Was wir schon immer über Doc Baumann wissen wollten …
Doc Baumann, Gründer und Namensgeber des DOCMA-Magazins ist vor ein paar Tagen 65 Jahre alt geworden. Die Redaktion hat das zum Anlass genommen, ihm in einem Gemeinschaftsinterview die Fragen zu stellen, die uns schon seit Jahren unter den Nägeln brannten.
Hast Du noch ein paar deiner frühen – sicherlich auf Disketten gespeicherten – Werke, mit denen Du Mitte/Ende der achtziger Jahre in die Geschichte der deutschen elektronischen Bildbearbeitung eingegangen bist?
Ja, habe ich. Allerdings: Ich weiß zwar, in welcher Umzugskiste die Disketten sind – aber das sind ein paar hundert.
Du warst ja nicht nur Pionier in Sachen digitaler Bearbeitung von Bildern, sondern auch der erste deutsche Publisher, der ein Buch mit DTP-Techniken produziert hat. Wie waren denn die Reaktionen der etablierten Verleger auf diesen Vorstoß?
Ich habe 1984 die erste Zeitschrift mit DTP gestaltet, 1986 das erste Buch in Deutschland (mein Buch zum Film „Der Name der Rose“). Darüber habe ich dann einen Vortrag vor den Herstellungsleitern der deutschen Verlage gehalten. Fazit: Höflicher, verhaltener Beifall, dann kam der Vorsitzende nach vorn und erklärte mir unter allgemeinem zustimmendem Gemurmel, das sei ganz nett und damit könne vielleicht in zehn Jahren der Edeka-Kaufmann an der Ecke seine Sonderangebote beschreiben – aber so könne man NIE ein richtiges Buch oder eine Zeitschrift setzen, mit sauberer Typographie, Blocksatz usw. Ich habe nur freundlich gegrinst und gesagt: Warten wir’s mal ab.
Seit vielen Jahren redet niemand mehr von DTP (Desktop Publishing) – aber nur, weil es gar keine anderen Verfahren mehr gibt.
Wie sah eigentlich die Landschaft der digitalen Programme vor Photoshop aus? Gab es damals schon Produkte, die professionellen Anforderungen gerecht wurden?
Oh ja, durchaus – den damaligen Möglichkeiten entsprechend. Auf dem Mac waren das etwa Digital Darkroom, dann kam von Letraset ImageStudio mit echten Grautönen statt Dither-Rastern; zeitgleich auch Monitore, die das darstellen konnten. Danach vom selben Hersteller ColorStudio. Da hatte ich mich aber schon fest entschlossen, dass mir das zu viel würde und ich bei ImageStudio stehenbleiben würde. Nun ja. Und das neue Programm Photoshop Anfang der 90er brachte auch nicht viel mehr – in Teilen sogar weniger – als Colorstudio.
Wie viele Bücher hast Du eigentlich im Lauf Deines Lebens geschrieben – und über welche Themen?
Kommt darauf an, was man alles mitrechnet – so zwischen 30 und 50. In den letzten Jahren natürlich zum Thema Bildbearbeitung. Und davor das erwähnte Filmbuch zu „Der Name der Rose“, vieles über die Motorradrocker-Szene, über Typographie, ein Buch zur Psychologie des Horrors, eine Kulturgeschichte menschlicher Vorstellungen von Außerirdischen … Seit 1991 recherchiere ich für einen Roman – und nun, wo ich 65 geworden bin, möchte ich irgendwann meine Beiträge für DOCMA etwas reduzieren, um dieses Buch endlich zu schreiben.
Im Photoshopper-Kreisen genießt Du ja nach über 25 Jahren Tutorials-schreiben einen legendären Ruf und eine maximale Bekanntheit. Wirkt sich das auch auf den Alltag aus? Kannst Du inkognito einkaufen gehen oder wirst Du regelmäßig von Menschen angesprochen, die du nicht kennst, sie dich aber schon?
Da ich seit 40 Jahren auf dem Land gewohnt habe, bevor ich nun wieder in Stadtnähe zurückgezogen bin, hat sich das nicht sehr stark ausgewirkt. Aber auch auf dem Dorf bin ich durchaus gelegentlich von Fremden angesprochen worden. Selbst im fernen Florida in Daytona Beach, wo ich eigentlich erwartet hätte, dass man mich damals eher als Journalist aus dem Umfeld der Bikerszene kennt. Das hat übrigens viele Menschen damals immer wieder stark verwirrt: Dass der Doc Baumann mit den Bikern derselbe ist wie der mit Photoshop.
Was ist Deine Lieblings-Funktion in Photoshop?
Die Ebenen.
Juckt Dein Bart?
Mich nicht – vielleicht meine Frau.
Welches ist Dein – gephotoshopptes – Lieblingsbild und warum?
Oh je! Schwierige Frage, noch nie drüber nachgedacht. Vielleicht Yadegar Asisis Panorama von Rom 312, weil es eine gewaltige Photoshop-Arbeit ist und zugleich meine Begeisterung für diese Stadt abdeckt.
Welches war Deine am teuersten verkaufte Photoshop-Arbeit?
Ich habe mich nie als Bildbearbeiter verstanden, der Montagen als Auftragsarbeit realisiert. Insofern habe ich auch nur selten solche Bilder gemacht. Das waren dann vielleicht mal ein paar Tausend für irgendeine PR- oder Illustrations-Sache.
Andere gehen mit 65 in Rente, wie siehst Du Deine berufliche Zukunft?
Weitermachen, solange es geht, und danach etwas reduzierter. Also weiter DOCMA, demnächst etwas weniger, um endlich meinen Roman zu schreiben, für den ich seit 1991 recherchiere – und in dem es natürlich auch um eine digitale Bildfälschung gehen wird.
Bildbearbeitung erfolgte vor der Erfindung des DTP nicht am Personal Computer, sondern an sündhaft teuren EDV-Arbeitsplätzen in spezialisierten Betrieben. Was hat Dich als Kunsthistoriker dazu gebracht, Bilder am Computer zu bearbeiten?
Bei einem Freund sah ich 1984 den ersten Mac, mit 128 KB Arbeitsspeicher. Der hatte als erster eine Maus, mit der man – mit MacPaint – schwarze Pixelspuren auf weißem Grund malen konnte, radieren, auf dem Nadeldrucker ausgeben … Eigentlich wollte ich mit dem dann selbst angeschafften Mac vor allem meine Bücher und Artikel flüssiger schreiben, aber dann sollte ich für die Zeitschrift MACup, bei der ich damals mitarbeitete – eben weil Kunstwissenschaftler – die Grafiksoftware-Tests übernehmen, und so kriegte ich halt immer die aktuellsten Programme und erlebte mit, welche Fortschritte es da ständig gab.
Wie hast Du als Quereinsteiger von Photoshop erfahren? Hast Du es für berufliche Zwecke oder aus privatem Interesse angeschafft?
Auch Photoshop lernte ich als Mitarbeiter der MACup kennen, weil mich meine Redakteurin eines Tages anrief und fragte, ob ich ein neues Bildbearbeitungsprogramm testen und vorstellen könne. – Wie heißt es denn? – Photoshop! – Mit dem bescheuerten Namen hat das sowieso keine Zukunft, aber ich schaue es mir trotzdem mal an …
Du hast mal als Theatermaler gearbeitet. Malst Du heute noch gelegentlich mit Pinsel und Farbe – abgesehen vom Anstreichen beim Renovieren?
Nein. Erstens wegen meines schlaganfall-lädierten Arms, da reicht die Feinmotorik nicht mehr, obwohl ich mit Maus und Wacom-Stift ganz gut zurechtkomme. Zweitens: Wenn man sich erst mal an „Rückgängig“, Ebenen, Einstellungsebenen usw. gewöhnt hat, ist einem alles analoge Zeichnen und Malen zu endgültig. Jedenfalls geht das mir so.
Hast Du noch Deinen ersten Mac?
Schlimmer: Ich glaube, ich habe fast noch alle alten Macs. Und den ersten sowieso.
Wie stellst Du Dir die Zukunft der Bildbearbeitung vor?
Immer mehr automatisierte Funktionen, stärkeres Zusammenwachsen von 2D und 3D.
Welche Funktion(en) vermisst Du schon lange in Photoshop?
Viele. Vor allem aber wirklich intelligentes und objektbezogenes Freistellen, das brauche zumindest ich am häufigsten. Aber dazu ist wohl noch einiges an künstlicher Intelligenz nötig.
Gehst Du eigentlich am Nikolaus-Tag aus dem Haus?
Na klar, auch, wenn ich weiß, was dann geschieht. Das schönste Erlebnis in diesem Zusammenhang hatte ich aber mal im Frühling in einem Supermarkt in Florida. Da flüsterte ein kleines Mädchen ihrer Mutter aufgeregt zu: Guck mal, der sieht aus wie der Weihnachtsmann. Daraufhin sagte ich zu ihr: Ich sehe nicht so aus, ich bin der Weihnachtsmann. Aber das ganze Jahr am kalten Nordpol zu hocken, ist mir zu langweilig. Deswegen mache ich jetzt hier Urlaub. So große, strahlende Augen habe ich selten in meinem Leben gesehen – sie hat bestimmt tagelang von diesem Zusammentreffen gezehrt.
Wenn die ersten Menschen auf dem Mars landen (so in circa 30 Jahren), werden sie dann Photoshop dabei haben?
Mit Prognosen halte ich mich lieber zurück, die sind meist unseriös. Wenn das Programm nicht bald mal grundlegend überarbeitet wird, wahrscheinlich nicht, weil es dann so groß sein wird, dass man es nicht mitnehmen kann.
Was ist das älteste (bekannte) Bild der Welt? Und wie ist es beschaffen?
Als sei ich dafür Experte! Wenn ein Bild ein von Menschen hergestelltes Objekt ist, das Sichtbares fixiert, von anderen Menschen betrachtet wird und noch heute existiert, dann kommen wahrscheinlich nur irgendwelche Höhlenmalereien in Frage. Verzichtet man auf diese Voraussetzungen, dann könnte man auch sagen, dass der Schatten, den ein früher Planet, von seiner Ursonne angestrahlt, auf eine gewaltige Staubwand dahinter projiziert hat, ein erstes „Bild“ gewesen sei.
Verlieren die modernen Menschen die Fähigkeit zu schreiben und ertrinken sie stattdessen in einer Bilder- und Filmflut?
Die Finnen schaffen die Handschrift ab, weil sie die Kinder zu sehr anstrenge. Die Deutschen haben ihre Rechtschreibung reformiert, weil sie so schwer zu erlernen sei. Selbst denken muss man eigentlich auch nicht mehr unbedingt, weil das ja auch Mühe bereitet – außerdem gibt es ja die Einblendungen von Google oder Facebook, die einem sagen, was man tun und kaufen soll. So lange man diese Nachrichten noch lesen muss, um motiviert zu werden, draufzuklicken und den Konzernen so Einnahmen zu verschaffen, werden die auch erlauben, dass noch gelesen und geschrieben wird.
Kriegst du noch alle Cover deiner Bücher (einschließlich des einen noch nicht geschriebenen) zusammen?
Ja – aber ich werde jetzt nicht in meine Bibliothek gehen und die alle scannen.
Wann kriegen wir im DOCMA-Editoral mal ein neues, gut ausgeleuchtetes Foto von dir zu sehen?
Das ist doch gut ausgeleuchtet. „Gut“ ist eine Wertkategorie – geeignet, einen bestimmten Zweck zu erreichen. Dank der Beleuchtung sieht man nicht, dass ich schon so alt bin. Auf einem neuen Foto dagegen würde man gleich meinen inzwischen fast weißen Bart erkennen.
Du bist in Kassel aufgewachsen und jetzt lebst du wieder in beziehungsweise bei Kassel. Was verbindet dich mit dieser Stadt?
Eben dies, dass ich hier aufgewachsen bin (und mich immer noch erstaunlich gut auskenne). Die Stadt liegt recht zentral, das Umfeld ist landschaftlich schön – aber ich bin noch nicht lange genug wieder hier, um Kontakte aufgebaut zu haben.
Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, die DOCMA zu gründen?
Christoph Künne und ich haben zuvor für andere Zeitschriften gearbeitet. Da konnten wir Themen und Umfänge zwar vorschlagen, aber nicht bestimmen. Und da ich in der Zeit unserer Gründung bereits fast 20 Jahre als Chefredakteur eines anderen Magazins gearbeitet hatte, wollte ich selbst bestimmen, was wie umfangreich vorgestellt wird, damit es für die Leser/innen nachvollziehbar ist.
Geburtstag am Valentinstag: Bekommst du wirklich jedes Jahr einen Blumenstrauß?
Nein, nie. Lieber ein Buch (obwohl ich schon eins habe). In diesem Jahr lag der Tag ja ohnehin seltsam: Valendienstag, Rosenmontag, Aschermittwoch …
Wie stehst Du heute zur documenta?
Ich kannte ja noch die Gründer recht gut aus meiner Zeit an der Kasseler Kunstakademie, mit einem war ich sogar befreundet. 1972 hatte ich noch ein Gegen-Plakat gemacht (das heute sogar im Haus der deutschen Geschichte hängt), 1977 einen Materialienband zur documenta 6 mit herausgegeben. Seitdem gehe ich zwar jedes Mal hin und laufe durch die Hallen und ärgere mich – aber es bringt wenigstens Leben nach Kassel. An meiner Abneigung jedoch ist die documenta unschuldig – es gibt wenig in der Kunst seit Beginn der Moderne, die mich anspricht. Antike, Renaissance, Klassik, sogar Salonmalerei des späten 19. Jahrhunderts würde ich allemal vorziehen.
Der Trend geht ja wieder zum Bart, aber ich bin noch skeptisch. Was spricht für den Bart?
Da ich meinen nun ununterbrochen seit 1969 trage, kann ich die Frage mangels alternativer Erfahrungen nicht beantworten. Man spart sich das Rasieren – dafür kann ich keine Zuckerwatte mehr essen und Eis besser im Schälchen mit Löffelchen. Über den neuen Trend könnte ich mich ja freuen – aber man sieht den Bürschchen meist zu peinlich an, wie sie noch vor einem Monat aussahen und dass sie den Vollbart nur tragen, weil ihnen jemand gepredigt hat, das sei jetzt angesagt (grausiges Wort).
In deinem Arbeitszimmer stehen ziemlich viele Modelle von Film- und Fantasie-Figuren herum. Ist es das Kind im Manne oder was hat es damit auf sich?
Vielleicht. In meiner Lebensgeschichte markiert es die Zeit, in der ich meine Bücher über die Psychologie des Horrors und die Kulturgeschichte der Außerirdischen geschrieben habe – damals habe ich die meisten von ihnen angeschafft.
Eine Frage, die viele Profis interessiert, die täglich mit Photoshop umgehen: Kann man sich nach 25 Jahren Photoshop gewohnte Abläufe überhaupt noch abgewöhnen und sich neue Wege und die Möglichkeiten neuer Features erschließen? Fällt dir so etwas eher schwer oder leicht beziehungsweise wieviel Zeit braucht dies?
Es ist in der Tat schwer, sich Routinen abzugewöhnen, die man seit Jahrzehnten anwendet. Dank der Artikel der jüngeren Kollegen in DOCMA lerne ich aber immer wieder neue Wege für Problemlösungen kennen und probiere sie aus, wenn sie zu meinem Workflow passen. Oder es geht andersrum: Ich beschreibe in einem Tutorial für DOCMA eine Vorgehensweise, und in den Korrekturanmerkungen dazu schreibt mein Kollege Olaf Giermann: Aber das ginge doch so oder so viel schneller/besser. Und meistens hat er recht.
Hast du in der ersten Photoshop-Version tatsächlich aus dem Handbuch gelernt? Heute füllen ja allein die reinen Funktionsbeschreibungen schon kiloschwere Bücher oder stundenlange Videotrainings (beziehungsweise mit Anwendungen aktuell 63 Hefte DOCMA).
Damals war das alles ja noch sehr überschaubar. Das erste Mac-Betriebssystem passte auf eine 400-KB-Diskette, und dann war dort noch genug Platz für Fonts und anderes.
Da ich, wie weiter oben beschrieben, für eine Computerzeitschrift ab der zweiten Hälfte der Achtziger alle neuen Bildbearbeitungsprogramme und Plug-ins getestet und vorgestellt habe, war sogar die Konsultation des Handbuchs nur selten nötig. Die Funktionen der Programme waren ja recht ähnlich. Ich habe immer lieber experimentiert und nur nachgeschaut, wenn ich nicht weiter kam. Und da ich die späteren Versionen immer schon als Betas auf dem Tisch hatte, kannte ich die neuen Funktionen meist besser, als ich sie aus den Handbüchern hätte erlernen können.
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