Das große Buch der Objektive
Sachbücher liest man gewöhnlich nicht zum Zeitvertreib, sondern wegen ihres Nutzwerts. Der Leser beschäftigt sich mit Fragen, die er im Buch beantwortet zu finden hofft. In dieser Reihe befragt Michael J. Hußmann Fachbücher, um herauszufinden, welche Antworten sie geben können. In der neuen DOCMA-Ausgabe 87 geht es um vermutlich alles, was Sie jemals über Objektive wissen wollten – das große Buch der Objektive.
Es ist nicht der Sensor und daher auch nicht die Kamera, die ein Bild ausmachen, sondern das Objektiv. Die Kamera hält es lediglich dauerhaft fest. Über Bildanmutung und Bildqualität entscheidet vor allem die Wahl des Objektivs, und daher ist es nur angemessen, wenn es jetzt ein Buch gibt, das sich auf 388 Seiten allen Aspekten dieses Themas widmet.
In „Das große Buch der Objektive“ schildert Autor Christian Westphalen zunächst die Grundlagen und die Geschichte des Objektivbaus, ohne dabei allzu tief in die Physik einzusteigen. Er beschreibt die wesentlichen Kenndaten ebenso wie die optischen, mechanischen und elektronischen Komponenten eines modernen Objektivs. Im Hauptteil des Buches geht er auf verschiedene Objektivtypen nach Aufgabe und Bauart ein. Weitere Kapitel sind der Schärfe, den Abbildungsfehlern als Widersacher maximaler Schärfe sowie dem Bokeh, also der besonderen Art der unscharfen Abbildung vor und hinter der Schärfenzone gewidmet. Westphalen erklärt auch, wie man verschiedene Objektive zur Bildgestaltung einsetzen kann, und er gibt einen Überblick über die „Altglas-Szene“. Das Buch wird durch Porträts einzelner für ihre Art charakteristischer Objektive und durch Selbstbauprojekte aufgelockert, etwa für den Eigenbau eines Tilt/Shift-Objektivs oder die Formung des Bokehs durch Schablonen.
Bei den Fragen an das Buch konzentriere ich mich auf das Thema Bokeh, also die Art der unscharfen Abbildung vor und hinter der Schärfenzone, aber zunächst stelle ich eine Frage, die derzeit oft in Foto-Foren erörtert wird.
Ein Objektiv sammelt das Licht, genauso wie ein Brennglas. Kann starkes Licht daher den Sensor zerstören?
Auch mit einem Objektiv kann man kokeln, aber das ist kein Problem, wenn das Objektiv an einer Spiegelreflexkamera sitzt, weil dann das Licht aus dem Objektiv praktisch parallel auf der anderen Seite aus dem Okular herauskommt, ohne einen gefährlichen Brennpunkt zu erzeugen. Dieser Brennpunkt würde dann erst in Ihrem Auge erzeugt. Deshalb sollten Sie auf keinen Fall durch die Kamera in die Sonne schauen! Anders sieht es mit einer spiegellosen Kamera aus. Manche Kameras schließen die Blende im Ruhezustand. Dann kann nichts mehr passieren, weil die Blende zu wenig Licht für eine Brandgefahr durchlässt. Wenn Ihre Kamera die Blende offen lässt, sollten Sie einen Objektivdeckel verwenden, um die Brandgefahr abzuwenden. Diese Gefahr besteht nicht mehr, wenn die Sonne tief steht und Sie mit ungeschütztem Auge hineinblicken können. Bei Sonnenuntergangsfotos müssen Sie sich also keine Sorgen machen.
Was versteht man unter einem Seifenblasenbokeh?
Wenn ein Lichtpunkt unscharf abgebildet wird und die Ränder des Unschärfekreises deutlich heller als das Innere sind, spricht man von Seifenblasenbokeh [1]. Es wird durch eine überkorrigierte sphärische Aberration hervorgerufen. Ob man diese Art des Bokehs mag, ist Geschmacksache. Es gibt jedenfalls viele Fotografen, für die Seifenblasenbokeh einen Kaufgrund für historische Objektive darstellt. Das Meyer Optik Görlitz Trioplan 100 mm ƒ2,8 ist gerade wegen seines auffälligen Bokehs beliebt und verhältnismäßig teuer.
Objektive, die hinter der Schärfeebene ein Seifenblasenbokeh zeigen, haben vor der Schärfeebene keines und andersherum. Das Seifenblasenbokeh funktioniert nur bei Offenblende, denn die hellen Ränder werden schon bei Abblendung um eine Stufe beschnitten.
Wie entsteht ein Zwiebelbokeh?
Charakteristisch für dieses Bokeh sind konzentrische Kreise, die an eine aufgeschnittene Zwiebel erinnern [2]. Sie entstehen durch winzige Ungenauigkeiten bei der Linsenherstellung, vor allem bei asphärischen Linsen. Zwiebelbokeh finden Sie hauptsächlich bei scharfen Objektiven – es ist eine gewisse Abbildungsgenauigkeit nötig, damit Sie den Effekt überhaupt sehen. Manche Objektive zeigen erst abgeblendet ein Zwiebelbokeh, weil die Unschärfekreise bei Offenblende durch mangelnde Abbildungsleistung leicht verschwimmen. Es klingt paradox, dass die Unschärfe zu unscharf abgebildet wird, aber es gibt sehr wohl scharfe Strukturen in den Unschärfekreisen.
Woher rühren Verfärbungen im Unschärfebereich?
Beim Farbbokeh sorgt der Farblängsfehler, auch longitudinale chromatische Aberration genannt, dafür, dass das Bokeh vor dem Motiv in einer anderen Farbe erscheint als dahinter. Zusätzlich ist das Bokeh am Rand anders gefärbt als in der Mitte. Das liegt daran, dass auch die sphärische Aberration mit im Spiel ist. Meist erscheinen die Ränder vor dem Motiv magentafarben und dahinter grün, seltener vor dem Motiv warmgelb und dahinter blaucyanfarben [3].
Christian Westphalen: Das große Buch der Objektive – Technik, Ausrüstung und fotografische Gestaltung
Rheinwerk Verlag, 2018
388 Seiten, gebunden
49,90 Euro
www.rheinwerk-verlag.de/4464