Downloads

Analoge Hellkammer: Handyfoto in Cyanotypie verwandeln

Einer digitalen Fotografie zur Aura einer original Cyanotypie ­verhelfen – das war die Idee hinter diesem ­Projekt. Wir haben dazu Handyfotografien mit dem Druckverfahren aus dem 19. Jahrhundert kombiniert.

cyanotypie
Foto: Ralf Mohr (www.ralfmohr.com)

Die Geschichte unsereses Projekts begann vor fast zwei Jahren in einer Sommernacht am Meer in Zingst. Ich saß mit dem People- und Aktfotografen Ralf Mohr vor der Strandbar, die dort jedes Jahr während des Horizonte Fotofestivals errichtet wird, und wir sprachen über die Veränderungen der Arbeit durch die digitalen Bilder. Wie in solchen Diskussionen unter Fotoenthusiasten üblich, kommt man vom Hölzchen aufs Stöckchen, und plötzlich waren wir bei einem Kunstthema gelandet: dem Verfall der Aura. Mit schuld daran war sicher meine nachmittägliche Begegnung mit Michael Weyl, dem Geschäftsführer einer jungen Firma, die sich gegen den Digitaltrend auf den Vertrieb von Verbrauchsmaterialien für analoge Fotoverfahren konzentriert.


Die Sache mit der Aura


In der Kunstwelt galt die Aura eines Werkes, mit der seine Wahrhaftigkeit und seine Einmaligkeit im „Hier und Jetzt“ beschrieben wird, lange als zentrales Merkmal wahrer Kunst. Solange zumindest, bis sich Kunstwerke technisch reproduzieren ließen und man deren Aura in der Vervielfältigung nur noch ahnen, aber nicht mehr erfahren konnte. Falls Ihnen jetzt noch nicht so ganz klar ist, was man sich unter der Aura vorstellen muss, helfen vielleicht ein paar Praxisübungen: Vergleichen Sie ein Original-Gemälde in einem Museum mit dessen Druck im Katalog oder die Aufführung eines Balletts mit dessen Aufzeichnung auf Video.* 

Fotografien wird als Ergebnis eines im Prinzip rein technischen Prozesses traditionell ohnehin keine große Aura zugestanden – ein weiterer Grund übrigens, warum die Fotografie auch fast 100 Jahre brauchte, um als Kunstform anerkannt zu werden.

Doch wer – wie wir – die Fotografie aus ihrem heutigen Entwicklungsstand als rein digitales Verfahren betrachtet, bei dem nicht einmal mehr sichtbare Variationen bei (aus)gedruckten Werkauflagen entstehen, hat durch diese Produktionsform letztendlich selbst den auratischen Rest seiner Werke ausgelöscht.


Wiederbelebung der Aura


Wie erzeugt man aber nun aus einer digitalen Vorlage ein – zumindest der Form nach – auratisches Werk? Ausdrucken entfällt, weil das Ergebnis zu leicht reproduzierbar ist – selbst wenn man sich mit Farbmanagement nicht auskennt. Auch die Belichtung des Datensatzes in analogen Verfahren ist in diesen Sinne zu technisch präzise und damit zu wenig „künstlerisch“. Man könnte, so fabulierten wir einige alkoholische Getränke später, natürlich auch die Digitalfotos auf Filmmaterial ausbelichten und sie dann mit aller Kunstfertigkeit des Dunkelkammer-Zauberers in Unikate verwandeln. Aber wenn die Bearbeitung ohnehin analog erfolgen soll, warum dann erst digital fotografieren? Wir kamen zu keinem befriedigenden Ergebnis.   


Edeldruck ohne Dunkelkammer


Eineinhalb Jahre später, im Herbst 2012, besuchte ich einen Kurs bei besagtem Michael Weyl über das Van-Dyke-Verfahren, eine alte Edeldrucktechnik. Wir kamen dabei auf ein anderes altes Druckverfahren zu sprechen: die Cyanotypie. Diese Technik, so lernte ich, ist zum einen die älteste zur Reproduktion von Fotos, zum anderen kommt es gänzlich ohne eine Dunkelkammer und technische Geräte aus. Das klang schon einmal angenehm voraussetzungsfrei. Die Ergebnisse dagegen entsprechen dabei weitgehend dem, was man sich unter einem auratischen Original vorstellt: Sie entstehen zwar auf der Basis einer Art Negativ, werden dann aber über mehrere  und nur schwer steuerbare Prozessschritte zu einem nicht genauso wieder reproduzierbaren Werk ausgearbeitet. Als mir Weyl dann auch noch verriet, er habe kürzlich Chemikalien entwickelt, mit denen eine Cyanotypie von ihrer typischen Blaufärbung befreit und in Richtung normales Schwarzweiß, Aubergine oder Braun getont werden könnte, dachte ich an das Gespräch mit Ralf Mohr am Zingster Strand zurück, und die Puzzlesteine der Idee für dieses Projekt fügten sich zusammen.


Die Umsetzung


Am nächsten Tag rief ich den Fotografen an und erzählte ihm von meiner Idee. Er war sofort Feuer und Flamme. Wir legten noch am Telefon die Parameter für die Umsetzung fest: Um die älteste Drucktechnik mit der neuesten Fototechnik zu kombinieren, entschieden wir uns für die Beschränkung auf den Einsatz eines Fotohandys, auf dem auch die Abstimmung des Negativs durchgeführt werden sollte. Unter Verzicht auf eine weitere Bearbeitung in Photoshop wollten wir das Negativ direkt auf einem handelsüblichen Bürodrucker auf DIN-A4 Pauspapier ausdrucken und damit anschließend in den analogen Prozess gehen – zur Sicherheit unter Aufsicht von Michael Weyl in den Räumen seiner Firma in Braunschweig. Was am Ende dabei herauskam, hat alle Beteiligten fasziniert, vor allem wegen des Überraschungsmoments. Es geht hier natürlich nicht um Perfektion oder Kontrolle, und ganz sicher lässt sich ein solches Ergebnis ohne jede Zufälligkeit in Photoshop­ ­simulieren. Aber es hat durchaus seinen Reiz, zur ­Abwechslung mal ein Original zu schaffen, das sich genau so eben nicht noch einmal reproduzieren lässt und abgesehen davon eine unbestritten einmalige Ausstrahlung hat. Den gesamten Weg von der Aufnahme bis zum Ergebnis zeigen wir Ihnen im folgenden ­Tutorial.    

Digitale Cyanotypien

Mit dem Handy aufgenommen, in verschiedenen Apps abgestimmt, mit dem Bürodrucker auf Pauspapier gedruckt und dann unter minimalem Chemikalien-Einsatz auf feinstem Büttenpapier abgezogen: So erzeugen Sie mit einfachen Mitteln ein fotografisches Original. (Weitere Bilder von der Arbeit im Tageslichtlabor finden Sie hier 


01 Ausgangsbilder


screenshot_01_12_16_19_21

Für unser Projekt haben wir zwei mit dem iPhone aufgenommene Akte von Ralf Mohr gewählt. Ein Bild (rechts) entspricht den Idealvorgaben und bietet maximale Durchzeichnung sowie hohe Kontraste, das zweite (links), das als klassisch blaue ­Cyanotypie diesen Artikel illustriert, wurde mit der iPhone-App Hipstamatic aufgenommen und bietet weder das eine noch das andere. Die Auflösung ist bei solchen Vorlagen eher zweitrangig, da der ­fertige Print – nach digitalen Maßstäben – sowieso nur einen Bruchteil der ursprünglich aufgezeichneten Bildinformation wiedergibt.


02 Bildbearbeitung


screenshot_01_12_16_19_21

Um das Bild direkt auf dem iPhone in ein ­Negativ zu verwandeln, sind drei Funktionen nötig: die Umwandlung der Farben in Graustufen, die Abstimmung der Kontraste per Gradationskurve und die abschließende Invertierung in ein ­Negativ. Wir haben, um alles in einer App zu erledigen, die Vollversion des „Photowizard-Photo-Editors“ gekauft. Wichtig ist vor allem der Arbeitsschritt mit der Gradationskurve, hier wird das Bild in den ­Tiefen nach normalem Ermessen übermäßig stark abgedunkelt.


03 Negativ


screenshot_01_12_16_19_22

Direkt vom Handy steuern wir per Air-Print einen normalen Tintenstrahl-Bürodrucker an, in den wir vorher ein spezielles Transparentpapier gelegt haben. Im Prinzip tut es auch Butterbrotpapier, nur wird dieses in gerollter Form und nicht plan ausgeliefert, was die Verarbeitung in einem Drucker erschwert. Wenn das Papier damit klarkommt, funktioniert der Druck auch mit einem Laserdrucker. An Feinheiten der Einstellung muss man sich bei diesem Verfahren nicht abarbeiten, nur sollte die Tinte vor der Weiterverarbeitung vollständig getrocknet sein, was bei nicht für diesen Zweck beschichtetem Papier länger dauert.


04 Cyanotypie Abzug vorbereiten


screenshot_01_12_16_19_22

Der Cyanotypie-Print erfolgt auf einem starken Büttenpapier, das bei der Herstellung möglichst nicht mit Metall gewalzt wurde. Das Papier wird mit einer schwach lichtempfindlichen Emulsion bestrichen, die aus zwei Komponenten im gleichen Mischverhältnis besteht, und die man mit einem weichen Pinsel aufträgt. Beim Auftrag erhält man die Möglichkeit einer individuellen Randgestaltung. Anschließend trocknet die Emulsion etwa 20 Minuten im Dunkeln – zum Beispiel in einem Schrank.


05 Cyanotypie belichten


screenshot_01_12_16_19_23

Zur Belichtung wird das Pauspapier-Negativ auf das Büttenpapier gelegt. So entsteht eine Kontaktkopie im gleichen Maßstab. Damit das ­Negativ plan aufliegt, beschwert man es mit einer überformatgroßen Glasplatte. Hier haben wir es zwischen zwei Glasplatten geklemmt, die von zwei einfachen Wäscheklammern zusammengehalten werden. Belichtet wird mit UV-Strahlen. Wenn die Sonne scheint, setzt man ihr die Papier-Negativkombination einfach circa eine halbe Stunde aus, an ­anderen Tagen bedient man sich einer handelsüblichen Höhensonne, was die Belichtungszeit auf etwa zehn Minuten reduziert.


06 Chemie-Einsatz


screenshot_01_12_16_19_23

Die Emulsion dunkelt beim Belichten nach. Im Stoppbad werden direkt nach der Belichtung die Reste der Emulsion ausgewaschen, die durch die UV-Bestrahlung nicht belichtet worden sind, also vor allem die hellen Stellen des Bildes. Das Bad besteht aus Wasser mit einem Schuss Zitronensäure. Der Stoppvorgang dauert rund zwei Minuten. Anschließend wird das Bild zehn Minuten in klarem Wasser gespült. Die Stabilisierung des Druckes schließt sich in Form eines kurzen Bades in einer schwachen Wasserstoffperoxid-Lösung an.


07 Tonen


screenshot_01_12_16_19_24

Vor dem Trocknen (oder auch zu jedem späteren Zeitpunkt) kann man das Bild vom Cyanotypie-typischen Blau in dunkelgrau, braun oder aubergine umfärben. Dazu wird es zunächst in ein Bleichebad gegeben, bis von der Belichtung fast nichts mehr zu sehen ist, und dann – je nach Farbwunsch – nacheinander in ein oder zwei Tonerbäder getaucht, die das Bild wieder fast in seinem ganzen Tonwertumfang „­hervorzaubern“. Bei diesem Arbeitsschritt muss man eine gewisse Erfahrung mitbringen, um zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, die Bäder zu wechseln.


Materialsets

Im Webshop der Firma Spürsinn kann man alle für diese Arbeiten benötigten Chemikalien als Komplettpakete ordern. Das Chemieset für die blauen Cyanotypien kostet 38 Euro, das Tonerkit 38,50 Euro, und ein Satz von 50 Blatt Büttenpapier, der etwa der Reichweite der Chemikalien entspricht, schlägt mit weiteren 55 Euro zu Buche. Allen Chemie-Sets liegt übrigens eine ausführliche Beschreibung bei, wie die einzelnen Komponenten angewendet werden müssen.

Mehr Infos unter www.spuersinn-shop.de


Zeig mehr

Christoph Künne

Christoph Künne ist Mitbegründer, Chefredakteur und Verleger der DOCMA. Der studierte Kulturwissenschaftler fotografiert leidenschaftlich gerne Porträts und arbeitet seit 1991 mit Photoshop.

Ähnliche Artikel

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Das könnte Dich interessieren
Close
Back to top button