Horizonte Zingst, die 15.
Nach zwei Jahren Zwangspause strömen seit letztem Freitag wieder Scharen begeisterter Fotografen zum größten deutschen Fotofestival „Horizonte Zingst“ am Ostseestrand.
Auf dem Darß hat man die lange Pause genutzt, um das Fotofestival in einigen Bereichen ganz neu aufzustellen. Edda Fahrenhost, die Kuratorin von Horizonte Zingst, setzt mit der monothematischen Ausrichtung unter dem Motto „EAT IT – About Food“ neue Akzente in der 15. Ausgabe des Festivals. Die 47jährige hatte den verstorbenen Klaus Tiedge bereits im Sommer 2020 abgelöst.
Ihr eilt in Fachkreisen der Ruf voraus, sich bevorzugt relevanten Themen zu widmen, durch gekonntes Storytelling Diskussionen anzuregen und die Betrachter auf eine unterhaltsame Weise zum Nachdenken anzustoßen.
„Dazu eignet sich das Thema Ernährung hervorragend“, erklärt sie im Interview. „Eine gute Ernährung ist dabei für uns – dankenswerterweise – eine Selbstverständlichkeit, aber in der globalen Verteilung leider nicht. Zudem ist die Ernährung ein wirtschaftlicher Faktor zu Hause und im großen Zusammenhang. Und nicht zuletzt haben unser aller Essgewohnheiten Auswirkungen auf die Umwelt und damit letztlich auch auf das Klima.“
Natürlich kennen wir alle diese Probleme, aber es ist noch einmal etwas ganz anderes, sie sich in den Ausstellung im wahrsten Sinne des Wortes „vor Augen“ zu führen.
Edda Fahrenhost ist es gelungen mit insgesamt 16 Ausstellungen, die im ganzen Ort verteilt drinnen sowie draußen zu sehen sind, das Thema eindrucksvoll in Szene zu setzen – und das ganz ohne Foodfotografie im konventionellen Sinne. Auffällig dabei ist die Abkehr von dem bisherigen Konzept, den Fokus auf oft einfach nur schöne Naturbilder zu legen.
Wir wollen hier kurz vier besonders spannende Highlights des Festivals Horizonte Zingst 2022 vorstellen.
George Steinmetz: Feed the Planet
In mehreren hochkarätigen Ausstellungen, die zum Beispiel auch von dem amerikanischen Reportage-Altmeister George Steinmetz beigesteuert wurden, zeigt sich, dass man auch dramatische Geschichten zu einem so komplexen Thema durchaus mit hochästhetischen Bildern erzählen kann. Das Projekt „Feed the Planet“ nimmt den Betrachter mit in die weltweite Lebensmittelherstellung. Es geht darum, mehr darüber zu wissen, wie unsere Lebensmittel hergestellt wurden. Und welche Konsequenzen für die Umwelt daraus resultieren, sind Schlüssel dafür, informiertere Entscheidungen treffen zu können. Die meisten von uns sehen Obst und Gemüse im Supermarkt und haben keine Kenntnis darüber, auf welcher Grundlage sie zu uns gekommen sind.
Mehr Hintergrundinfos dazu, wie und warum Steinmetz sich mit dem Thema seit über neun Jahren beschäftigt, verrät er hier im Interview.
Veranstaltungsort: Open-Air-Fotoausstellung Jordanstraße
Jan von Holleben: SugarWOW
Jan von Holleben nimmt die Besucher mit auf eine faszinierende und abenteuerliche Reise in die Welt des Zaubermittels Zucker. Berauscht von den Farben, Gerüchen und Konsistenzen der vielen verschiedenen Süßigkeiten, die sich der Fotograf für dieses Projekt ins Studio hatte liefern lassen, sprudelte seine Kreativität über. Von seinem kreativen Rausch erzählt er hier im Interview.
Nikita Teryoshin: Animal Escape Plan
Kommt ein Schwein zum Schlachter und flüchtet gleich wieder aus seinem verunfallten Tiertransporter. Doch was passiere dann? Das Schwein heißt jetzt Felix und lebt friedlich auf einem Bauernhof, auf dem man ihm nicht nach dem Leben trachtet. Nikita Teryoshin erzählt in seiner Ausstellung viele solcher Geschichten und bebildert sie eindrucksvoll.
Nach den Beweggründen zu seinem Projekt befragt, erzählt er: „Über so genannte Lebenshöfe bin ich auf die individuellen Geschichten von vielen Tieren aufmerksam geworden und wusste sofort: Diese Tiere sind zwar Opfer der Massentierhaltung, aber ich möchte sie gerne als Helden zeigen!“
Geschichten von Tieren, denen die Flucht aus der Massentierhaltung gelungen ist – im Interview verrät der Fotograf mehr.
Klaus Pichler: One Third
Weltweit werden ein Drittel aller Nahrungsmittel verschwendet – verschimmeln in Kühlschränken, Obstkörben und Lagerhallen, werden weggeworfen, weil sie nicht gemocht werden oder weil ein Überschuss produziert worden ist und nicht verkauft wurde. Oder, oder, oder. Der Österreicher Klaus Pichler überschreitet in seinen Bildern die Haltbarkeitsgrenze. Dabei entstehen kunstvolle Stillleben, arrangiert aus verfaulenden Lebensmitteln.
Wer hier wirklich ganz genau hinschaut, braucht bei einigen Motiven eine robuste Konstitution. Einem der ersten Besucher hat diese wohl gefehlt, kolportiert Jens Schröder, Geo Chefredakteur und Schirmher des Festivals bei seiner Eröffnungsrede. Der Mann erbrach sich in eine der umstehenden Hecken. Ein bislang wenig beachteter Vorzug von Outdoor-Ausstellungen. Horizonte Zingst 2022: Mehr zum Inhalt und zum Konzept der Ausstellung hier im Künstler-Interview.