Let’s talk about Sex!
Bildkritik einmal ganz anders – kein Auseinandernehmen fehlerhaft montierter Anzeigenmotive, sondern eine ganz persönliche Auseinandersetzung von Doc Baumann mit unerwünschten Bildern und mit ihren Betrachtern und Kritikern – Let’s talk about Sex!
Es muss schon einiges passieren, wenn ich nach vielen Jahren der „Bildkritik“ in dieser Rubrik einmal nicht auf die neuesten Montage-Unfälle eingehe (oder auf Leserzuschriften, die meine perspektivische Analyse der Škoda-Autowerbung nicht nachvollziehbar fanden – folgt alles im nächsten Heft), sondern mich dem Thema „unerwünschte Bilder“ widme. Anlass dazu gaben zwei Leserbriefe zum Titelbild von DOCMA 57 sowie das angestrebte Parteiausschlussverfahren der SPD gegen Sebastian Edathy, weil er Fotos unbekleideter Jungen erworben hatte.
Beginnen wir mit den ablehnenden Anmerkungen zum Titelbild von DOCMA 57. Dazu schreibt Tibor Nad: „Mein DOCMA-Heft lese ich im Zug auf meinem Arbeitsweg. Ich schätze das ganze Heft, die Artikel, die Tipps und Tricks sehr und freue mich immer wieder auf die neue Ausgabe. Leider wurde dieses Vergnügen in den letzten Monaten durch eine Tatsache getrübt, die ich hier kurz ansprechen möchte.
Ich muss feststellen, dass die leicht bekleideten Damen die Oberhand auf den Cover-Bildern nun tatsächlich vollends übernommen haben. Die letzten beiden Hefte, Nummer 56 und 57, sehen nun sogar fast wie Erotik-Magazine aus. Das mag für gewisse Personen ästhetisch sein und gut ankommen. Ich finde es aber eher peinlich und unpassend. Schließlich möchte ich das Heft nicht nur in meinen eigenen vier Wänden lesen, sondern auch im öffentlichen Raum. Und dies, ohne dass ich die skeptischen Blicke der anderen Zugreisenden ertragen muss.
Ich möchte Sie darum freundlichst bitten, in Zukunft wieder etwas Vielfalt in die Wahl der Titelbilder zu bringen. Gegen ein ästhetisches Aktbild (obwohl Akt-Fotografie nie mein Ding war) ist sicherlich nichts einzuwenden. Aber in meinen Augen sollte dies wohl eher die Ausnahme als die Regel sein. Schließlich müsste es doch auch anderes Bildmaterial geben, an welchem sich das Thema ,schärfen‘ erklären lassen kann. Oder hat die Wahl des Titelbildes ganz einfach mit der Philosophie ,Sex sells‘ zu tun? Dann lese ich möglicherweise doch das falsche Heft.“
Und Doris Wiese kommentiert: „Ich bin an fachlich qualifizierten Beiträgen interessiert, aber nicht an Inhalten, wie sie in einem Männermagazin zu finden sind. Sollen die sich doch den Playboy kaufen! Hätte DOCMA die Photoshop-Blldbearbeitung weniger an leicht bekleideten Frauen aufgezeigt, sondern an anderen Motiven, würde ich die Zeitschrift wahrscheinlich noch weiter lesen. Es ist nicht mein Frauenbild, was in DOCMA präsentiert wird.
Bleibt ihr Männer, die auf so etwas stehen, doch unter euch. Ohne mich. Es gibt noch zig andere Möglichkeiten, sich in Sachen Photoshop weiterzubilden.“
Wie entsteht ein DOCMA-Titel?
Lassen wir einmal unberücksichtigt, dass diese Ausgabe – soweit derzeit absehbar – wohl zu den am besten verkauften der letzten Zeit gehört. Ob das am (bekleideten) Model Micaela Schäfer, den Heftthemen oder sonst etwas liegt, weiß ich nicht; es wäre schön, wenn man den Verkaufserfolg einer Ausgabe auf diese Weise planen könnte – von wegen „Sex sells“. Immerhin lässt das den Schluss zu, dass der Erwerb des Heftes nicht allen Menschen peinlich ist und sie Photoshop doch lieber mit DOCMA als mit dem Playboy lernen.
Wie kommt es überhaupt zu der Entscheidung für ein bestimmtes Titelbild? Suchen wir geifernd nach Motiven mit möglichst viel nackter Haut? Es ist enttäuschend pragmatisch: Wir setzen uns zusammen und schauen uns an, welche Bilder aus der jeweiligen Ausgabe für ein Cover in Frage kommen: Das Format muss stimmen (alle Querformate fallen schon mal weg), es muss eine genügend große „uninteressante“ Fläche geben, wo sich Text platzieren lässt, es sollte nicht zu dunkel sein und nicht zu bunt, nicht zu komplex aufgebaut, nicht zu technisch, und vor allem sollte visuell rüberkommen, dass es nicht nur am Rande um digitale Bildbearbeitung geht, denn die ist unser Thema.
Sollten unsere Leserbriefschreiber/innen in den kritisierten Ausgaben Bilder entdecken, die diesen Vorgaben besser genügen als die von uns gewählten – wir sind für Vorschläge dankbar.
Ist es in der Tat so, dass man heutzutage „skeptische Blicke anderer Zugreisender ertragen“ muss, wenn man eine Zeitschrift mit nackter Haut auf der Titelseite liest? Wenn es so wäre, dann gute Nacht! In meiner Jugend war es völlig normal, dass etwa der Stern splitternackte Models auf dem Cover brachte (was Alice Schwarzer und andere Feministinnen seinerzeit nicht daran hinderte, für die „Ich-habe-abgetrieben“-Kampagne genau auf diese Publikation zu setzen. Damals gingen Frauenbewegung und Kampf für eine befreite Sexualität noch Hand in Hand; aber damals hätte sich Frau Schwarzer auch nicht träumen lassen, mal für die Bild-Zeitung zu schreiben.)
Schönheit und Diskriminierung
Wenn es kritikwürdig ist, „Bildbearbeitung … an leicht bekleideten Frauen“ zu demonstrieren, noch dazu an gut aussehenden, ist wohl das Gegenteil wünschenswert: sie an verhüllten, hässlichen Frauen zu zeigen. Eine Zuschrift befasste sich mit der Unzumutbarkeit, den Anblick der „dauernackten, medienpräsenten“ Micaela Schäfer auf dem und im Heft ertragen zu müssen.
Drehen wir den Spieß mal um: Stellen Sie sich vor, eine Politikerin oder Wissenschaftlerin würde kritisiert, weil sie übergewichtig oder ausgesprochen unattraktiv sei. Es gäbe einen – gerechtfertigten – Proteststurm, weil in die Beurteilung dieser Person Bewertungskategorien einflössen, die mit der Tätigkeit, die sie ausübt, gar nichts zu tun haben. Man/frau spräche zu Recht von sexistischer Diskriminierung. (Das gilt für andere Merkmale in ähnlicher Weise: Clint Eastwoods Betätigung für die US-Republikaner etwa widerspricht meinen politischen Einstellungen, trotzdem halte ich ihn für einen herausragender Künstler und Filmemacher.)
Aufgabe einer Politikerin ist es, im Interesse der Bürger/innen Politik zu machen; ihr Aussehen spielt dabei keine Rolle (vergessen wir mal die Photoshop-Retuschen für die Wahlwerbung). Aufgabe eines Models ist, attraktiv und schön auszusehen, und selbst wenn das alles wäre, was es zu bieten hat, wäre es genug. Auf einem Foto sieht man ohnehin nicht, ob sie über Kants Kritik der reinen Vernunft disputieren oder im Kopf Kubikwurzeln ziehen kann.
Wenn es diskriminierend ist, Menschen wegen mangelnder Schönheit negativ zu bewerten, deren gesellschaftliche Aufgaben und Verdienste Bereichen angehören, die mit solchen Qualitäten nichts zu tun haben, ist es nicht weniger diskriminierend, Menschen abschätzig zu behandeln, die ihren Lebensunterhalt mit der Ästhetik ihres Körpers und dessen öffentlicher Präsentation verdienen.
Den vollständigen Beitrag zum Thema Let’s talk about Sex! lesen Sie in der neuen DOCMA-Ausgabe 58 ab Seite 110.