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Londons Swinging Sixties

Londons Swinging Sixties

Ein gerade erschienener Fotoband lässt das Lebensgefühl der Swinging Sixties in London wieder aufleben. Die Aufnahmen des Fotografen Frank Habicht – darunter etliche Promi-Porträts – vermitteln viel vom damaligen Lebensgefühl und vom Kontrast der Welt der Rebellen zu ihrem konservativen Umfeld. Doc Baumann hat sich das Buch für Sie angeschaut.

Es war schon einmal so schlimm wie heute, vor langer Zeit. Der Unterschied zwischen den Swinging Sixties und der Gegenwart ist, dass wir damals gerade versuchten, uns von alten Zwängen und autoritären Strukturen zu befreien, während wir derzeit wieder in diese düsteren und bedrückenden Zustände zurückfallen – genauer: einige uns allzu gern dorthin zurücktreiben wollen (Stichwortgeber Meuthen: seine AfD wolle „weg vom links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland“. ). Während vor einem halben Jahrhundert langsam und fröhlich der Grauschleier von den gesellschaftlichen Verhältnissen gezogen wurde (und dabei auch viel nackte Haut zum Vorschein kam), wird derzeit – um es in Bildbearbeiter-Sprache auszudrücken – der Sättigungsregler zielstrebig wieder auf Null zurückgeschoben. Die Frauenbewegung, die damals in Fahrt kam und noch für Befreiung stand, vertritt heute zu Teilen eine neue Prüderie.

Was die einen als Befreiung erlebten, war für andere des Teufels. Allen voran natürlich die katholische Kirche. Einer ihrer prominenten Vertreter, Kardinal Brandmüller, erklärte kürzlich in einem Interview: „Sexueller Missbrauch – in welcher Form auch immer – ist aber alles andere als ein spezifisch katholisches Phänomen … Die jahrzehntelange Sexualisierung der Gesellschaft – man denke an Oswald Kolle und Beate Uhse – ist auch an den Katholiken und ihrem kirchlichen Personal nicht spurlos vorübergegangen.“ (Fairerweise muss man allerdings, was nicht immer geschehen ist, auch den folgenden Satz dieser Missbrauchs-Relativierung mit zitieren: „Diese Feststellung mag die Abscheulichkeit des Vorgefallenen erklären helfen, keinesfalls jedoch entschuldigen!“) Dennoch: eine bemerkenswert unhistorische Betrachtungsweise für einen (Kirchen-)Historiker!

Für mich ist eines der aussagekräftigsten Fotos des Bandes zu dieser Stimmungslage der Swinging Sixties „Bare Essentials – near Knightsbridge“ von 1969: Ein konservativer Herr mit Bowler auf  dem Pferderücken – neben ihm auf dem Pflaster eine junge Frau, barfuß (bis zum Hals). Ein Zusammenstoß der Kulturen!

Londons Swinging Sixties

Swinging Sixties

So viel politische Gedanken, wo es hier doch eigentlich um die Vorstellung eines Fotobandes geht? Nun, Habichts Bilder wären nichts anderes als bloße Zeit- (und Mode-) Geschichte, würde man die damalige Aufbruchsstimmung nicht versuchen mitzudenken. Wer diese Swinging Sixties noch selbst erlebt hat, wenn auch nicht unbedingt in London, weiß, was ich meine. Wobei die emotionale Färbung der Erinnerungen davon anhängen dürfte, auf welcher Seite man stand. (Um noch einmal Photoshop zu bemühen: Ob der „Farbtemperatur-Regler eher zum sonnigen Gelb oder kühlen Blau verschoben wird.)

Wie schwierig und zäh diese Befreiung war, lässt sich etwa an einem Gruppenporträt Habichts der Rolling Stones von 1969 ablesen: Dezent lange Haare, ja, heute würde damit niemand auch nur im geringsten auffallen; es gibt da auch eine Jeans, aber die meisten der Herren tragen Anzug und Krawatte. Immerhin ein Jahr nach „Street fighting man“.

Ein paar Bilder dokumentieren, was sich am Horizont abzeichnete: Es gab nicht nur Frieden, Harmonie und Flower Power in den Londoner Swinging Sixties, sondern auch Demonstrationen und Zusammenstöße mit der Staatsmacht. Eben – den Titel aufgreifend – wie es nun mal war.

Schade, dass die Texte nur englischsprachig sind – von einem deutschen Verlag hätte man eine zweisprachige Ausgabe erwarten können, denn die Bilder sprechen für sich selbst nur für jene Leser/innen, die bereits wissen, worum es geht.

Swinging Sixties: Ein Blick zurück

Der Blick zurück, den Habichts Buch eröffnet, kann gleichermaßen fröhlich und hoffnungsvoll stimmen wie traurig und ein wenig nostalgisch.

Der Verlag beschreibt den Inhalt mit den Sätzen: „Frank Habichts ikonische Schwarz-Weiß-Fotografien spiegeln den Zeitgeist der Swinging Sixties in London wider: Nach den konservativen Nachkriegsjahren folgte eine Zeit des Aufbruchs, die junge Generation träumte von einem ungezwungenen Leben, freier Liebe, Frieden und Harmonie. Auf den Straßen der britischen Metropole fing Habicht (*1938, Hamburg) die tiefgreifenden sozialen und politischen Veränderungen ein, die sich in den 1960er Jahren in Großbritannien vollzogen.

Habicht, der seit 1981 in Neuseeland lebt und arbeitet, fotografierte für Magazine wie The Guardian, Die Welt, Camera Magazine und Twen und porträtierte Musik- und Filmgrößen wie Mick Jagger und die Rolling Stones, Jane Birkin, Christopher Lee und Vanessa Redgrave. Seine Fotografien wurden kürzlich im Barbican in London ausgestellt. Der opulente Fotoband ist eine einzigartige Sammlung der rhythmischen, psychedelischen, befreiten Hippiezeiten im London der Swinging Sixties. Er liefert einen aufschlussreichen Beitrag zur Geschichte eines Landes, das derzeit einen weiteren gesellschaftlichen Wandel erlebt.“

As It Was. Frank Habichts Sixties |Hrsg. Florian Habicht, Verlag Hatje Cantz 2018. 240 Seiten, 193 Abbildungen, gebunden, Großformat. 50 Euro

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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