität und Mehrdeutigkeit in Dix’ anspruchsvollem Werk hervor und beschreibt dieses als „zynisch und vorsätzlich anstößig“, aber nicht als durchweg negativ. „Seine Kunst legt uns die Frage nah, was Dekadenz bedeutet, drückt doch das skandalöse erotische Chaos in seiner Darstellung einen gewissen Glauben an Fortschritt und Befreiung der Gesellschaft aus.“
Unkonventionelle Bilder: Noch mehr unausgewogene Kompositionen zum Nachdenken findet ihr in einer speziellen Galerie zu dem Thema bei Adobe Stock. Dort haben wir Bilder zusammengetragen, die vertraute Dinge in verblüffender Weise darstellen, von kubistischen Portraits über einen Schuh in einem Fuß bis zu einem verstörenden Moment während einer Demonstration: eine Frau in farbenfrohen Klamotten, wie sie vor einer Polizeiabsperrung aus dunkel gekleideten Beamten steht.
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