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Interview mit Fatimah Hossaini

Interview mit Fatimah Hossaini

Fatimah Hossaini benötigt Sekundenbruchteile, um stolze Afghaninnen abzulichten. Doch porträtiert sie in diesem Augenblick eine Geschichte, die sich in ihrem Fall über drei Generationen erstreckt. Im Interview, das wir beim La Gacilly-Baden führen konnten, erzählt sie, welche Möglichkeiten ihr die Fotografie außerdem eröffnet.

DOCMA: Das Festival La Gacilly-Baden Photo trägt den Titel „Orient““ Allerdings ist diese Region von der Türkei bis Afghanistan eher eine westliche Fiktion. Sehen Sie Ihre Fotos als einen Teil einer solchen Fiktion?

Hossaini: Selbstverständlich gehören sie zum Orient als einem Teil von Asien, der mit allen andern Ländern verbunden ist. Als afghanische Frau etwa, die diese Bilder geschossen hat, sind sie natürlich mit meiner Perspektive verbunden. Maryam Firuzis Bilder wiederum zeigen alle Herausforderungen, denen sie sich in ihrem Leben als iranische Frau stellt. Sie bewältigt ihr alltägliches Leben und zugleich ist sie in einem Kriegsgebiet. Nicht in einem wie Afghanistan, aber in einem Konflikt mit der konservativen Gesellschaft. Nimmt man eine Inderin, die dies ebenfalls durchgemacht hat, sind ihre Sichtweise wiederum miteinander verbunden und insofern „orientalisch“.

Interview mit Fatimah Hossaini

DOCMA: Mich wiederum bringen die Fotos dazu, meinen okzidentalen Blickwinkel zu verlassen, den mir in der Kindheit Karl-May-Bücher und heute Elendsbilder aus den Nachrichten vermitteln. Gerade wegen des Unterschieds stellen sie mir Fragen.

Hossaini: Genau, das erlebe ich immer wieder. Jüngst sprach mich eine Frau an, die niemals erwartet hätte, solche Aufnahmen afghanischer Frauen zu sehen, und dass sie so wunderschön sein können. So erscheinen sie nicht auf den Titelblättern des Magazins „Life“ oder des „National Geographic“.
Internationale und feministische Journalistinnen, also solche mit Einfluss auf die Medien, fuhren nach Afghanistan. Was sie fotografisch abdeckten, war immer dessen dunkle Seite, die Burka-Seite. Wie ein Teil dieser Gesellschaft Frauen einschränkt. Ich ignoriere das nicht, es ein Teil dieses Landes.
Aber dann gibt es noch ein anderes Leben dieser Frauen. Wenn man in die Geschichte schaut, dann waren sie frei, sie konnten schön sein.

Interview mit Fatimah Hossaini

DOCMA: Was immer wieder der Fall war: Etwa ab 1933, in den 1960ern, wie die Fotos in La Gacilly Baden Photo von Paul Almasy bekräftigen, und auch vor 2021.

Auch Sie hatten verschiedene Leben. Meist wird von Ihnen als Geflüchtete berichtet, die es 2021 knapp aus dem Flughafen in Kabul schaffte. Dabei arbeiteten sie in der gesamten Region als Journalistin, unterrichteten in Kabul Fotografie, und manches mehr. Wie etwa sah Ihre Arbeit an der dortigen Universität aus?

Hossaini: Bevor ich Ihre Fragen beantworte, ist mir etwas anderes wichtig. Meine Ausstellung, die ich für Baden zusammengestellt habe, ist gewissermaßen eine der Antworten darauf.
Seit meiner Geburt klebt ein Etikett an mir, das des Flüchtlings. Selbst als Künstlerin, als jemand, der ein eigenes Leben hat, trage ich dieses Etikett. Alles – ob ich nur wahrgenommen, beurteilt oder sogar gehasst werde – wird durch dieses Label beeinflusst.
Tatsächlich bin ich aber im Iran geboren und niemals von einem anderen Land eingewandert. Trotzdem wurde ich nie eingebürgert, sondern immer als afghanische Geflüchtete betrachtet.

Interview mit Fatimah Hossaini

DOCMA: Sie besitzen keinen iranischen Pass?

Hossaini: Nein, denn man muss iranisches Blut haben, um ihn zu bekommen. In Afghanistan wiederum gelte ich als jemand aus Teheran und gehöre zudem einer Minderheit an, den Hazara. Ihnen war ich nicht afghanisch genug. Und so musste ich damals wie meine Großeltern aus Kabul fliehen, in meinem Fall nach Paris. Dort bin ich die Künstlerin im Exil, der afghanische Flüchtling.
Nach all den Verwerfungen ist nun seit 2021 mein Status der, dass ich nirgends hingehöre. Als Asylsuchende wurde mein Pass eingezogen, und jetzt bin ich weder iranisch noch afghanisch oder französisch. Ich sitze zwischen Grenzen fest.

Interview mit Fatimah Hossaini

DOCMA: Warum kehrten Sie vor fünf Jahren nach Kabul zurück?

Hossaini: Es war verrückt und risikoreich, als ich 2018 erstmals nach Kabul reiste. Ich überzeugte meine Eltern, und wechselte zwischen Teheran, wo ich an der Universität fotografieren gelernt hatte und Kabul, um es an der dortigen Universität zu unterrichten.
Die Ansprüche dort sind äußerst unterschiedlich, daher nahm ich viele Bücher mit. Zwei Semester lang veranstaltete ich Workshops und gründete die Organisation „Mastooraat“, die sich für Frauen in der Kunst einsetzt. Der Name kommt von der ersten Schule, die Königin Soraya Tarzi (Anmerkung der Redaktion: von 1919 bis 1929 Königin von Afghanistan) für Frauen in ihrem Land eingerichtet hatte.
Ähnlich wie sie wollte ich die Studentinnen bestärken, sich an Kunst in jedem Aspekt ihres Lebens zu freuen. Denn in einem Kriegsgebiet wie Afghanistan wird beides – Kunst und Frauen – massiv unterschätzt.

DOCMA: Wie viele Teilnehmerinnen hatten Ihre Klassen?

Hossaini: Grundsätzlich war es die einzige Universität des Landes, die eine Fakultät für Kunst und damit Fotografie hatte. Erfreulicherweise war der weibliche Anteil höher als der männliche. Sie interessierten sich stark für das Fach, obwohl ihnen ihre Familien und die ganze Gesellschaft idiotische Beschränkungen auferlegten. Ich musste ihnen erst einmal aufzeigen, wie es ist, mit einer Kamera auf der Straße unterwegs zu sein. Es war zwar eine ziemliche Herausforderung, aber auch schön zu sehen, wie sie ihren Weg machten.

DOCMA: Waren Ihre Aktivitäten auf die Hauptstadt und Metropolen wie Herat beschränkt?

Hossaini: Nein, ich reiste viel umher. Das war oft merkwürdig. Ich erinnere mich, als ich die Hazara-Region von Bamiyan besuchte, dort war die Atmosphäre viel liberaler. Ich sah sogar Frauen ohne Schleier, und sie vertrauten mir so sehr, dass sie mir erlaubten, sie abzulichten.
Im Westen des Landes wiederum musste ich eine Burka tragen, um mich abzusichern. Es war zudem sicherer, Englisch zu sprechen und meinen Begleiter übersetzen zu lassen. So merkten sie nicht, dass ich eigentlich Afghanin und zudem eine Hazara bin, was mir erlaubte, Paschtunen zu porträtieren.

DOCMA: Es war also einfacher, als Ausländerin zu gelten?

Hossaini: Ja, angesichts der Feindseligkeiten zwischen den verschiedenen Ethnien schützte es mich.

DOCMA: Das Foto einer jungen Frau mit Elektrogitarre dürften manche als skandalös empfunden haben, während mich der Punkrock-Gestus begeistert. Wie entstand es?

Hossaini: Es handelt sich um meine Schwester, die Musikerin ist. Sie stand inmitten einer stark bevölkerten Straße Kabuls. Es gibt ja die irren Regeln, die Frauen sogar ihre Stimme verbieten. Die Situation war ziemlich schwierig, da immer wieder Leute fragten, was ich hier eigentlich mache. Die vielen Blicke und Fragen störten zwar, aber letztlich bekamen wir das Bild. Allerdings passierten auch nette Sachen. Ein Mann mit einem Vogel kam zu mir, und wollte ihn für ein Foto singen lassen.
Irgendwie verstand ich die Leute auch. Es war ein wunderschöner Vogelmarkt, aber außer uns waren keine Frauen unterwegs. Natürlich waren sie neugierig.

DOCMA: Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie Motive wie dieses aus?

Hossaini: So wie in dieser Aufnahme versuche ich immer Zeichen hineinzubringen, die auf mich verweisen. Denn ich sehe mich selbst in den Porträtierten mit all den Widersprüchen. Das kann ein Mädchen mit Elektrogitarre sein oder ein Stoffgeschäft für Frauen, in dem nur Männer zu sehen sind, die für ihre Gattinnen einkaufen. Diese Fotos ermöglichen mir, über mich selbst zu reflektieren.

DOCMA: Andererseits bringen Ihre Aufnahmen die Betrachter hier in Baden dazu, über Ihre Ansichten nachzudenken. Was denken Sie, wenn sie Österreicherinnen sehen, die an einem friedlichen Sommertag durch Ihre Ausstellung flanieren.

Hossaini: Ich war ich froh, ebenfalls Teil einer solchen Freiheit gewesen zu sein. Ich erinnere mich daran, wie frei wir Frauen waren, als wir gemeinsam durch Kabul gingen. Doch als die Taliban kamen, verließen viele Frauen das Land. Andere, die blieben, können keine Schule und noch nicht einmal einen Schönheitssalon besuchen. Es bricht mir das Herz, dass all dies nicht mehr existiert.

DOCMA: Es dürfte umso schlimmer sein, da der Unterschied so extrem ist.

Hossaini: Ich wünschte, ich wäre mehr in Afghanistan herumgereist, als es noch möglich war. Ich wünschte, ich hätte mehr Geschichten und Bilder der Frauen gesammelt. Aber ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, obwohl mir mein Großvater erzählt hatte, wie die Taliban alles niederbrannten und sie nach Pakistan und dann in den Iran fliehen mussten.

DOCMA: Als Fotojournalisten arbeiteten Sie immerhin in anderen Ländern des Mittleren Ostens und hatten sogar eine Ausstellung in Peking. Setzen Sie diese Karriere fort?

Hossaini: Eigentlich gehörte das nicht zu meinem eher künstlerischen Ansatz. Über die Aufnahmen aus Afghanistan deckte ich eher die Dokumentarfotografie ab. So bekam ich Aufträge etwa vom britischen Guardian oder der Times.

DOCMA: Ist es von Europa aus noch möglich, Ihre Organisation Mastooraat zu unterstützen oder wenigstens Kontakt zu halten?

Hossaini: Offiziell wurde sie von der Republik anerkannt, vom Taliban-Regime aber nicht. Mir ist das egal. Gelegentlich kann ich online Kurse abhalten, in denen ich die Teilnehmerinnen über den Stand der Kunst außerhalb informiere. Oder sie stellen mir Fragen. Jedoch ist es problematisch, weil immer wieder die Elektrizität oder das Internet ausfällt. Zudem schlug ich den Vereinten Nationen vor, sie zu unterstützen, etwa mit Laptops. Das ist aber ebenfalls schwierig, da alle UN-Büros in Kabul geschlossen sind.

DOCMA: Kann es für Studentinnen gefährlich werden?

Hossaini: Nicht in ihren Häusern.

DOCMA: Beim augenblicklichen Stand sieht es so aus, als bräuchten Oppositionelle wie Sie einen langen Atem. Haben Sie noch Hoffnung, dass sich etwas ändert?

Hossaini: Es ist traurig, was die Taliban anrichten. Seit 20 Jahren bringen sie Menschen um und sperren Frauen vom Leben aus. Wenn eine solche Dunkelheit und Trauer über sie gekommen ist – wie können wir Hoffnung haben?

Die Taliban heute sind nicht die von vor 20 Jahren. Als die Amerikaner das Land verließen, hinterließen sie viele Waffen. Außerdem kennen sie sich mit Public Relations aus und nutzen Twitter. Sie wissen auch, wie sie jemanden finden. Ich selbst habe viele verrückte Nachrichten von Taliban-Kämpfern erhalten: Sie wären Journalisten von Al Jazeera und würde mich gern treffen, wenn ich ihnen sage, wo ich wohne. Andere schrieben direkt, wie ich es wagen könne, eine Frau mit Zigarette abzulichten, weswegen sie mich bestrafen müssten. Wie können wir Hoffnung haben, wenn die Taliban immer mächtiger werden?

DOCMA: Ich hätte das Interview so gern mit einem Lichtblick beschlossen. Doch so kann ich nur wünschen, dass Ihre Fotos afghanischer Frauen mehr bewirken als die Gewalt diese Männer – einfach deshalb, weil sie so viel Schönes dagegen setzen.

Hossaini: Ich kam 2018 in das Land, um diese verborgene Schönheit zu zeigen. Aber wir können die Gewalt nicht ignorieren. Wir können nicht ignorieren, was die Taliban diesen Frauen Furchtbares antun.

Fatimah Hossaini

Fatimah Hossaini vor einer Ihrer Arbeiten beim  Festival La Gacilly-Baden Photo
Fatimah Hossaini vor einer ihrer Arbeiten beim Festival La Gacilly-Baden Photo

Als Jugendliche träumte Fatimah Hossaini davon, Malerin zu werden, mit 24 schloss sie in Teheran ein Studium zur Industrie-Ingenieurin ab und machte zeitgleich einen Abschluss in Fotografie. Sie kuratierte Ausstellungen, war politisch aktiv und gründete in Kabul die Organisation Mastooraat, die sich für die Rechte von Frauen einsetzt.

In den 1980er-Jahren waren Hossainis Großeltern aus Afghanistan nach Teheran geflohen. Sie kehrte 2013 erstmals in ihr Herkunftsland zurück, 2018 begann sie, an der Universität von Kabul Fotografie zu unterrichten. Nach dem Abzug der US-Amerikaner 2021 gelang es ihr in letzter Sekunde aus dem Flughafen zu entkommen. Seitdem lebt sie im Exil in Paris.

Mehr Infos auf Fatimah Hossainis Webseite

Das Festival

Das Festival La Gacilly-Baden Photo findet von 15. Juni bis 15. Oktober 2023 statt, der Eintritt ist frei. ORIENT! stellt Fotografinnen und Fotografen aus dem Iran, Afghanistan und Pakistan ins Zentrum, darunter die hier interviewte Fatimah Hossaini. Ein weiterer Schwerpunkt beschäftigt sich mit dem weltweiten Klimazusammenbruch.

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