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Fotoprojekt: Newtons Big Nudes

Fotoprojekt: Newtons Big NudesSie sehen so einfach gemacht aus, dass man ­verleitet ist, s­eine eigenen Big ­Nudes ­fotografieren zu wollen. Doch die ­Tücke liegt wie so oft im Detail. Ein fotografischer ­Selbstversuch von Christoph Künne.

Als frisch zugezogener Berliner besuchte ich im Jahr 1988 eine Fotoausstellung im Martin-Gropius-Bau. Zu sehen gab es dort unter anderem vier Meter hohe Abzüge von Fotografien, die nackte Frauen auf Stöckelschuhen zeigten. Der Fotograf dieser „Big Nudes“ genannten Serie hieß Helmut Newton. Damals schon war er einer der erfolgreichsten Fotografen der Welt. Diese Bilder hatten mich nachhaltig beeindruckt: die Mischung aus selbstbewusster Pose an der Grenze zur Aggressivität, das einfache fotografische Setting. Na ja, und vielleicht auch, dass die Frauen, jede auf ihre eigene Art, höchst attraktiv aussahen. Sie wirkten wie moderne Amazonen und lösten bei mir den Wunsch aus, baldmöglichst genau solche Bilder zu machen. Nur eben von Frauen, die ich selbst kannte. Einfach um zu sehen, ob normale Frauen – nur mit Pumps bekleidet – auch so eindrucksvoll überlegen aussehen könnten wie Newtons Damen.

Casting

„Baldmöglichst“ dauerte rund 30 Jahre. Und auch, als es endlich so weit war, lief bei dieser vermeintlich einfachen fotografischen Übung kaum etwas nach Plan. Als ich mich schließlich zur Umsetzung entschlossen hatte, stellte ich fest, dass meine vom Typ her dafür geeigneten Freundinnen über die vergangenen Jahrzehnte zu viel Reife für solche Aufnahmen erlangt hatten. Ich fragte also den Hannoveraner People­fotografen Ralf Mohr, ob er nicht eine Idee für ein passendes Model hätte. Hatte er, und es fand sich sogar genau der richtige Typ: Eine große, dunkelhaarige, schlanke und dabei doch sehr weibliche Frau Mitte zwanzig. Sie hatte zudem eine fast schon perfekte 80er-Jahre-Frisur – sowohl auf dem Kopf als auch ein Stück weiter unten. Aber leider gab es ein unerwartetes Hindernis bei der Interpretation des vereinbarten Termins. Und so standen wir am Tag X, nachdem wir bereits aufgebaut und eingeleuchtet hatten, ­zunächst einmal ohne Model da.

Sehr dynamisch in die entstandene Bresche sprang Ralfs Bekannte Olga und war 20 Minuten nach unserem telefonischen Hilferuf im Studio. Olga – klein, zierlich, sportlich –, also körperlich nicht unbedingt der Big-Nudes-Prototyp, hat noch ein gravierenderes Problem für diese Art von Bildern: Sie ist total warmherzig und kann es kaum verbergen. Vieles dürfen Newton-Models sein, nur nicht herzlich oder niedlich – das sagte der Meister selbst in späten Interviews: Er bevorzugte den herben Frauentyp, der herrisch wirkt und selbst beim Lächeln nur Kühle versprüht.

Na, zumindest konnten wir jetzt anfangen, aber mit was genau? Einfach eine entblößte Frau auf Stöckelschuhen vor Fotokarton ablichten?

Recherche

Wenn man sich 30 Jahre auf ein Shooting vorbereiten kann, ist es fast unmöglich, nicht ein paar Informationen über die Hintergründe des Themas zusammenzutragen. Sie sind zwar nicht unbedingt nützlich für die technische Seite der Aufnahme, helfen aber zu verstehen, was den ursprünglichen Fotografen dazu brachte, seine Bilder so zu machen und nicht anders. Auch bei Newton waren die Big Nudes (1982) ein mentales Langzeitprojekt.

Den Anstoß lieferten ihm rund zehn Jahre vor der ersten Big-Nudes-Aufnahme Fahndungsfotos der Baader-Meinhof-Bande. Sie hingen als Porträtbild-Übersicht in West-Deutschland bis Ende der 70er Jahre in den Räumen nahezu jedes öffentlichen Gebäudes. Während der frühen Siebziger befanden sich auch erkennungsdienstliche Ganzkörperaufnahmen im Umlauf, auf denen die Terroristen in Alltagskleidung zu sehen waren. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass die Serie zuerst „The Terrorists“ hieß, bevor sie den offiziellen Namen „Big Nudes“ erhielt. Newtons Vorbilder waren also Polizeifotos mit der ihnen eigenen motivlichen Klarheit, erzählerischer Kargheit und dem scheinbar einfachen ­Lichtaufbau. In Newtons Werk finden sich viele Adaptionen des Themas: Den Kern bilden die Ganzkörperaufnahmen der unbekleideten Amazonen. Es gibt aber auch Varianten: So zeigt die Vorläufer-Serie „Sie kommen“ (1981) eine Gruppe von vier Frauen, die für die französische Vogue auf dem einen Bild Kleidung für eine Modestrecke tragen und auf dem zweiten Bild in fast identischer Pose nur mit Schuhen bekleidet zu sehen sind. Außerdem hat Newton in den Jahren danach immer wieder zweiteilige Motive mit derselben Grundidee umgesetzt – allerdings meist an visuell aufregenderen Orten als in einem­ Fotostudio.

Fotoprojekt: Newtons Big Nudes
Im virtuellen Fotostudio set.a.light 3D kann man auch als 3D-­Analphabet schnell und einfach sein Studiosetting inklusive Aktmodel ­zusammenklicken. Eine Aufbauskizze gibt es als Zugabe.

Vorbereitungen

Rein technisch gesehen hält sich der Vorbereitungsaufwand für ein solches Vorhaben in überschaubaren Grenzen. Eine Rolle weißer Fotokarton, ein größerer Raum, ein Studioblitz mit Softbox, eine Kamera, ein passendes Objektiv und – für den Perfektionisten – noch ein Kamerastativ. Da wir die ­Gelegenheit nutzen wollten, noch fotomontierte Varianten des „Sie kommen“-Motivs mit dem Model zu produzieren, war es dann doch etwas mehr: Zusätzliche Studioblitze und Lichtformer, passende Kleidung im 70er-Look sowie das eine oder andere Accessoire.

Um auf Nummer sicher zu gehen, gab es im Vorfeld einen virtuellen Probelauf in der Fotoplanungssoftware set.a.light 3D. Dieses Programm erlaubt das Testen von Lichtaufbauten am Rechner inklusive Ausgabe einer Fotoskizze sowie einem virtuellem Foto. Mit Hilfe der Software kann man relativ genau prüfen, welche Einstellungen an Kamera, Objektiv und Blitz bei welchen Entfernungen zwischen Model, Hintergrund und Licht im Raum funktionieren werden. Anschließend wusste ich, dass ich bei den gegebenen räumlichen Verhältnissen mit einem 35-Millimeter-­Objektiv an einer Vollformatkamera drei Meter Abstand für die Big Nudes brauchen würde und vier Meter für die Sie-kommen-Variante. Ich konnte zudem den Aufnahmestandpunkt von 70 Zentimeter Höhe ermitteln, bei dem sich Proportionen der Big Nudes wie im Original ergeben würden, wenn das Model 1,70 Meter groß wäre.

 


Newtons Big Nudes: Das weitere Vorgehen der Fotografen inklusive der Nachbearbeitung beschreiben wir ausführlich in der neuen DOCMA-Ausgabe 82 (Mai/Juni 2018)


 

 

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Christoph Künne

Christoph Künne ist Mitbegründer, Chefredakteur und Verleger der DOCMA. Der studierte Kulturwissenschaftler fotografiert leidenschaftlich gerne Porträts und arbeitet seit 1991 mit Photoshop.

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