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Polygon-Menschen

rocker: Polygon-Menschen
Polygon-Menschen

Dass im Bereich ambitionierter Autowerbung bereits regelmäßig tief in die CGI-Trickkiste gegriffen wird, ist den meisten inzwischen klar. Doch wie sieht es bei einem der Kernbereiche der Fotografie, nämlich beim klassischen Porträt aus? Was wird heute noch fotografiert und wo begegnen uns Polygonmenschen, sogenannte „Characters“ – vielleicht ohne dass wir das sofort erkennen können? Eine Spurensuche von Uli Staiger.

Schon allein die Bezeichnung „Character“ deutet darauf hin, dass das realistische Modellieren von Gesichtern und Figuren nicht alles ist. Denn ein „Character“ besitzt genau all das, was bereits in der englischen Bezeichnung mitschwingt: Vergangenheitsspuren, Ausdruck, Emotion und so weiter. Man kann einen „Character“ sympathisch oder unsympathisch finden, unabhängig davon, ob er einem Menschen nachempfunden ist oder einem Phantasiewesen gleicht.

Genauso vielfältig, wie die Welt der „Characters“ selbst, ist auch deren Einsatzgebiet. Man begegnet ihnen in der Printwerbung ebenso wie im Kino oder in vielen Videospielen. Auch die eine oder andere Fluggesellschaft setzt auf den Animationsfilm, um ihre Sicherheitsinstruktionen wirkungsvoll zu präsentieren.

Dass man nicht nur technische Produkte wie Autos oder Kaffeemaschinen, sondern eben auch Menschen modellieren kann, kennen wir zwar bereits seit Anfang der 1990er Jahre. Damals revolutionierte der Pixarfilm „Toy Story“ das Kino und legte den Grundstein für viele weitere, immer perfektere Darstellungen des menschlichen Antlitzes. Aber welchen Perfektionsgrad CG (computer-generated)-Modelle inzwischen erreicht haben, ist vielen Betrachtern nicht bewusst.

Natürlich werden heutzutage viele verschiedene Techniken eingesetzt, um realistische Darstellungen zu erhalten. Der klassische Weg führt über die Grob­modellierung – ein sogenanntes „Low-Poly-Model“ oder „Base Mesh“ – zu einer feinen Ausarbeitung des Modells, bei der Fältchen, Poren und selbst kleinste Hautunreinheiten erstaunlich detailliert modelliert werden. Diesen Produktionsabschnitt bezeichnet man als „Highpoly-Modeling“, der üblicherweise im Sculpting-Modul von Cinema 4D oder in Programmen wie ZBrush stattfindet.

Wenn das Polygonmesh fertig ist, werden Texturen aufgetragen und bei Bedarf Haare oder Kleidung hinzugefügt. Dieser typische Produktionsablauf macht leider viel Arbeit. Deshalb – und weil es inzwischen einige hervorragend dafür geeignete Programme gibt – nutzt man für die Erstellung eines realistischen Characters heutzutage häufig die sogenannte Fotogrammetrie (siehe DOCMA 66 ab Seite 88), die aus ganz normalen Fotografien ein komplettes 3D-Modell mitsamt seinen Texturen errechnet.

Dennoch bietet die klassische Modellierungstechnik einen entscheidenden Vorteil: Modellieren, also im weitesten Sinne polygonal bildhauerisch tätig werden, können Sie auch im Science-Fiction- oder Fantasy-Bereich.
So lassen sich eben nicht nur tatsächlich vorhandene Personen oder Objekte visualieren, sondern alle kreativ-erdenklichen Arten von Phantasiewesen, Monstern oder anderen obskuren Gestalten.

In diesem Artikel stellen wir Ihnen insgesamt sieben Künstler vor, die mit ihrer Vorliebe für computer-generierte Gestaltung erstaunliche Wesen erschaffen. Bei allen vorgestellten Characters wurde Cinema 4D auf teils sehr unterschiedliche Weise genutzt.

katsafouros_cgi: Polygon-Menschen
Dimitris Katsafouros, ursprünglich aus Athen, beherrscht einen großen Teil der CGI-Palette. Die Entstehung des Rockers ist klassisch und im Character-Bereich weit verbreitet: Das Grobmesh wird in ­Cinema 4D modelliert, dann dessen Oberfläche in Zbrush verfeinert. Was Dimitris an Cinema 4D für diese Arbeit jedoch wirklich sehr zu schätzen wusste, war die Möglichkeit, Haare anzulegen und mit den Haar-Werkzeugen zu frisieren. Auch das Texturieren und Rendern fand in Cinema statt.

 


Alberto Blasi

pu-yi-big: Polygon-MenschenAlberto Blasi ist seit vielen Jahren Mit­entwickler von Cinema 4D. Was seine Mitwirkung dort so wertvoll macht, ist nicht nur sein technisches, sondern vor allem auch sein gestalterisches Wissen: Alberto ist ausgebildeter Architekt, außerdem ein erfolgreicher Landschafts- und Architekturfotograf.

Die hier abgebildete Character-Darstellung des chinesischen Jungen ent­stammt einem persönlichen Projekt, das bis auf die Nachbearbeitung in Photoshop komplett in Cinema 4D angelegt wurde. Die meiste Produktionszeit, nämlich circa 40 Prozent, entfielen erstaunlicherweise auf das Beleuchten und Rendern des Motivs.

 


Eder Carfagnini

benjamin-linus-portrait-version: Polygon-MenschenAuch Eder Carfagnini aus Rom nutzte Cinema für das Grobmesh dieses Porträts des Seriendarstellers Ben Linus. Dazu lud er sich aus verschiedenen Richtungen fotografierte Ansichten des Schauspielers Michael Emerson in den Viewport von Cinema 4D und modellierte die Proportionen nach. Seit einigen Jahren schon verfügt Cinema 4D über das sogenannte Sub-Surface-Scattering, einen Effekt, bei dem ein Teil des Lichts in die Oberfläche eindringt und somit den typischen Look menschlicher Haut ermöglicht. Der nächste wichtige Arbeitsschritt war die weitere Ausarbeitung in Photoshop, weshalb Eder Farbe, Hautreflexionen, Schatten und Lichter  in Cinema 4D als separate Photoshop-Ebenen rendern ließ, die in der Nachbearbeitung kombiniert und fein aufeinander abgestimmt werden können.

 


Pavel Zoch

budhafinal1: Polygon-Menschen c4d_budha_alternace_pzPavel Zoch fand während des Studiums zur CG-Art. Er begann im Rahmen einer Studienarbeit über mittelalterliche Holzkonstruktionen mit der Cinema 4D-Version R6 zu arbeiten, hat diese Software 2002 auf tschechisch übersetzt und seit dieser Zeit viele Assets entwickelt, die man im Content-Browser des Programms finden kann. Den entspannten Raucher modellierte er in Cinema 4D, ohne dabei auf Highpoly-Methoden wie ZBrush oder Sculpting zurückzugreifen.

 


Mirko Haenssgen

hsrobo06: Polygon-Menschen Mirko Haenssgen wohnt und arbeitet in Hamburg. Seine extreme Vielseitigkeit erlaubt es ihm, neben seiner Arbeit als Senior Technical Artist in den Goodgame Studios auch eigene Projekte wie CLUMSYCORN oder AirRacerVR zu entwickeln. Wenn Mirko mit Cinema 4D modelliert, nutzt er die Software in erster Linie für die Lowpoly Modelle, deren Oberfläche er dann in ZBrush verfeinert. Auch beim Rendern kommt Cinema 4D zum Einsatz, zur Texturierung im Still-Bereich verwendet er Photoshop, bei Animationen übernimmt BodyPaint diese Arbeit.

butch-kopie: Polygon-Menschen

 


Lino Masciulli

lino_masciulli_1: Polygon-Menschen Lino Masciulli war bis 2006 Art Director in einer Werbeagentur, bevor er sich mit Cinema 4D R7 dem CGI-Bereich zuwandte. Alles, was er darüber je gelernt hat, brachte er sich selbst bei. Inzwischen nutzt er sein umfangreiches CGI-Wissen beruflich und arbeitet als Senior Modeller für die Agentur Rainbow CGI in Rom. Lino nutzt für das Umsetzen seiner sehr ausdrucksstarken, mal märchenhaften, mal comicartigen Renderings zwar ­fotografische Vorlagen, ist aber ganz klar im Fantasy-Bereich zu Hause. Weil er Modellieren am meisten liebt, wie er sagt, ist er ­Cinema 4D seit fast 10 Jahren treu geblieben.

lino_masciulli_2: Polygon-Menschen

 


Patrick Eischen

09_portrait_final: Polygon-Menschen

Patrick Eischen kommt aus einer eher technischen Richtung. Er ist eigentlich studierter Industrie-Ingenieur im Fachgebiet Informatik und betrachtet das Modellieren von Characters als sein Hobby. Das dafür notwendige Fachwissen hat er sich im Eigenstudium angeeignet, wobei es erstaunlich ist, in welch kurzer Zeit seine Porträts und Szenen eine fotorealistische Anmutung bekommen haben. Auch er verwendete für die Grobmodellierung Cinema 4D, das feine Modellieren der Oberfläche erledigte er mit ZBrush. Heutzutage könnte man dieses ­sogenannte Highpoly-Modelling ebenfalls in Cinema 4D umsetzen, da seit 2012 das Sculpting-Modul das Erzeugen sehr komplex erscheinender Oberflächenstrukturen wie Poren oder Fältchen ermöglicht. Auf der nächsten Seite erhalten Sie einen kleinen Einblick in den Entstehungsprozess des nebenstehenden Bildes.

 

02_portrait_afterzbrush: Polygon-Menschen Low-Poly-Mesh: Meistens, so wie auch hier, ist ein simpler Würfel der Ausgangspunkt für einen Character. Er wird während des Modellierens fortwährend verfeinert, da die Polygone durch gezieltes Setzen von neuen Schnittkanten immer weiter unterteilt, extrudiert/skaliert/gedreht und wiederum unterteilt werden. Zum Schluss dieser ersten ­Modellierungsstufe wird das gesamte Modell über ein sogenanntes SDS (Sub-Division-Surface) gerundet.

 

01_portrait_cellshader: Polygon-MenschenHigh-Res-Mesh: Theoretisch könnte man so weiterarbeiten und das Modell immer feiner unterteilen. Doch gibt es zur Modellierung der Oberfläche inzwischen sehr viel intuitivere Möglichkeiten. In diesem Fall wurde das Low-Poly-Modell nach ZBrush exportiert. Seit einiger Zeit kann man sich das Exportieren sparen, denn auch das Sculpting-Modul von ­Cinema 4D liefert für das Modellieren von Poren, Lippen oder Stoff-Falten und -texturen sehr gute Ergebnisse.

 

texturen: Polygon-MenschenTexturen: Soll die Haut möglichst realistisch aussehen, kommt man ohne fotografische Vorlagen nicht aus. Also wurde eine Person aus allen möglichen Perspektiven fotografiert und die Fotos dann auf das 3D-Modell übertragen. Auch dafür besitzt Cinema 4D ein Werkzeug: BodyPaint. Das Tool erlaubt es, ein 3D-Modell als flache 2D-Vorlage darzustellen. So lassen sich die Porträtfotos dann auf das Modell auftragen, verschieben und maskieren.

 

08_portrait_textured_lightsetup: Polygon-MenschenLicht: Wie in der Realität auch, lässt sich mit gut gesetztem Licht eine hohe Plastizität erzeugen. Die Lichtquellen, die ­Cinema 4D dafür zur Verfügung stellt, lassen sich ebenso einfach verschieben, dimmen oder in der Farbe ändern wie echte Leuchten im Fotostudio. Zum Schluss wird die Szene gerendert, also Lichter, Schatten, Reflektionen und Glanzlichter zu einem einzigen, realistisch wirkenden Motiv zusammengerechnet.

 


Polygon-Menschen: Diesen Artikel finden sie auch in der neuen DOCMA 73 (Ausgabe 6/2016)


 

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2 Kommentare

  1. Schöner Artikel mit einem kleinen Fehlerchen.
    Der Seriendarsteller von Eder Carfagnini heißt Michael Emerson. Dieser spielt die Rolle des Benjamin Linus in der Mysteryserie „Lost“.

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