Leserbrief
Ein DOCMA-Leser bricht die Lanze für fehlerhafte Bildmontagen mit spannenden Argumenten. Der Doc antwortet.
Lieber Doc Baumann,
den Bericht in Ihrer neuesten DOCMA-Ausgabe bzgl. Fehler bei Fotomontagen habe ich mit großem Interesse gelesen.
Grundsätzlich muss ich Ihnen zustimmen: Montagefehler sollte man gerade in seiner Rolle als professioneller Pixelschmied möglichst vermeiden.
Das im „aquadynamischen Sinne“ verkehrt angepasste Schuppenkleid der rothaarigen Dame auf Seite 43 wäre mir sicherlich nicht aufgefallen. Ich habe es mir nämlich abgewöhnt, jedes Bild durch die Brille des Forensikers zu begutachten, weil es bei mir in den letzten 25 Jahren als Bildjournalist des Öfteren vorkommt, dass selbst nicht manipulierte Bilder für „Fotomontagen“ gehalten werden.
Ein typisches Beispiel: „Hast du den Ball ins Bild nachträglich eingebaut?“, hört man da den Sportredakteur an der Strippe schelmisch fragen, nachdem er kritisch eins meiner Fußballbilder auf seinem 27-Zoller begutachtet. Ich bin mir aber keiner Schuld bewusst!
Zu Proportionen:
Gerade im Sport – besonders bei Ballsportarten im direkten Sonnenlicht – kommt es vor, dass Bälle „größer“ erscheinen als sie sind oder irgendwelche Schatten auftauchen, die es eigentlich hier gar nicht geben könnte. Und die Zweifel des Redakteurs waren berechtigt. Der Ball sah wirklich „unecht“ aus? Aber warum sah er aus wie einmontiert?
Wegen der extrem kurzen Verschlusszeit von 1/2000 Sekunde bei Blende 11 etwa?
Ist deshalb keine Bewegungsunschärfe des Balls erkennbar, weil er aussieht, als wäre er mit der Schere ausgeschnitten worden und nachträglich digital „aufgeklebt“?
Oder ist es der bei Blende 11 doch schon große Tiefenschärfebereich, der somit im Gehirn einen nicht mehr vorhandenen 3D-Effekt austrickst? War der Ball in dieser Szene nur 20 cm von der Brust des Spielers entfernt oder doch schon einen Meter oder ganz nah vor meinem Objektiv?
Es stellt sich die Frage: Wie groß wäre der Ball ausgefallen, wenn man ihn nachträglich eingebaut hätte? Wäre der Ball möglicherweise eine Nummer kleiner ausgefallen?
Zu Schatten:
In einem anderen Bild wirft ein gerader Fahnenmast einen leicht parallel „versetzten Schatten“. So als hätte er einen Knick. Kann doch nicht sein? Oder war die Bodenbeschaffenheit doch nicht so plan wie man das auf dem Foto vermuten könnte? (die Antwort: eine Unebenheit war für den versetzten Schatten verantwortlich, allerdings für den Betrachter des Bildes nicht erkennbar).
Oftmals auch beobachtbar: mehrere Schlagschatten, deren Flucht einfach nicht zu stimmen scheint.
Als ich mich neulich im Wartezimmer einer Arztpraxis langweilte, schaute ich auf einen verchromten Mülleimer. Der Türrahmen spiegelte sich darin. Aber warum sah der gespiegelte Türrahmen an einer Stelle aus als hätte man ihn mit dem „Verflüssigen-Werkzeug“ verunstaltet? Scheinbar aus dem Nichts tauchte da ein Stück Türrahmen auf dem Mülleimer auf! Ich wollte mir den Mülleimer nicht aus der unmittelbaren Nähe betrachten (was denken denn die anderen Patienten von mir!), aber ich bin mir sicher, dass eine Delle die Ursache für diese Verzerrung war.
Hätte man diese Spiegelung mit Photoshop nachgebaut, ich wette, sie würde letztendlich ganz anders aussehen als die Realität.
Ich bin mir ganz sicher: Würden Sie Ihren Lesern eine Bilderseite mit „Fotomontagen“ andrehen, die aber in Wirklichkeit gar keine sind, würden viele Leser glauben, darauf „Montagefehler“ zu entdecken!
Was ich damit sagen will: Es gibt so viele Fotos, auf denen der Eindruck entsteht, es wäre im Nachhinein irgendwas manipuliert worden. Die Gefahr besteht nun in der Manie, in allen Fotos etwas „Getürktes“ erkennen zu wollen.
Amüsant fand ich Ihre Kritik an der VW-Anzeige „Think blue“! Was Sie hier bemängeln grenzt in diesem Fall schon an Erbsenzählerei und Linsenspalterei. Diese Anzeigenmotive lassen sich in die breite Palette der Kollagen einordnen – quasi als wären die mit der Schere ausgeschnittenen VW-Modelle inklusive Schlagschatten anschließend auf cyanfarbenes Tonpapier geklebt worden. Ob die Fluchtlinien jeweils auf unterschiedliche Horizonte ausgerichtet sind oder nicht, ist hier völlig irrelevant. Mich wundert nur, dass Sie, lieber Doc, hier nicht noch die harten Schlagschatten bemängelt haben. Denn diese sind auch „falsch“. Anhand der Schattierung müsste spotförmiges Licht die Fahrzeuge beleuchten. Dann müssten jedoch die unteren Bereiche der Stoßfänger im Schatten absaufen, was aber gerade bei den Fahrzeugen im rechten Bild ganz und gar nicht der Fall ist. Die Motorhauben und Seitenflächen lassen jedoch eine große weiche Ausleuchtung vermuten.
Fehler für Fotomontagen gibt es allerdings auch wegen unzureichender Absprachen zwischen Auftrageber und Auftragnehmer: Als vor wenigen Wochen der Humorist Loriot verstorben war, hatte mich die Redaktion unterwegs beauftragt, einen Zweibrücker Theater-Regisseur und zugleich Loriot-Kenner neben den Humoristen auf dessen rotes Sofa zu setzen. Das Loriot-Originalbild hatte ich zuvor nicht gesehen. Ich wusste nur, dass rechts neben Loriot Platz ist für den noch zu fotografierenden und freizustellenden Regisseur. Über die Lichtführung des Loriot-Bildes hatte ich keinen blassen Schimmer. Für die komplette Realisation hatte ich zwei Stündchen Zeit. Fahrtzeiten inklusive. Obwohl die Lichtführung letztendlich total unterschiedlich war, erntete der Artikel mit Würdigung des Humoristen allgemeine Anerkennung. Ich selbst aber schämte mich ein bisschen über die fehlenden bzw. „falschen“ Schatten (s. Anlage)!
Jo Steinmetz
ich sehe das Problem durchaus – auch daran, dass ich von Lesern immer wieder Beispiele zugesandt bekomme, bei denen sie entweder das Gesamtkonzept nicht richtig verstanden haben (dem man mitunter die Bildlogik unterordnen darf) oder winzige Abweichungen beklagen, die völlig irrelevant sind.
Allerdings ist mir das immer noch lieber, als Mängel einfach hinzunehmen, weil sie nicht erkannt werden. Vor allem für Praktiker, die es selbst umsetzen sollen. Natürlich kommt es immer wieder vor, dass selbst in unmanipulierten Fotos Elemente nicht zu stimmen scheinen – ich erinnere mich an eine (Original-)Aufnahme des Bundeskanzleramtes von Uli Staiger, in der die Perspektive scheinbar nicht korrekt war.
Dennoch mag ich Ihrer Einschätzung nicht folgen "Ob die Fluchtlinien jeweils auf unterschiedliche Horizonte ausgerichtet sind oder nicht, ist hier völlig irrelevant." Ich sehe das anders. Irrelevant in diesem Zusammenhang fand ich allerdings den Schattenwurf, den ich durchaus gesehen, aber nicht angemerkt habe.
Die Bedeutung der beruflichen Praxis und des Zeitdrucks ist mir auch klar, wie Ihre Loriot-Montage zeigt. Dass das Licht bei der einkopierten Person aus einer anderen Richtung kommt als der Schlagschatten vermuten lässt, ist schlimm, aber in diesem Fall nicht zu ändern (was allerdings durchaus Kritik am fertigen Bild erlaubt). Für völlig daneben halte ich allerdings den Schlagschatten unterhalb des Sofas: Zu weich, falsche Farbe, Überdeckung mit einem anderen Schlagschatten – und am schlimmsten: zum Teil schwebt er in der Luft. Egal, wie das entstanden ist: Das geht meiner Meinung nach einfach nicht! (Mal davon abgesehen, dass der Herr nicht auf dem Sofa sitzt, sondern in ihm.)
Wie das zustande gekommen ist, muss hinterher niemanden interessieren, es geht immer nur ums Ergebnis. Wenn ich in unserem gedruckten Heft Tippfehler entdecke (obwohl ich es komplett korrektur-gelesen habe und drei weitere Mitarbeiter/innen ebenso), dann kann ich das auch nicht entschuldigen, sondern müsste schlicht zugeben, wenn es jemand kritisieren würde: Mies gelaufen!
Viele Grüße
Doc