Von Sachbüchern erhofft sich der Leser Antworten auf konkrete Fragen, und in dieser Reihe befragt Michael J. Hußmann Fachbücher dazu, welche Antworten sie geben können. In „Vogelfotografie – Die große Fotoschule“ dreht sich alles um Deutschlands verbreitetste Wildtier-Klasse.
Die Vogelfotografie ist ein weites Feld. Einerseits bieten manche Vögel, die sich als Kulturfolger selbst in Großstädten heimisch fühlen, schon vom Balkon aus vielversprechende Motive. Andererseits gibt es Arten wie den Ziegenmelker – den „ornithologischen Endgegner“, wie ihn einer der Autoren tituliert –, die auch für den erfahrenen Vogelfotografen eine Herausforderung bleiben. Es ist also ein Gebiet, auf dem man sich nach ersten, schnellen Erfolgen noch jahrelang weiterentwickeln kann.
Die einführenden drei Kapitel von „Vogelfotografie“ stellen das nötige Handwerkszeug vor, zeigen, wie Sie die Aufnahmetechnik beherrschen lernen, und geben Ratschläge zur Bildgestaltung. Das vierte Kapitel zeigt in 13 praxisorientierten Workshops, wie Sie typische Aufgabenstellungen mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden bewältigen, und im fünften Kapitel beschreiben die Autoren wichtige Locations für die Vogelfotografie in Deutschland und im benachbarten Ausland. Hinweise auf weiterführende Informationen runden die Fotoschule ab. Wir befragen das Buch zu diesen Themen, und es antwortet mit den Stimmen seiner Verfasser (die durchgängig gegendert haben).
Wann ist Geo-Tagging bei Vogelfotos problematisch?
Mittlerweile ist es einfach, über ein GPS-Modul in der Kamera oder über das Smartphone Standorte von Tieren mit den jeweiligen Bildern zu verknüpfen. Das ist hilfreich, wenn man vorhat, bestimmte, eventuell schwer zu findende Orte später wieder aufzusuchen. Im Sinne des Naturschutzes ist es aber sinnvoll, wenn Sie diese Informationen für sich behalten oder allenfalls mit seriösen Naturschützerinnen oder Biologinnen teilen. Im Internet, in Ornithologen-Foren oder auf anderen öffentlichen Plattformen haben diese Daten dagegen nichts zu suchen. Zu groß ist die Gefahr, dass rücksichtslose Zeitgenossen diese Informationen nutzen und dabei unabsehbaren Schaden anrichten. Seien Sie daher äußerst zurückhaltend, was die Weitergabe von Standortdaten sensibler Arten anbelangt.
Eignet sich das Auto als Tarnversteck?
Das Auto ist, so merkwürdig das auf den ersten Blick auch klingen mag, in vielen Situationen ein sehr gut geeignetes Versteck. Vögel erkennen Autos nicht als Gefahr. Von normalen Straßen und zugelassenen Wegen aus lassen sich viele größere Arten wie Gänse, Reiher oder Kraniche gut und im Vergleich zu den meist engen Tarnzelten zudem noch bequem fotografieren. Parken Sie so, dass der Verkehr nicht behindert wird, und lassen Sie sich Zeit. Sie werden feststellen, dass die Vögel das Auto bald weitgehend ignorieren und sich dann völlig natürlich verhalten. Vermeiden Sie jedoch unbedingt, das Auto zu verlassen, weil Sie denken, so noch bessere Aufnahmepositionen zu erreichen. Sobald Sie für die Tiere sichtbar werden, ergreifen diese in der Regel die Flucht.
Was tun bei Fehlbelichtungen?
Der Dynamikumfang, den aktuelle Sensoren erfassen, verzeiht mittlerweile so manche Fehlbelichtung, die sich in der Vogelfotografie nicht immer vermeiden lässt. Schließlich ändern sich Situationen mitunter blitzschnell und es bleibt nicht immer Zeit, die Belichtung anzupassen. Beispielsweise stehe ich am Ufer eines Sees und fotografiere Wasservögel, die sich, von der Sonne angestrahlt, vor der dunklen Ufervegetation tummeln. Zur Vermeidung einer Überbelichtung korrigiere ich die Belichtung um −0,7 Lichtwerte. Plötzlich kommt ein Trupp Gänse auf mich zugeflogen. Ich reiße die Kamera hoch und drücke den Auslöser, aber in der Hektik ist es mir nicht möglich, die Belichtung passend zu korrigieren – für fliegende Vögel vor hellem Himmel wäre eine Korrektur von mindestens +1 sinnvoll gewesen. Das Resultat sieht auf den ersten Blick ernüchternd aus: fast schwarze Gänse vor einem dunkelgrauen Himmel. Mittlerweile lassen sich aber Bilder, die drei, vier oder gar fünf Lichtwerte unterbelichtet sind, mit allenfalls minimalem Qualitätsverlust und sehr moderater Zunahme des Rauschens aufhellen (Bild 1). Man kann auch bei extrem kontrastreichen Lichtbedingungen bewusst so belichten, dass die Zeichnung in den hellsten Bildpartien erhalten bleibt. Die dunklen Bereiche hellt man dann in der Nachbearbeitung so weit auf, wie es für die beabsichtigte Bildwirkung nötig erscheint.
Was ist beim Mitziehen zu beachten?
Die Mitziehtechnik ist ein wirkungsvolles Mittel, um Geschwindigkeit zu visualisieren. Dabei folgt man mit einem Kameraschwenk einem Vogel und löst dabei aus. Schafft man es, die Mitziehgeschwindigkeit mit der Geschwindigkeit des Vogels zu synchronisieren, so wird dieser scharf vor einem verwischten Hintergrund erfasst (Bild 2).
Verwenden Sie dazu die Serienbildfunktion. Sollte das verwendete Objektiv über einen Bildstabilisator mit einer Einstellung für Mitzieher verfügen, stellen Sie diese ein. Der Stabilisator kompensiert dann nur vertikale Bewegungen, was meist zu etwas ruhigeren Bildern führt. Für die Aufnahme visieren Sie den fliegenden Vogel an und versuchen, die Kamerabewegung so gut wie möglich mit der Bewegung des Motivs zu synchronisieren. Sobald das Tier vom Autofokus erfasst wurde, lösen Sie aus. Wählen Sie den Ausschnitt großzügig, denn während der Aufnahme ist es schwer, den gestalterisch optimalen Ausschnitt zu halten.
Wie inszeniert man ein Neuntöter-Foto?
Neuntöter bauen ihre Nester in Hecken und Büschen, oft entlang von Feldwegen. Sie sind dafür bekannt, ihre Beute auf spitze Äste oder Dornen zu spießen. Neuntöter erbeuten viele Insekten, aber auch Mäuse und Eidechsen stehen auf ihrem Speiseplan. Als aktive Jäger nutzen sie erhöhte Ansitze, um ihre Beute auszumachen. Trockene Äste, die aus einer Brombeerhecke ragen, oder Zaunpfähle sind sehr beliebt. Um die Vögel auf einem Foto freizustellen, können Sie spezielle Ansitzäste aufstellen. Diese sollten von der Höhe so angebracht werden, dass ein harmonischer Hintergrund vorhanden ist (Bild 3).
Man kann andere, weniger fotogene Ansitze während des Fotografierens für die Vögel uninteressant machen, etwa indem Sie einen Schuh oder Ähnliches auf einen unschönen Zaunpfahl legen. Am besten sind trotzdem natürliche Ansitze. Gibt es davon zu viele, so dass der Vogel immer den „falschen“ Ansitz wählt, kann man die Ungeeignetsten entfernen. Suchen Sie nach blattlosen oder abgestorbenen Ästen, die hervorstehen; solche Stellen werden gern angeflogen.
Alexander Ahrenhold, Eike Mross, Hans-Peter Schaub:
Vogelfotografie – Die große Fotoschule
Rheinwerk Verlag, 2022
301 Seiten, gebunden
39,90 Euro
www.rheinwerk-verlag.de/4941