Wovon hängt die Schärfentiefe ab?
Einige Fotografen halten das Sensorformat für einen entscheidenden Faktor, während ihr manche jeden Einfluss absprechen. Wieder andere meinen, die Schärfentiefe hinge nur vom Abbildungsmaßstab ab. Was bestimmt die Schärfentiefe wirklich?

Heutzutage ist es ja einfach, das Wissen der Welt anzuzapfen; wir brauchen nur bei Wikipedia nachzuschlagen, wie sich die Schärfentiefe berechnen lässt. Wer es ganz genau wissen will, kann dort auch nachvollziehen, wie man die Formeln herleitet, aber normalerweise vertraut man sich einem Schärfetiefenrechner wie beispielsweise meinem an. In die klassischen Formeln zur Berechnung des Fern- und Nahpunkts und damit der Schärfentiefe zwischen diesen gehen die Blende, die Brennweite, die Entfernungseinstellung und der maximale Zerstreuungskreisdurchmesser ein – Letzterer beschreibt, bei welcher geringen Unschärfe wir das Bild als gerade eben noch scharf empfinden. Damit wären alle Fragen beantwortet – oder?

Es ist dann doch noch etwas komplizierter, weil sich einige Größen in andere umwandeln lassen und man daher auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Formeln angeben kann, die dennoch alle dasselbe besagen. Die Blendenzahl beispielsweise ist das Verhältnis der Brennweite zum Durchmesser der Eintrittspupille, und wenn man sie so ausschreibt, wird klar, dass es genau genommen gar nicht um die Blende geht, sondern um die Öffnung (die Eintrittspupille). Dass die bereits in der Formel berücksichtigte Brennweite nun ein zweites Mal auftaucht, verdeutlicht deren großen Einfluss auf die Schärfentiefe.
Dagegen scheint die Bildgröße, bei Digitalkameras also das Sensorformat, auf den ersten Blick keine Rolle zu spielen. Allerdings gibt man den Zerstreuungskreisdurchmesser zweckmäßigerweise nicht absolut an (früher wurden oft 30 µm als Anhaltspunkt genannt), sondern als Bruchteil der Bilddiagonale. Zur Zeit unserer Urgroßeltern teilte man die Diagonale noch durch 1000, aber die immer feinkörnigeren Filmemulsionen und die verbesserte Abbildungsleistung der Objektive legten später höhere Schärfenansprüche nahe, weshalb man durch 1500 teilte. Bei Kleinbildkameras kommt man damit (aufgerundet) auf die erwähnten 30 µm, was aber nur für das Kleinbildformat gilt. Die aktuellen hochauflösenden Sensoren und die weiter gestiegenen Anforderungen an die Schärfe – es ist ja so einfach, am Bildschirm in ein Bild hineinzuzoomen, bis man dessen Pixel sieht – lassen den Teiler auf mindestens 3000 steigen. Wie auch immer: Der Zersteuungskreisdurchmesser ist das Verhältnis der Sensordiagonale zu einem Faktor, der unsere Schärfeanforderungen beschreibt, und so schleicht sich das Sensorformat durch die Hintertür in die Formeln ein.
Oft ist zu lesen, die Schärfentiefe hinge allein vom Abbildungsmaßstab ab, also dem Verhältnis der Größe des Motivs zur Größe von dessen Bild auf Sensor oder Film. Das stimmt wenigstens so ungefähr und im Nahbereich ziemlich genau, aber es ist auch nur im Nahbereich wirklich relevant. Eine Person wird aus einem Abstand von wenigen Metern vielleicht um den Faktor 100 verkleinert abgebildet und ein hoher Berg in einigen Kilometer Entfernung mit einem Millionstel seiner Höhe, aber bei solchen Fotos interessiert sich niemand für den Abbildungsmaßstab. Die Nützlichkeit der Faustregel, dass die Schärfentiefe bei Makroaufnahmen allein vom Abbildungsmaßstab abhinge, liegt auch nicht darin, dass man damit eine alternative Formel hat; vielmehr kann sie vor Irrtümern und Irrwegen bewahren.
Manche greifen für Makros auf längere Brennweiten zurück, um mehr Abstand zum Motiv zu gewinnen, und von der größeren Distanz versprechen sie sich eine größere Schärfentiefe – im Nahbereich ist diese ja generell zu gering. Tatsächlich wächst die Ausdehnung der Schärfenzone mit der Entfernung, aber sie schrumpft mit der längeren Brennweite, was den Gewinn wieder aufhebt. Nicht anders sieht es aus, wenn man im Gegenteil sein Heil in einer kurzen Brennweite sucht, die die Schärfentiefe wachsen lässt – aber dafür muss man näher an das kleine Motiv heran, was den vermeintlichen Vorteil zunichte macht. Wer einmal verinnerlicht hat, dass ein erwünschter großer Abbildungsmaßstab unweigerlich eine entsprechend geringe Schärfentiefe bedingt, lässt sich gar nicht erst auf solche vergeblichen Versuche ein, die optischen Gesetze auszutricksen.
Verwendet man aber eine Kamera mit kleinerem Sensor, genügt schon ein geringerer Abbildungsmaßstab, um ein kleines Motiv formatfüllend aufzunehmen, und damit gewinnt man dann tatsächlich eine größere Schärfentiefe.
Die Schärfentiefenformeln lassen sich auch so umformen, dass das Ergebnis nur noch von der Eintrittspupille und dem Bildwinkel abhängt. Wenn man also zwei unterschiedliche Kameras mit unterschiedlichen Objektiven sieht und deren Datenblätter nicht kennt, braucht man nur von vorne in die Objektive und von hinten durch die Sucher oder auf die Displays zu schauen. Sind die Eintrittspupillen und der Bildausschnitt gleich, muss auch die Schärfentiefe der Aufnahmen gleich sein, völlig unabhängig von Blendenzahl, Brennweite und Sensorgröße. Auch diese Regel macht klar, dass es hier keine Tricks gibt: Für eine bestimmte Schärfentiefe in einem vorgegebenen Bildausschnitt ist eine daraus berechenbare Öffnung nötig, und nur auf diese kommt es an. (Zugegeben: Je länger die Brennweite, desto einfacher ist eine große Öffnung zu realisieren, und je größer der Sensor, desto länger ist die benötigte Brennweite. Aber ein großer Sensor alleine bringt noch gar nichts, wenn es um eine geringe Schärfentiefe und eine gute Freistellung geht.)
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Danke für die klärenden Worte.
„Die aktuellen hochauflösenden Sensoren und die weiter gestiegenen Anforderungen an die Schärfe – es ist ja so einfach, am Bildschirm in ein Bild hineinzuzoomen, bis man dessen Pixel sieht – lassen den Teiler auf mindestens 3000 steigen.“
Wie steht es denn dann mit der Verwacklungsgrenze? Verwacklungsbedingt verwischte Pixeln sind zum „peepen“ ja eher uncool.
Muss man deshalb (bei der ja wohl weit überwiegend vorkommenden stativlosen Fotografie) nicht auch die notwendige Belichtungszeit halbieren oder vierteln oder …? Und zum Ausgleich (für die zur Steigerung der Schärfentiefe) weiter geschlossene Blende *und* die kürzere Belichtungszeit den ISO-Wert recht kräftig anheben, was die zwar vielen, aber dadurch auch kleinen Pixel dann stärker verrauschen lässt?
Ich sehe da die Rettung zur Zeit nur in Richtung guter Stabil und gutem Rauschverhaltens.
Zumindest wenn man ohne Stativ Pixelpeepen will.
Für bewusst gestaltete Bilder, die die Bildfläche ausnutzen und sinnvoll füllen, ist das alles aber doch oft unwichtig.
Diese betrachtet man in der Regel als Ganzes, da setzt das Auflösungsvermögen des menschlichen Augen nur eher niedrige Grenzen.
(Es gibt natürlich wie immer Ausnahmen — die in den letzten Jahrzehnten immer häufiger anzutreffenden großen Bilder in den Museen funktionieren ja oft eher aufgrund der Detailfülle, nicht so sehr aufgrund des Umgangs mit Fläche des Bildes.
An diese Bilder geht man nah heran.)
Tom!
Die höheren Schärfeanforderungen betreffen in der Tat auch die Bewegungsunschärfe. Immerhin gibt es ja mit Bildstabilisatoren ein Mittel gegen Verwacklungsunschärfe; gegen Bewegungsunschärfe aufgrund von Bewegungen des Motivs lässt sich (fast) nichts ausrichten.
Wenn man Glück hat, hat der Kamerahersteller hier die nötigen Konfigurationsmöglichkeiten geschaffen, so dass die ISO-Automatik den ISO-Wert nicht zwingend nach der althergebrachten Kehrwertregel (keine längere Zeit als den Kehrwert der kleinbildäquivalenten Brennweite in Millimetern) heraufsetzen muss, sondern optional auch früher oder später. Die gestiegenen Schärfeanforderungen sprächen für 1/2f s oder 1/4f s statt 1/f s, aber mit einem wirksamen Bildstabilisator wären vielleicht auch 2/f s oder 4/f s noch OK.
Will man dagegen bewegte Motive mit kurzen Verschlusszeiten einfrieren, hilft weder die Kehrwertregel noch ihre Varianten; dann sollte man eine feste Maximalzeit vorgeben. Oder gleich (im manuellen Modus) eine feste Verschlusszeit.