Von Sachbüchern erhofft sich der Leser Antworten auf konkrete Fragen, und in dieser Reihe befragt Michael J. Hußmann Fachbücher dazu, welche Antworten sie geben können. In „Faszination Waldfotografie“ stellt der Autor Kilian Schönberger ein Motiv in den Fokus, das seit der Romantik als deutsche Sehnsuchtslandschaft gilt.
Zwar ist inzwischen nur noch knapp ein Drittel der deutschen Landfläche von Wald bedeckt, der zudem mehr Plantage als urwüchsige Natur ist, aber die enge Beziehung der Deutschen zum Wald scheint ungebrochen, wie man am Erfolg der Bücher von Peter Wohlleben ablesen kann. Naturgemäß ist der Wald auch ein beliebtes Fotomotiv. Kilian Schönberger, ein studierter Geograf, ist im waldreichen bayerisch-tschechischen Grenzgebiet aufgewachsen und hat sich als Fotograf auf mitteleuropäische Landschaften und insbesondere den deutschen Wald spezialisiert. Der erste Teil von „Faszination Waldfotografie“ ist schwerpunktmäßig den verschiedenen Arten von Wäldern und ihrer Bäume sowie dem Einfluss des Wetters und der Jahreszeiten gewidmet. Der Autor geht auf die Bildgestaltung und die fotografischen Techniken ein, wie sie in der Waldfotografie wichtig sind, gibt Tipps zum Location-Scouting und zur Bildbearbeitung. Der zweite Teil stellt alle deutschen Waldlandschaften mit ihren Besonderheiten vor. Wir befragen das Buch zu diesen Themen, und es antwortet mit der Stimme seines Verfassers.
Wozu dient ein Polfilter in der Waldfotografie?
Die Allzweckwaffe unter den Filtern für die Waldfotografie ist der Polarisationsfilter, der Reflexionen auf nichtmetallischen Oberflächen vermindert. Klassischerweise wird er genutzt, um Wasseroberflächen zu entspiegeln. Auch im Wald leisten Polarisationsfilter gute Dienste, denn zu den spiegelnden Oberflächen zählen auch die Blätter der Bäume. Grüntöne werden ohne die Reflexe auf den Blattoberflächen intensiver dargestellt (1). Besonders stark wirkt der Effekt bei nassen Blättern, aber auch bei hartem Sonnenlicht entfaltet der Polfilter seine Wirkung. Manche Szenen verlieren durch den Polarisationseffekt allerdings an Tiefe, und auch atmosphärische Elemente wie Dunst können abgeschwächt werden.
Wie kann man den Nebel nutzen?
Was für Maler die Leinwand ist, ist der Nebel für die Waldfotografen. Er bildet den Weißraum, vor dem die Bildelemente zu einer überzeugenden Komposition arrangiert werden können. Der Nebel kann aber auch zu dicht sein, so dass gar keine Tiefe mehr zu erfassen ist. Zum Glück verändert er schon bei minimalen Luftbewegungen ständig seine Form. Ein beliebtes Motiv sind Lichtstrahlen im Wald, die erst durch den Nebel sichtbar werden. Verantwortlich dafür ist der Tyndall-Effekt, eine Streuung von Licht an winzigen Schwebeteilchen. In sonnendurchfluteten dunstigen Wäldern zeigen sich so die von Fotografen begehrten Strahlenmotive. Die Strahlen verlaufen zwar parallel, aber durch die Perspektive wirkt es so, als würden sie zusammenlaufen. Mit solchen radialen Lichtstrahlen lassen sich schöne Aufnahmen gestalten (2).
Welchen Vorteil bringt ein niedriger Kamerastandpunkt?
Nehmen Sie sich die Zeit, Ihr Motiv zu analysieren. Betrachten Sie Vorder-, Mittel- und Hintergrund, und versuchen Sie, auf dem Live-View-Monitor herauszufinden, welche Elemente für die Komposition förderlich sind und welche eher stören. Nehmen Sie versuchsweise einen tiefen Aufnahmestandpunkt ein. Zum einen hilft er, die Wurzelansätze der Bäume auf eine Höhe zu bringen, was das Motiv kompakter wirken lässt. Zudem nimmt der Waldboden weniger Raum im Bild ein. Ein niedriger Kamerastandpunkt macht es auch einfacher, Vordergrundelemente wie Pilze oder Waldblumen einzubinden (3).
Findet man in Deutschland noch echte Urwälder?
Die meisten Wälder, die den Beinamen „Urwald“ tragen, sind eigentlich Kulturwälder; urwaldähnlicher Wald findet sich nur auf wenigen Hektar in schwer zugänglichem Gebiet. Viele knorrige Bäume haben ihr Äußeres erst durch Jahrhunderte menschlicher Nutzung erhalten: Tiere wurden zur Mast in die sogenannten Hutewälder eingetrieben, und Mastbäume wie Eichen oder Buchen sind im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte zu gigantischen Riesen herangewachsen. Die Tiere rieben sich daran und verletzten die Rinde. Das Wachstum der Bäume wurde behindert, die Wurzeln durch ständige Huftritte immer weiter freigelegt. Die Folge war ein knorriger, fast krüppeliger Wuchs, der uns heute besonders romantisch erscheint, vermutlich weil wir solche Bäume von Märchenillustrationen und den Landschaftsgemälden des 19. Jahrhunderts kennen (4). Obwohl diese Wälder eine hohe Biodiversität aufweisen, sind sie keine Urwälder. Alte Wirtschaftswälder sind allerdings oft leichter zu fotografieren als die chaotischeren naturnahen Wälder, in denen man vor lauter Bäumen den Wald als Motiv fast nicht mehr sieht.
Ist die hyperfokale Fokussierung ein Allheilmittel?
Bei der hyperfokalen Fokussierung wird meist stark abgeblendet, um die maximale Schärfentiefe nutzen zu können, und auf die hyperfokale Distanz fokussiert man, damit die Schärfe von unendlich bis möglichst nahe an die Kamera heran akzeptabel ist. In der Theorie werden so von vorn bis hinten „knackscharfe“ Landschaftsaufnahmen möglich.
Es ist jedoch ein Irrtum, dass die Qualität der Schärfe dann über die gesamte Schärfentiefe gleichmäßig gut wäre. Tatsächlich nimmt sie vor und hinter dem Fokus sukzessive ab, und bei immer höher auflösenden Sensoren und großformatigen Drucken fällt das durchaus ins Gewicht. Die hyperfokale Fokussierung ist keine Universallösung, sondern bietet sich an, wenn ein großer Bereich mit einer Aufnahme möglichst scharf abgebildet werden soll. In der Praxis würde ich eher darauf achten, dass die maximale Schärfe auf dem Hauptmotiv liegt. Für eine Erweiterung der Schärfentiefe greife ich auf das Focus-Stacking zurück. Das erlaubt, mit der für eine maximale Abbildungsleistung optimalen Blende zu arbeiten. Bei starkem Wind ist Focus-Stacking jedoch schwierig und die hyperfokale Fokussierung wieder einen Versuch wert.
Kilian Schönberger: Faszination Waldfotografie Inspiration. Fotopraxis. Locations Rheinwerk Verlag, 2021. 387 Seiten, gebunden 39,90 Euro www.rheinwerk-verlag.de/5414
Ich habe einiges über Wald erfahren – prima. Wo erfahre ich, ob es sich lohnt das Buch zu kaufen?
Eben hier. Der Sinn des Formats „Interview mit einem Buch“ ist es ja, exemplarisch zu zeigen, was für Fragen ein Lehrbuch beantworten kann.