Zeitreise zu den Polarkoordinaten
Einen seiner ersten Workshops zu Photoshop verfasste Doc Baumann vor rund einem Vierteljahrhundert über den Polarkoordinaten-Filter. Während die Themen vieler früherer Texte durch die Weiterentwicklung der Software überholt sind, hat sich am einfachen Algorithmus der Polarkoordinaten nichts getan (und tun müssen). So gesehen ist dieser Workshop heute noch genauso aktuell wie Anfang der 90er Jahre.
Erinnern Sie sich an die alten Seeräuber-Romane aus Ihrer Jugendzeit? Irgendwann tauchte darin garantiert eine schmuddelige, eingerissene Zeichnung auf, auf der neben unverständlichen Symbolen geheimnisvolle Andeutungen vermerkt waren: Von dem großen Felsen am Strand siebenundfünfzig Schritte gen Sonnenuntergang … und so weiter.
Die Piraten bedienten sich bei diesen Beschreibungen des cartesianischen Koordinatensystems, das einen Punkt auf einer Fläche dadurch eindeutig festlegt, dass die Strecken auf einer waagerechten x- und auf einer senkrechten y-Achse zueinander in Beziehung gesetzt werden; der gesuchte Ort liegt im Schnittpunkt, der sich aus beiden Angaben ergibt.
Stadtpläne gehen auf dieselbe Weise vor. Da Ortschaften meist aus einem ziemlich ungeordneten Durcheinander bestehen, ist diese Methode wohl die angemessenste.
Konstruieren wir stattdessen am Reißbrett eine kreisförmige Stadt, mit einem zentralen Versammlungsplatz, strahlenförmig davon abgehenden Alleen und konzentrischen Straßenringen, so könnten wir die Lage eines Gebäudes ebenso gut – oder besser – folgendermaßen beschreiben: Entferne dich 580 Meter vom Zentrum in Richtung Norden, und gehe anschließend 20 Grad im Urzeigersinne. Diese Angabe in Polarkoordinaten scheint zwar ziemlich ungewöhnlich, ist aber für diesen Fall durchaus passend. (Übrigens ist sie gar nicht ungewöhnlich, denn alle geografischen Angaben auf dem Globus – oder bei Google Earth – legen Orte durch ihre Entfernung zum Pol beziehungsweise Äquator sowie zum Null-Meridian fest, gemessen in Grad, Minuten und Sekunden.)
Was hat das alles mit Photoshop zu tun? Das Programm verfügt im „Filter“-Menü unter „Verzerrungsfilter“ (auch damals schon) über ein ganz einfaches Hilfsmittel, das nichts anderes tut, als Rechteckkoordinaten in Polarkoordinaten umzuwandeln und umgekehrt. Langweilige Geometrie? Im Gegenteil! Schauen Sie sich an, was sich mit Hilfe dieser Methode an beeindruckenden Bildeffekten erzeugen lässt. Ihnen wird bestimmt etwas einfallen, wozu Sie dieses Werkzeug bestens gebrauchen können.
Und daran hat sich seit 1990 nichts geändert. Noch immer ist „Polarkoordinaten“ der schnellste Weg, um gewisse Ziele zu erreichen. Dabei ist die Umwandlung von Polarkoordinaten in Rechteckkoordinaten übrigens wesentlich praxisnäher als der umgekehrte Weg, für den es nur wenig praktische Anwendungsbeispiele gibt.