BildkritikBlog

Ziemlich schräg …

Über nicht-horizontale Horizonte und andere Merkwürdigkeiten

Heute widmet sich Doc Baumann mal wieder dem Thema Bildkritik. Und wie immer gibt es einiges an den Bildern auszusetzen. Falsche Perspektive ist seit Jahren der Renner und wird immer wieder gern umgesetzt, so schräg wie hier – im Wortsinne – jedoch selten. Außerdem diesmal im Angebot: ein merkwürdiger Leopard und eine nicht weniger merkwürdige Spiegelung.

Wenn der Horizont so stark kippt, ist das Ende der Welt nicht mehr weit. Na ja, San Francisco, San-Andreas-Graben … Foto: Hotel

Fangen wir mit der schrägen Perspektive an. Dazu schrieb mir Peter Bauer über das Hotel Ritz-Carlton in der Halfmoon Bay von San Francisco: „Alles natürlich ganz wunderbar schön, sehen Sie sich nur die Bilder an – eine wahre Bilderbuchlandschaft. Traumhaft, zum Hinknien!

Aber irgendetwas in diesem Bilderbuch stimmt doch nicht, oder? Müsste der Horizont außerhalb der Fenster nicht gerade verlaufen, weil er ja viel weiter weg ist als die aufeinander zulaufenden Linien der Decke? Irgendwie schräg, im wahrsten Sinn des Wortes, finde ich. Wie sehen Sie das? Ich bin sehr gespannt.“

Ja, eigentlich sollte der Horizont exakt waagerecht liegen. Immer und überall. (Und nicht nur, weil er weit weg ist.) Wenn man nicht gerade auf einem Schiff bei Seegang an der Reling steht, in einem Flugzeug aus dem Fenster schaut, das gerade eine Kurve fliegt – oder, das ist der Regelfall – schlicht die Kamera schief gehalten hat … ja, dann ist der Horizont immer und ausnahmslos … eben horizontal. Dass er, wie in unserem Bild , sauber der Perspektive folgt, als sei er eine sich in die Bildtiefe erstreckende Kante, ist eine Montageleistung, wie wir sie in dieser Konsequenz bisher noch nicht hatten. Aber wie kommt so etwas zustande? Da die Szene außerordentlich sauber, geradezu steril wirkt, war meine erste Vermutung: 3D mit anschließender Montage der Außenwelt hinter die Fenster. Aber bevor ich mich da zu weit aus dem Fenster lehne (es wäre ja nicht das erste Mal), wollte ich lieber ganz sicher sein und konsultierte meinen kamera- und objektivkompetenten Kollegen Michael J. Hußmann. Und der bestätigte mir dann auch ganz objektiv: So kriegt das keine Kamera mit keinem Objektiv hin. Auch er vermutete 3D.

Die anderen „Fotos“ auf der Website des Hotels haben eine ähnliche Atmosphäre; bei ihnen verläuft der Horizont allerdings nicht schräg, sondern so, wie es  sich gehört. Dann war das vielleicht doch ein einmaliger Ausrutscher. Der kann ja schon mal vorkommen bei einem schiefen Horizont.

Ziemlich schräg …
Mit ein bisschen Handarbeit und Maskieren … so müsste die Szene wirklich aussehen.

Spieglein, Spieglein … die Erste

Einen weiteren Hinweis bekam ich von unserem Leser Tilo. Er schrieb: „Ich habe Dir was angehängt für Deine Leserrubrik – wenn die Leser Unstimmigkeiten aufspüren. Mal schauen, ob Du es auf den ersten Blick erkennst (dann noch nicht weiterlesen).“

Ziemlich schräg …
Fällt Ihnen auf, was hier nicht stimmt?

Ich muss leider gestehen: ich habe die Unstimmigkeit nicht entdeckt. Vielleicht auch, weil ich mich zu sehr auf die Schärfentiefe konzentriert hatte. Wegen des symmetrischen Bildaufbaus hatte ich sogar kurz mal daran gedacht, ob das Bild einfach aus der Spiegelung einer Leopardenhälfte bestehen könnte. Aber ein kurzer Blick auf die Fleckenverteilung von Kopf und Brust ließ mich diesen Gedanken nicht weiter verfolgen, da war nichts gespiegelt.

Also weiter lesen, was Tilo gefunden hatte: „Bei der Katze sind die Schnurrhaare gespiegelt. Meine Meinung: wenn man so was macht, muss man nochmal kurz mit Verflüssigen etc. für Unruhe sorgen, weil der Mensch so empfindlich ist für Wiederholungen.“

Stimmt, er hat recht, darauf hatte ich nicht geachtet. Allerdings fragte ich mich, wie man das gemacht hat: die Schnurrhaare gespiegelt und dann sauber isoliert über das Fell auf der anderen Seite geschoben? Nun schaute ich mir das Bild noch genauer an. Zwar waren die Flecke auf dem Kopf und auf der Brust in der Tat nicht ganz symmetrisch, aber bei genauerer Betrachtung fand ich immer mehr, die es doch waren. Auch die Haare an den Ohren, ja, die kompletten Ohren. Um ganz sicher zu gehen, duplizierte ich eine Hälfte des Fotos, spiegelte sie horizontal, setze sie auf den Mischmodus »Differenz« und schob sie auf die gegenüberliegende Seite. Und siehe da: Mit Ausnahme dieser beiden Bereiche wird das Bild schwarz, das heißt die Pixelwerte der beiden Ebenen sind identisch. Die Spiegelung betrifft also nicht nur die Schnurrhaare, sondern das ganze Bild. Aber wegen der markanten Stirn wäre mir das nicht aufgefallen, ohne dass ich mit der Nase darauf gestoßen wurde.

Ziemlich schräg …
Wie der Einsatz des Differenz-Modus beweist: Fast der ganze Leopard wurde gespiegelt, nicht nur seine Schnurrhaare. Derzeit ist es ja auch nicht so ganz einfach, was den Leopard betrifft.

Spieglein, Spieglein – die Zweite

In der Regel haben wir es bei Montagen allerdings mit anderen Problemen der Spiegelung zu tun. Und so mutet es etwas seltsam an, wenn ausgerechnet der Hersteller einer Bildbearbeitungssoftware mit einem bearbeiteten Foto wirbt, das genau das, worum es gehen soll, nicht leistet. (Nein, die Wolken in der rechten Bildhälfte sind nicht gespiegelt, nur rechts und links recht ähnlich.)

Ziemlich schräg …

Das automatische Ersetzen eines langweiligen Himmels gegen einen dramatischen ist gewiss eine feine Sache und wird nicht selten angewandt. Wenn sich dann sogar noch die neue Beleuchtungssituation, die sich aus  dem ausgetauschten Himmel ergibt, auf die ganze Szene auswirkt, ist das noch erfreulicher.

Allerdings stellen sich bei dieser Montage gleich zwei Fragen: Da Berge selten transparent sind, außer im Märchen, ergibt sich die rötliche Beleuchtung der Gipfel in der linken (Original-)Hälfte wohl aus einem Sonnen(untergangs)stand hinter dem Betrachter. Beim neu eingefügten Himmel rechts steht die Sonne allerdings vor ihm, hinter den Bergen. Was beleuchtet die dann von vorn?

Als wäre das nicht schon genug, wählt die Firma für die Szene auch noch ausgerechnet einen See im Vordergrund, in dem sich Landschaft und Berge spiegeln. Ja, eben – Berge und Landschaft, der Himmel aber nicht. Jedenfalls nicht der, der nun oben zu sehen ist. Bei den meisten Aufnahmen dürfte das keine Rolle spielen, weil keine solchen Reflexionen vorkommen. Aber gleich zwei bildlogische Fehler in einem Beispiel, in dem es gerade um Bildbearbeitung geht, sind doch wohl etwas zu viel.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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4 Kommentare

  1. Zu dem Bild mit dem nichthorizontalen Horizont: Erbärmlich ist z.B. auch die verunglückte Ausleuchtung des Pults mit der Steinplatte.
    Zum Leoparden: was sonst soll man denn von der Firma erwarten? Gute Qualität?
    Zur Bergspiegelung: ein prächtiges Beispiel, wie intelliget KI ist.

    Da die Menschen hauptsächlich aus Watsons und nur wenigen Holmes besteht, fallen solche Bilder nicht auf. Dazu kommt noch der Gewöhnungsfaktor.

  2. Innenaufnahme Hotel:
    Also der Hintergrund (Ausblick) ist eine Sache. Hier stimmt auch die Lichtrichtung/ Tageszeit nicht, fällt zwar nicht so ins Gewicht, wirkt aber dennoch unrealistisch. Ich vermute, dass diese Aufnahme bei schlechtem Wetter gemacht wurde und man versucht hat das Bild damit zu retten. Des Weiteren fehlen Lichtreflexionen im Fenster 🙂
    Dramatisch ist aber auch der Innenraum, hier wurde digital eingerichtet und/oder dekoriert. Das Größenverhältnis vom Tresen zur Bestuhlung passt nicht. Die Schatten der Objekte auf dem Tresen sind unzureichend. Das ganze Bild ist unstimmig und unattraktiv für den Betrachter. Vergebene Liebesmühe, daran etwas zu verbessern, lieber gleich neu fotografieren oder sich jemand suchen, der es kann.

  3. Ich könnte mir theoretisch vorstellen, dass solche Unstimmigkeiten in manchen Fällen durchaus beabsichtigt sein könnten. Im Fall der Raubkatze beispielsweise. Es drängt sich ja die Frage auf, warum so etwas überhaupt gemacht wird. Vermutlich wurden die entsprechenden Bildstellen durch irgendwas Störendes überdeckt. Zweige, Schatten, Finger vor’m Objektiv… irgend so was. Vielleicht ging es dem Täter aber auch gerade um die irritierende, unnatürliche Wirkung auf das Unbewusste, die Symmetrien in der Natur bei Betrachtern erzeugen. Und weil eben nur Teile des Kätzchens gespiegelt sind, wirkt das umso rätselhafter und bedrohlicher. Könnte also theoretisch auch mal ein künstlerisches Ausdrucksmittel sein. Die meisten Menschen scheinen solche Dinge aber ohnehin nicht wahrzunehmen, wie ich immer wieder erstaunt feststelle. Als ich z.B. mal jemanden in einem Bildbearbeitungsforum darauf hinwies, dass die Person, die er da in ein Bild montiert hatte, im Gegensatz zu allem anderen auf dem Bild, gar keinen Schatten werfe und auch von einer anderen Seite beleuchtet werde, dauerte es eine ganze Weile bis er überhaupt kapierte was ich meinte. Und als ich mal eine Dozentin in einer Fortbildung, an der ich teilnahm, darauf hinwies, dass das Tier, das sie da gerade zu Demonstrationszwecken in ein Bild montiert hatte, von der falschen Seite beleuchtet wurde, meinte sie nur, das könne man durch Abwedeln ganz leicht korrigieren, worauf sie aber, wegen der Knäppe der Zeit, jetzt verzichten würde (Nachtigall, ick hör Dir trappsen). Was dieses Nichtbemerken sicherlich begünstigt, ist die vorherrschende Künstlichkeit, die sich seit der digitalen Revolution in der Fotografie weitgehend durchgesetzt hat und sich auf die allgemeinen Sehgewohnheiten ausgewirkt haben dürfte. In Fotos, die ohnehin schon übernatürlich scharf und farblich satt sind, dürften solche Unnatürlichkeiten umso weniger auffallen. Und das wird im Zeitalter der KI vermutlich auch nicht eben besser werden.

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