Interview: Fotoreporter werden
Auf Fotofestivals und Messen trifft man sie machmal noch: Die Veteranen des Fotojournalismus. Wenn sie von früher erzählen, bekommt man den Eindruck an einem Lagerfeuer zu sitzen und den letzten Vertretern eine untergegangenen Zunft zu lauschen. Sie erzählen abenteuerliche Geschichten aus fernen Ländern und vergangenen Zeiten. Einst waren sie unerschrockene junge Leute, die nur mit ein, zwei Kameras und ein paar Objektiven im Gepäck aufbrachen, um die letzten weißen Flecken der Erde im Auftrag großer Redaktionen abzulichten. Ihre Bildreportagen wurden in Millionenauflagen gedruckt und brachten Exotik in die biederen nachkriegsdeutschen Heime. Sie waren dafür meist Monate lang unterwegs, hatten immer gute Geschichten zu erzählen und wenn sie ihre Schecks von den Verlagen erhielten, lasen sie dort fünfstellige Beträge. Quick, Bunte, Twen, Stern, Geo, Tempo, Merian – alle diese Illustrierten und viele andere mehr verlangten, ebenso wie die Magazin-Supplements von FAZ, DER ZEIT und der Süddeutschen, regelmäßig nach neuen, spektakulären Fotos. Fotoreporter werden und sein war ein Traumberuf.
Fotoreporter werden war ein Traumberuf! Und heute?
Die meisten bildlastigen Illustrierten hat das Fernsehen längst verdrängt und für große Fotoreportagen gibt es kaum mehr Budgets. Der Markt ist am Boden, Zeitschriften decken den Großteil ihres Bildbedarfs bei (Micro-)Stock-Agenturen. Dennoch wollen viele junge Menschen Fotoreporter werden. Christoph Künne hat mit Professor Rolf Nobel, dem Initiator des „Lumix Fotofestivals“ für jungen Fotojournalismus über die Gründe gesprochen.
DOCMA: Professor Nobel, in Ihrem Studiengang sind rund 200 Studenten eingeschrieben, die alle einen Beruf erlernen wollen, der sie absehbar kaum ernähren kann und wenig Perspektiven bietet. Wie erklären Sie sich das?
Rolf Nobel: Das Problem erörtere ich bei jedem Jahrgang schon in der ersten Vorlesung. Ich führe den jungen Leuten deutlich vor Augen, dass sie in diesem Beruf nicht viel Geld verdienen werden, dafür aber viel arbeiten müssen und dass der große Ruhm angesichts zahlloser Konkurrenten auch in den Sternen steht. Es schreckt sie erstaunlicherweise nicht ab, unserer Abbrecherquoten liegen im einstelligen Prozentbereich.
DOCMA: Wenn Geld keine Rolle spielt, versammeln sich dann bei Ihnen nur die Sprösslinge betuchter Familien, die den Beruf des Kicks wegen ausgesucht haben oder schlicht, weil sie Fotojournalist zu werden einfach cool finden?
Rolf Nobel: Eher im Gegenteil. Die meisten Studierenden hier ziehen ihr Studium unter abenteuerlichen finanziellen Bedingungen durch. Sie sind im Wesentlichen »Triebtäter«, die sich von den Widrigkeiten nicht abschrecken lassen und die aus Liebe zur Fotografie nach Hannover kommen, weil dieses Medium ihr Ausdrucksmittel, ihre Form der Sprache ist. Eine ganze Reihe der Studierenden sind auch ältere Quereinsteiger, oft Akademiker, die viel gereist sind, und sich entschieden haben, das Reisen und die Fotografie zu einem neuen Beruf zu verknüpfen.
DOCMA: Die Welt ist schon voller Bilder und man muss nicht Fotografie studiert haben, um zumindest technisch hochwertige Fotos zu produzieren. Was bringen Sie den Studenten bei, damit sie sich später mit ihren Arbeiten von der Masse abheben?
Rolf Nobel: Fotografien sind nicht einfach nur Bilder. Fotografien drücken auch immer eine Haltung aus. Die zu kultivieren und in eine adäquate Form zu bringen, darum geht es im Kern. Damit man hinterher am Markt eine Chance hat, muss man spannende Bilder machen, die einen eigenen Charakter haben.
DOCMA: Und wie geht das?
Rolf Nobel: Zunächst einmal reicht es nicht nur, zum richtigen Zeitpunkt an der passenden Stelle zu sein. Ich muss auch wissen, wie ich raffinierter fotografiere als die anderen. Das beginnt mit der Suche nach einer eigenen Perspektive. Dazu muss ich die Arbeit mit unkonventionellen Brennweiten beherrschen, mit Schärfe und Unschärfe Akzente setzen – kurz ich muss auf der ganzen Klaviatur spielen können, also meinen Bildern durch eine eigene Bildsprache und den richtigen Einsatz der Technik einen ganz individuellen Charakter geben. Die Nacharbeit in Photoshop ist dabei eher nebensächlich. Außerdem reicht es bei fotojournalistischen Arbeiten nicht aus, einfach nur ein gutes Bild zu machen. Die Bilder sollen eine Geschichte erzählen. Das ist ein wenig wie eine Symphonie zu komponieren. Im Idealfall eine, die Jazz und Klassik mit Pop und Punk kombiniert.
DOCMA: Visuelles Geschichtenerzählen ist in Zeiten des Internets mehr als eine rein fotografische Disziplin. Wie bereiten Sie Ihre Studenten darauf vor?
Rolf Nobel: Da es sich heute immer weniger Redaktionen leisten können, mit dem Fotografen auch noch einen Textredakteur auf die Reportage zu schicken, müssen die Fotografen zumindest ein Stück weit auch das Schreibhandwerk beherrschen. Hierzu bieten wir gezielt Schreibunterricht an, damit sie im besten Fall auch den Text ihrer Geschichte schreiben können. In jedem Fall sollten sie textliche Vorarbeit leisten, wie Zitate sammeln, die Namen und das Alter der Beteiligten korrekt erfassen, szenische Beschreibungen liefern und Faktensammlungen anlegen, damit später ein Redakteur aus dem Material am Schreibtisch die Reportage schreiben kann. Aber damit hört es nicht auf. Wir haben eine, demnächst zwei Pflichtveranstaltungen zum Thema Multimedia, in denen man die aktuellen Techniken des Online-Geschichtenerzählens erlernt. Hier geht es im Wesentlichen um die Verbindung von stehendem und bewegten Bildern in Kombination mit Tönen, sei es als filmische Präsentation oder als Website zum Scrollen. Die Prinzipien sind zwar dieselben wie bei einer fotografischen Reportage, aber die Art zu erzählen ist logischerweise vielschichtiger und technisch aufwendiger.
DOCMA: Wir danken für das Gespräch.
Rolf Nobel (Bj. 1950) wurde in den 1980er und 1990er Jahren durch seine Fotoreportagen in deutschen Illustrierten wie Geo, Bunte und Stern bekannt. Seit 2000 ist er Hochschulprofessor in Hannover, leitete dort viele Jahre lang den Studiengang Fotografie und hat 2008 das „Lumix Fotofestival für jungen Fotojournalismus“ ins Leben gerufen. Mehr Infos
Ein weiteres Interview mit Prof. Rolf Nobel finden Sie in der neuen DOCMA-Ausgabe 4/2016. Thema: Photoshop im Bildjournalismus – Die Grenzen zulässiger Nachbearbeitung
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