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Zen in der Kunst, Kameras zu bauen

Wie kam es im vergangenen Jahrhundert zum Niedergang der einst stolzen deutschen Fotoindustrie, und warum dominieren japanische Unternehmen seit Jahrzehnten diesen Markt? Ein Büchlein über Kyūdō, die japanische Kunst des Bogenschießens, hat mir einst die Zusammenhänge verständlich gemacht.

Zen in der Kunst, Kameras zu bauen
Japanischer Bogenschütze (unbekannter Künstler)

Eugen Herrigels „Zen in der Kunst des Bogenschießens“, 1948 erschienen, wurde in viele Sprachen übersetzt und ist bis heute populär; es inspirierte unter anderem auch Robert Pirsigs Roman „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“ (1974). Der Philosoph Herrigel (1884–1955) ist später in Verruf geraten, weil er – was die Autorenbiografie des Verlags bis heute verschweigt – ein überzeugter Nazi war und sein Amt als Rektor der Universität Erlangen deshalb nach dem Krieg verlor. Ob er das Wesen des Zen-Buddhismus überhaupt verstanden hat, ist ebenfalls umstritten. Dennoch kann ich sein Buch über das Bogenschießen, das er während seiner Zeit als Philosophiedozent in Sendai (1924–1929) beim Meister Awa Kenzo erlernt hatte, durchaus empfehlen.

Aber was hat das nun mit der Fotoindustrie zu tun?  Das ist eine etwas längere Geschichte … Nachdem beispielsweise Goro Yoshido 1933 in Tokyo sein Labor für optische Präzisionsinstrumente (Seikikogaku Kenkyusho) gegründet hatte, das später unter dem Namen Canon bekannt wurde, kopierte er zunächst die populäre Leica. Solche Geschäftsmodelle prägten das Bild Japans in Deutschland wie in Europa generell. Bei „Made in Japan“ dachte man an billige, aber minderwertige Produkte. Die japanische Industrie, so hieß es, kopiere nur, brächte aber keine Innovationen hervor. (Heute sind oft ganz ähnliche Vorurteile über die chinesische Industrie zu hören, während „Made in Japan“ längst für hohe Qualität steht – obwohl die Komponenten oft wiederum aus China bezogen werden.)

1958 war die Contarex der Zeiss Ikon AG ein Höhepunkt deutscher Kamerabaukunst. Ihre Kreuzkupplung der Einstellungen von Blende, Verschlusszeit und Empfindlichkeit mit dem Belichtungsmesser erlaubte eine komfortable Nachführmessung. Zur Blendenwahl diente bereits ein Rändelrad an der Kamera statt eines Blendenrings am Objektiv. Aber schon damals begann sich das Blatt zu wenden. 1954 führte Pentax mit der Asahiflex IIa und IIb den automatischen Rückschwingspiegel ein. Die 1959 eingeführte Spiegelreflexkamera Nikon F mit austauschbarem Sucher und optionalem Motordrive erwies sich als extrem robust und wurde zum Lieblingsmodell der Fotojournalisten. Topcon brachte 1963 die erste Spiegelreflexkamera mit Offenblendmessung durch das Objektiv heraus. 1972 kam die Asahi Pentax Electro-Spotmatic, die erste Spiegelreflex mit Zeitautomatik. Die Olympus OM-2 aus dem Jahre 1976 revolutionierte die Blitzbelichtungssteuerung: Die OM-2 konnte erstmals das während der Aufnahme von der Filmoberfläche reflektierte Licht messen und die Energieabgabe des Blitzes stoppen, sobald die erforderliche Lichtmenge erreicht war. Die Minolta XD-7 erlaubte 1977 die Wahl zwischen Blenden- und Zeitautomatik; ein Jahr später folgte die Canon A-1, die zusätzlich auch noch eine Programmautomatik hatte. Die Konica FS-1 (1978) hatte erstmals einen integrierten motorischen Filmtransport. Mit der Nikon FA von 1983 führte Nikon die Mehrfeldmessung und eine automatische Szenenerkennung ein. 1985 kam in der Minolta 7000 erstmals ein Autofokus mit Phasendetektion zum Einsatz. Canon führte 1987 eine vollständig elektronische Übertragung zwischen Kamera und Objektiv ein und 1989 den ersten AF-Kreuzsensor (in der EOS-1). Und so weiter, und so weiter …

Wie konnte die japanische Fotoindustrie die deutsche mit einer solchen Welle von Innovationen abhängen – mit dem Ergebnis, dass bis heute allein Leica überlebt hat? (Zeiss gibt es zwar immer noch, nur bauen sie keine Kameras mehr.) Ein wichtiger Grund war die Unterschätzung der Bedeutung von Automatikfunktionen wie dem Autofokus. Leitz hatte schon 1975 das Correfot-System vorgestellt, einen Vorläufer des Phasendetektions-AF, darin aber keine Zukunft gesehen und die Technologie an Minolta verkauft. Der andere wichtige Grund war die Fehleinschätzung, wie konkurrenzfähig die japanischen Hersteller waren. Dabei stimmte es ja, dass die Japaner zunächst nur kopiert hatten, aber die Schlussfolgerung, ihnen mangele es an Kreativität und Originalität, erwies sich als folgenschwerer Irrtum. Wer nur kopiert, kann dafür ganz andere Gründe als einen Mangel an Ideen haben.

Zen in der Kunst, Kameras zu bauen
Eugen Herrigel: Zen in der Kunst des Bogenschießens

An dieser Stelle kommt nun Eugen Herrigel ins Spiel. Während seiner Jahre in Japan wollte er die japanische Kultur und insbesondere den Zen-Buddhismus besser kennenlernen, und jemand empfahl ihm zu diesem Zweck, bei Meister Awa Kenzo die Kunst des Bogenschießens zu lernen. Herrigel hatte sich vorgestellt, mit seiner Erfahrung im Pistolenschießen wenig Probleme mit dem Bogen zu haben, aber der Unterricht des Meisters entsprach dann überhaupt nicht seinen Erwartungen. Im ersten Jahr ging es nur darum, den Bogen auf die richtige Art zu spannen, ohne dass überhaupt damit geschossen wurde. Und als dann endlich Pfeile abgeschossen wurde, lehrte der Meister nicht, wie erwartet, die beste Technik, um das Ziel zu treffen – darauf kam es zunächst gar nicht an. Aber während die japanischen Schüler den Anweisungen des Meisters unkritisch folgten, haderte Herrigel damit, etwas zu tun, dessen Sinn er nicht begriff. Awa Kenzo hatte ihn nach schlechten Erfahrungen mit ausländischen Schülern erst gar nicht annehmen wollen, und auch Herrigel erwies sich als anstrengend, weil er alles hinterfragte – ohne dass ihn seine Fragen allerdings weiterbrachten.

Herrigels Herangehensweise war für einen Westler typisch: Er wollte intellektuell verstehen, was zu tun wäre, und dachte immer, dass er doch wüsste – vielleicht sogar besser wüsste –, wie es ginge. Auf diesem Weg kam er jedoch nicht weiter. Die japanischen Mitschüler folgten einfach dem Meister, denn schließlich waren sie zu ihm gekommen, eben weil er ein Meister war: Wenn seine Anweisungen nicht wert gewesen wären, dass man ihnen folgt, warum hätte man ihn dann überhaupt als Lehrer wählen sollen?

In gewisser Weise haben die japanischen Ingenieure der 30er und 40er Jahre ganz ähnlich gehandelt. Sie haben sich die Meister gewählt, deren Meisterschaft offenkundig war, und das waren eben die deutschen Kamerakonstrukteure. Ihnen eiferte man nach, zerlegte die deutschen Kameras und versuchte sie so perfekt wie möglich nachzuempfinden. Man kopierte also. Nachdem die Japaner aber diese Kunst gemeistert hatten, gingen sie daran, die deutschen Vorbilder mit ihren eigenen Ideen zu verbessern, und damit trafen sie die deutsche Kameraindustrie völlig unvorbereitet. Der Dynamik dieser Entwicklung hatten die allzu behäbigen und von ihrer Überlegenheit überzeugten deutschen Hersteller wenig entgegenzusetzen, und daher sind es heute ausschließlich japanische Unternehmen, die den Kameramarkt beherrschen. Es lohnt sich, Zen auch in der Kunst des Kamerabaus zu suchen.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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5 Kommentare

  1. Im ersten Satz steht ja bereits alles drinnen:
    …der einst stolzen deutschen Fotoindustrie…
    Nur selten ist Stolz allein zu finden, meist in Kombination mit Überheblichkeit, Arroganz, alles in allem eine Selbsteinschätzung, dass man gegenüber anderen gottgleich wäre.
    Gegenseitiges Schulterklopfen, Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der Käufer, die als Bittsteller und nicht als Kunden mit eigenen Bedürfnissen betrachtet werden, und schlussendlich mangelndes Fachwissen der Entscheidungsträger, das alles ist ja nicht nur in dieser Sparte zu finden.
    Dass man sich beim Einstieg in eine neue Sparte an den bis dahin besten orientiert, von denen lernt, Fertigkeiten erwirbst und versucht, die Leistungen auch zu erreichen, ist wohl weder verwerflich noch abwertend. So erwerben Menschen Wissen, so geben sie Wissen weiter. Doch das auch zu analysieren, Schwächen zu erkennen und daraus neue, bisher nicht gekannte Möglichkeiten anzusetzen, oder gar neu zu entwickeln, zeigt eben den Unterschied zwischen Stagnation und Innovation.
    Also Schande über die Unfähigkeit der satten Leute, die die deutsche Fotoindustrie in den Sand gefahren haben.

  2. Gerne erzähle ich immer mal wieder die Geschichte, als ich von meinem ersten Ferienarbeitslohn mir eine Pentax Spotmatic, ja genau die mit M42 und Belichtungsmessung durchs Objektiv, kaufen wollte. Die Vorteile waren mir klar: Filter usw.
    Das war um 1967 und ich war 15 Jahre alt.
    Aus dem „ersten Fotohaus am Platz“ in der (Klein) Stadt kam ich wie ein begossener Pudel wieder heraus. So einen japanischen Billigkram würde man dort nicht führen. Ich solle doch lieber ein (deutsches) Qualitätsprodukt nehmen… wenn das Geld nicht reiche, auch eine ostdeutsche Praktika.
    Die Pentax bestellte ich dann über die Eltern eines Mitschülers und sie funktioniert heute auch nach über 50 Jahren und einigen Weltreisen noch, wenn ich sie mal aus dem Schrank nehme.
    Diese Geschichte erzähle ich immer dann gerne, wenn es um die deutschen Autobauer geht.

  3. Zen hat eben nichts mit dem Ergebnis zu tun. So erreichen auch die besten Langbogen-Schützen nur lausige Treffer. Auf die Distanz, wo sie knapp die Scheibe treffen, setzen symmetrische Bogen ihre Pfeile ins gelbe Zentrum.
    Ist wohl ähnlich wie beim Quantensprung, dessen sich Leute rühmen.

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