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Zentralverschluss vs. Blende

In der letzten Woche war ich bereits darauf eingegangen, dass ein Zentralverschluss ebenso wie die Blende das Bokeh beeinflusst. Die Interaktionen zwischen diesen beiden Mechanismen gehen aber noch weiter, denn wenn die Belichtung mit einem Zentralverschluss gesteuert wird, hat die Blende auch Auswirkungen auf die Verschlusszeiten.

In spiegellosen Systemkameras sowie in DSLRs wird zwar fast immer ein Schlitzverschluss verbaut, aber im Mittelformatsegment ist ein Zentralverschluss im Objektiv nach wie vor populär. Hasselblad beispielsweise setzt bei seinem spiegellosen X-System wie schon bei den Spiegelreflexsystemen V und H auf einen Verschluss im Objektiv. Auch Kompaktkameras wie die Fuji X100VI, die Leica Q3 und die Ricoh GR III(x) verwenden einen Zentralverschluss. Wenn der Schlitzverschluss zwischen Objektiv und Sensor wegfällt, sind optisch vorteilhafte Objektivrechnungen möglich, bei denen die Hinterlinse dicht vor dem Sensor liegt.

Zwei Zentralverschlussvarianten, die Hasselblad für Objektive des H-Systems entwickelt hat.

Im Gegensatz zum Schlitzverschluss, der vom Rolling-Shutter-Typ ist, die Pixelzeilen des Sensors also nacheinander belichtet, gibt ein Zentralverschluss das Licht für alle Sensorpixel gleichzeitig frei – er ist ein sogenannter Global Shutter. Als solcher lässt er sich bei allen Verschlusszeiten mit einem Blitz synchronisieren, und es gibt auch keine Verzerrungen bewegter Motive (die bei den heutzutage üblichen, relativ schnellen Schlitzverschlüssen zwar kaum noch Probleme bereiten; man kennt sie aber von den vielfach langsameren elektronischen Verschlüssen, die ebenfalls vom Rolling-Shutter-Typ sind). Ein Zentralverschluss hat dafür andere Eigenheiten, mit denen man vertraut sein sollte.

Ein Zentralverschluss funktioniert wie die Blende; er besitzt Lamellen, die sich zum Beginn der Belichtung öffnen und an ihrem Ende schließen. Eine Belichtung zerfällt damit in drei Phasen: In der ersten Phase öffnet er sich, in der zweiten bleibt er geöffnet, und in der dritten Phase schließt er sich wieder. Während das vollständige Öffnen und Schließen des Verschlusses immer gleich schnell erfolgt, wird die Länge der Phase 2 von der gewünschten Belichtungszeit bestimmt.

Die Phasen, in denen sich ein Zentralverschluss öffnet oder schließt, gehen nur zum Teil in die effektive Belichtungszeit ein.

Beim Öffnen und Schließen dringt natürlich weniger Licht hindurch, als wenn der Verschluss ganz offen ist, und so stellt sich die Frage nach der effektiven Belichtungszeit – der Zeit, an der wir ablesen können, wie viel Licht insgesamt auf den Sensor gelangt. Wenn wir zur Vereinfachung annehmen, dass sich die Verschlusslamellen mit konstanter Geschwindigkeit öffnen und die durch sie gebildete Öffnung rund ist, würden sie während des Öffnen und Schließens durchschnittlich ein Drittel des Lichts durchlassen. Zur Dauer der zweiten Phase, also der vollständigen Öffnung, müssten wir also noch jeweils ein Drittel der Zeit von Phase 1 und 3 addieren; der genaue Wert hängt von der Form und der Beschleunigung der Verschlusslamellen ab. Die kürzestmögliche Verschlusszeit ist erreicht, wenn sich die Verschlusslamellen, kaum haben sie sich vollständig geöffnet, wieder zu schließen beginnen, die zweite Phase also entfällt.

Durch Abblenden wird die zweite Phase anteilig länger, und ebenso die effektive Belichtungszeit.

Dies gilt für Aufnahmen bei offener Blende. Etwas anders sieht es aus, wenn man abblendet und damit die Öffnung verkleinert, die vom Verschluss freizugeben ist. Schließen wir die Blende beispielsweise um zwei Stufen, so schrumpft der Durchmesser der Blendenöffnung auf die Hälfte, und diese Öffnung kann der sich öffnende Verschluss in der Hälfte der Zeit freigeben, die er für die volle Öffnung benötigt. Entsprechendes gilt für das Schließen der Verschlusslamellen, das ebenfalls nur die halbe Zeit braucht. Die Phasen 1 und 3, in denen der Verschluss noch nicht beziehungsweise nicht mehr so viel Licht hindurch lässt, wie die Blendenöffnung erlaubt, sind nur noch halb so lang, und die Phase 2 wird dafür um den gleichen Betrag verlängert. Das Abblenden um zwei Blendenstufen reduziert die Lichtmenge, die während der Belichtung auf den Sensor fällt, deshalb nicht wunschgemäß auf ein Viertel, sondern lässt noch etwas mehr Licht hindurch. Je kürzer die gewählte Verschlusszeit und damit die Phase 2 ist, desto stärker fällt dieser Effekt aus, und er könnte zu einer sichtbaren Überbelichtung führen – würde die Belichtungssteuerung den Verschluss nicht zum Ausgleich um so früher schließen, je weiter man abblendet.

Hierfür spielt es übrigens keine Rolle, ob sich die Verschlusslamellen (wie bei den oben abgebildeten Mechanismen von Hasselblads H-System-Objektiven) stets vollständig öffnen, oder ob sie bereits stoppen, sobald die Blendenöffnung freigegeben ist. Was die Verschlusslamellen hinter der Blende tun oder lassen, hat auf die hindurch gelassene Lichtmenge keinen Einfluss. Dagegen macht dies sehr wohl einen Unterschied, wenn es um die kürzestmögliche Verschlusszeit eines Zentralverschlusses geht. Diese wird ja – wie oben erklärt – durch die zum Öffnen und Schließen nötige Zeit bestimmt, und sie lässt sich verkürzen, wenn man die Lamellen schon vor der vollen Öffnung stoppen und sich sofort wieder schließen lässt. Je kleiner die Blende, desto kürzer ist der Weg, den die Verschlusslamellen zurückzulegen haben, und desto kürzer die kürzestmögliche Verschlusszeit.

Je kleiner die Blende, desto kürzer kann die Verschlusszeit sein.

Die Erweiterung des Verschlusszeitenbereichs bei kleinen Blenden ist eigentlich eine feine Sache, führt aber oft zu Irritationen und ruft sogar Unmut hervor, woran die Hersteller nicht ganz unschuldig sind. Statt an erster Stelle die kürzestmögliche Verschlusszeit bei offener Blende anzugeben, um dann hinzuzufügen, dass bei kleineren Blenden auch noch kürzerer Zeiten möglich sind, machen es einige umgekehrt: Sie schreiben den eindrucksvolleren Wert bei einer kleineren Blende in das Datenblatt und fügen allenfalls in Klammern die engeren Beschränkungen bei offener Blende an. Die Fuji X100VI erreicht ihre kürzeste Verschlusszeit von 1/4000 s erst ab f/4,5, bei offener Blende (f/2) aber nur 1/2000 s. Die Ricoh GR III verspricht ebenfalls 1/4000 s, wofür man mindestens auf f/5,6 abblenden muss; die offene Blende (hier f/2,8) lässt nur 1/2500 s zu. Bei Leicas Q3 ist dagegen die ehrliche und bis f/1,7 uneingeschränkt nutzbare, wenn auch weniger beeindruckende Verschlusszeit von 1/2000 s angegeben.

So kann ein falscher Eindruck entstehen, und aus diesem Missverständnis resultiert eine Enttäuschung, weil man besonders kurze Verschlusszeiten ja oft gerade dann braucht, wenn man trotz guter Lichtverhältnisse weit aufblenden möchte. Aber gerade in solchen Fällen, in denen einem an der Freistellung des Motivs vor einem unscharfen Hintergrund gelegen ist, stehen die dazu nötigen kurzen Verschlusszeiten nicht zur Verfügung. Kameras wie etwa die Fuji X100VI und die Ricoh GR III besitzen deshalb ein eingebautes ND-Filter, das man in den Strahlengang schwenken kann, um die Lichtmenge zu reduzieren, wenn es ihr Zentralverschluss alleine nicht mehr schafft. Auch ein elektronischer Verschluss, sofern vorhanden, kann hier aushelfen, verträgt sich jedoch nicht mit Blitzlicht.


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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