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Wie viele Farben sehen Sie?

Können unsere Bildschirme nur 768 verschiedene Farben darstellen, wie unser Leser „elliz“ hier jüngst behauptete? Offenkundig ist das falsch, aber der Hintergrund seiner Idee ist trotzdem nicht uninteressant.

Vor drei Wochen hatte ich an dieser Stelle die 16.777.216 Farben erwähnt, die sich mit 8 Bit pro RGB-Kanal darstellen lassen, aber elliz – einer meiner beiden größten Fans, wie es scheint ? – wandte ein : „Richtig ist, dass für Ausgabegeräte (Bildschirme) die drei Grundfarben mit je 256 Helligkeitsstufen zu Farbtönen kombiniert werden. Also 256 Rottöne + 256 Grüntöne + 256 Blautöne; folglich maximal 768 verschiedene Farbtöne, niemals jedoch Millionen von Farben.“ Unter den 256 Helligkeitsstufen der Grundfarben Rot, Grün und Blau ist Schwarz allerdings gleich drei Mal vertreten, so dass wir zwei davon abziehen müssen; es wären also gerade mal 766 Farben:

Wie viele Farben sehen Sie?
Die roten, grünen und blauen Bildpunkte eines RGB-Displays können diese insgesamt 766 Farben annehmen.

Diese kärgliche Farbpalette ließe viele Farben vermissen. Es fehlten alle Orange-, Gelb-, Blaugrün- und Violetttöne, aber auch Graustufen und Weiß sowie generell alle nicht voll gesättigten Farben. Diese sind jedoch in der 24-Bit-RGB-Farbpalette enthalten, weshalb sie uns die Darstellung farbenfroher wie auch schwarzweißer Bilder erlaubt:

Wie viele Farben sehen Sie?
In der Praxis lassen sich mit 24 Bit eine Vielfalt von Farben darstellen, insgesamt fast 16,8 Millionen – Graustufen mit eingeschlossen.

Um die Zahl darstellbarer Farben zu ermitteln, müssen wir die Zahlen der Helligkeitsstufen in jedem der drei Kanäle nicht addieren (256 + 256 + 256 = 768 – tatsächlich 766, weil wir sonst Schwarz dreimal zählen), sondern multiplizieren: 256 × 256 × 256 = 16.777.216 Farben.

Um das Körnchen Wahrheit in elliz’ Idee zu entdecken, müssten Sie zu einer starken Lupe greifen und ganz nah an den Bildschirm herangehen, bis sich das Displaybild in die einzelnen Farbpunkte auflöst, aus denen es sich aufbaut. Bei den heute gängigen High-DPI/Retina-Displays sind diese winzig klein: Der iMac beispielsweise, an dem ich diesen Text schreibe, hat eine Auflösung von 218 Pixel pro Zoll (ppi), und die einzelnen RGB-Farbpunkte sind noch einmal kleiner als die Pixel (etwa 378 dpi).

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Kommt man dem Display so nahe, dass sich die einzelnen RGB-Bildpunkte erkennen lassen, schrumpft die Farbpalette tatsächlich auf 766 Farben – man sieht nur noch verschiedene Helligkeiten von Rot, Grün und Blau. Hier ist das Display eines Full-HD-Fernsehers zu sehen; die Bildpunkte eines iMac-Bildschirms erwiesen sich als zu klein, um sie in dieser Größe zu zeigen.

In dieser Perspektive sehen Sie tatsächlich nur noch unterschiedlich helle Rot-, Grün- und Blautöne, also die von elliz beschriebene Farbpalette. Allerdings erkennen Sie kein Bild mehr, und selbst das dargestellte Detail ließe sich kaum noch identifizieren. Treten Sie hingegen zurück, sehen Sie erneut das Bild in Millionen von Farben – oder zumindest in so vielen Farben, wie Ihre Augen überhaupt unterscheiden können. Insofern ist elliz’ Sichtweise praxisfremd, weil sie sich auf eine Ansicht bezieht, mit der Sie nichts Sinnvolles anfangen könnten.

Würde man dasselbe Spielchen mit gedruckten Bildern treiben, fiele der Unterschied übrigens noch krasser aus. Beim Druck kann die Helligkeit der Farben nicht variiert werden; die einzelnen Farbpunkte unterscheiden sich nur in Größe und Abstand. Rücken Sie also einem gedruckten Bild mit der Lupe näher, sehen Sie nur noch fünf (in Zahlen: 5) Farben, die Druckfarben Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz sowie das Weiß des Papiers – aus einem normalen Betrachtungsabstand aber erneut unzählige Farbtöne, Sättigungsstufen und Tonwerte.

Dass die Farben der Bildpunkte zu Millionen von Mischfarben verschmelzen, liegt daran, dass die Farberkennung unseres Gehirns mit einer geringen Ortsauflösung arbeitet, die geringer ist als die Auflösung der farbempfindlichen Sinneszellen (Zapfen) in der Netzhaut selbst. Diese Art der Farbmischung ist nicht einmal auf eine so hohe Displayauflösung angewiesen, dass man keine Pixel mehr erkennen kann. Selbst wenn wir die einzelnen Farbpunkte bereits auflösen, registriert das Gehirn noch Mischfarben – ein Effekt, den schon die Maler des Pointillismus ausgenutzt haben.

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Ein Ausschnitt aus Georges Seurats „Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte“ (1884–1886), einem Werk des Pointillismus

Und trotzdem: Auch wenn wir rote, grüne und blaue Farbpunkte nicht mehr als separate Punkte sehen, könnten wir sie doch anhand ihrer Wellenlängen unterscheiden – jedenfalls theoretisch. Würden wir das Licht eines aus drei Farbpunkten gebildeten Pixels durch ein Prisma oder Beugungsgitter schicken, wären im so erzeugten Spektrum drei separate Linien in Rot, Grün und Blau auszumachen. Aber in unseren Augen gibt es keine Prismen und es findet keine Spektralanalyse statt; wir können also keine einzelnen Wellenlängen identifizieren. Unser Farbsehen beruht allein darauf, dass es drei Arten von Zapfen mit unterschiedlicher spektraler Empfindlichkeit gibt: S-, M- und L-Zapfen, und ja, die Buchstaben haben dieselbe Bedeutung wie bei Kleidergrößen, denn sie beziehen sich auf kurze („short“), mittlere und lange Wellenlängen. Das Empfindlichkeitsmaximum der drei Typen liegt bei 420 (Blauviolett), 535 (Grün) beziehungsweise 563 Nanometer (Gelbgrün), aber die spektralen Empfindlichkeitskurven überlappen sich, so dass jede Wellenlänge von zwei oder drei Arten von Zapfen registriert wird, nur mit jeweils unterschiedlicher Empfindlichkeit.

Aus den Impulsen dieser Sinneszellen konstruiert unser Gehirn die Farben, wie wir sie sehen. Obwohl das Farbsehen eine physikalische Grundlage hat, denn es beruht ja darauf, dass Licht unterschiedlicher Wellenlängen die Augen erreicht, ist es doch erst das Gehirn, das diese Reize als Farben interpretiert. Die Physik kennt keine Farben, sondern nur Licht mit unterschiedlicher Wellenlänge und Energie. Wir differenzieren Farben dagegen nach Farbton, Sättigung und Luminanz. Dabei lässt sich die Luminanz noch am ehesten auf eine physikalische Ursache zurückführen, nämlich auf die Energie aller registrierten Wellenlängen des sichtbaren Lichts. Allerdings gehen die Wellenlängen darin nicht mit gleicher Gewichtung ein; Grün zählt mehr als Rot und Rot mehr als Blau.

Beim Farbton ist die Korrespondenz schon komplexer. Wenn wir Wellenlängen von 400 bis 700 Nanometer betrachten, sehen wir nacheinander die Farben des Regenbogens Violett, Blau, Cyan, Grün, Gelb, Orange und Rot – der wahrgenommene Farbton scheint also der Wellenlänge zu entsprechen. Eine Mischung aus zwei Wellenlängen nehmen wir aber nicht getrennt, sondern als einen einzigen Farbton wahr, der einer Wellenlänge zwischen den beiden entspräche. Es gibt unzählige Paare zweier Wellenlängen, die dieselbe Farbempfindung hervorrufen – ein Phänomen, das als Metamerie bezeichnet wird. Welche Wellenlänge wir als Mischfarbe zu sehen meinen, hängt vom Mischungsverhältnis ab: Strahlt das Licht beider Wellenlängen gleich hell, liegt die Mischfarbe in der Mitte, und ansonsten näher bei der helleren Wellenlänge.

Die für langwelliges, vor allem rotes und gelbes Licht empfindlichen L-Zapfen haben noch ein Nebenmaximum der Empfindlichkeit im violetten Bereich, also am entgegengesetzten Ende des Spektrums. Deshalb reizt Violett sowohl die S- als auch die L-Zapfen, und damit schließt sich der Farbkreis: Für unser Gehirn gibt es nicht nur Farbtöne zwischen Rot und Grün sowie zwischen Grün und Blau, sondern auch zwischen Blau und Rot. Als Zwischenwert zwischen Violett und Rot konstruiert das Gehirn die Farbe Purpur, der keine Wellenlänge entspricht; sie existiert für uns nur als Mischfarbe von Blau und Rot. Vom Spektrum der Wellenlängen her betrachtet kommt jenseits von Violett nur noch Ultraviolett und jenseits von Rot Infrarot; dass sich diese Extreme wieder begegnen, erscheint physikalisch völlig unmotiviert – es gibt keinen Kreis von Wellenlängen, der dem Farbkreis entspräche.

Da also zwei Wellenlängen einen Reiz verursachen, der von dem einer einzigen, dritten Wellenlänge ununterscheidbar ist, und mit unterschiedlichen Mischungsverhältnissen der Eindruck jeder Wellenlänge zwischen den beiden hervorgerufen werden kann, sind nur drei Grundfarben nötig, um jede Farbe des Farbkreises darzustellen. Aus verschiedenen Anteilen von Rot und Grün, Grün und Blau oder Blau und Rot lässt sich beliebig fein aufgelöst der Eindruck jeder beliebigen Wellenlänge zwischen diesen Paaren erzeugen.

Die Vorstellung eines Farbkreises ist alles andere als selbstverständlich. Viele Säugetieren – beispielsweise Hunde und Katzen – haben nur S- und L-Zapfen und können daher keinen Farbkreis wahrnehmen. Und nicht nur das – sie kennen auch kein Konzept der Farbsättigung.

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Fügt man einer orangefarbenen Mischung von 100 Prozent Rot und 50 Prozent Grün etwas Blau hinzu, wird die Mischung zunächst nicht blauer, sondern verliert lediglich an Sättigung. Erst wenn der Blauanteil den Grünanteil übersteigt, beginnt sich der Farbton in Richtung Violett zu verschieben.

Um jeden beliebigen Farbton (einschließlich Purpur) darzustellen, genügen uns jeweils ein Paar der Grundfarben, also Rot und Grün, Grün und Blau oder Blau und Rot. Die jeweils dritte RGB-Komponente kann gleich Null gesetzt werden. Was aber passiert, wenn dieser dritte Wert größer als Null ist? 100 Prozent Rot, 50 Prozent Grün und 0 Prozent Blau ergeben beispielsweise Orange. Wenn wir diesem gesättigten Orange nun schrittweise immer mehr Blau hinzu geben, wird die Mischung nicht etwa blauer – sie behält ihren Orangeton, wird aber heller und blasser; das ursprünglich kräftige Orange verliert seine Sättigung. Erst wenn der Anteil von Blau 50 Prozent übersteigt und Blau damit zur zweithellsten RGB-Komponente wird, verschiebt sich der Farbton in Richtung Violett; nun ist es der Anteil von Grün, der dessen Sättigung bestimmt. Es ist also immer die schwächste der drei RGB-Farbkomponenten, von der die Sättigung abhängt. Dem entspricht keine physikalische Größe, denn das Konzept der Sättigung beruht allein auf der Existenz von drei Farbrezeptoren mit überlappender spektraler Empfindlichkeit.

Ein Fangschreckenkrebs – mehr „bad ass“ geht in der Tierwelt nicht. Quelle: Silke Baron

Mit unseren drei Klassen von Zapfen sind wir allerdings noch weit vom Gipfel der Evolution entfernt. Fangschreckenkrebse haben bis zu 16 verschiedene Zapfen und können vier verschiedene Wellenlängenbereiche im ultravioletten Bereich (315, 330, 340 und 380 Nanometer) unterscheiden, dazu den Polarisationswinkel und zirkular polarisiertes Licht, wie es zirkulare Polfilter erzeugen. (Übrigens können Fangschreckenkrebse ihre Arme mit einer so hohen Geschwindigkeit vorschnellen lassen, dass sie das Wasser zum Kochen bringen und dabei Lichtblitze durch Sonolumineszenz entstehen. Auf diese Weise töten und zerlegen sie ihre Opfer, ohne sie überhaupt zu berühren. Es heißt, dass sie auch das Glas von Aquarien sprengen können, weshalb sich Fangschreckenkrebse kaum als Haustiere eignen.) Kolibrifalter haben 15 Zapfentypen, wobei allerdings noch unklar ist, ob sie alle zur Differenzierung verschiedener Wellenlängen genutzt werden. Was diese Tiere mit ihrem Gehirn sehen, können wir kaum erahnen, aber sie haben einen entscheidenden Nachteil: Fotografie und Bildbearbeitung wäre für Fangschreckenkrebse und Kolibrifalter ungleich komplexer als für uns, die wir mit RGB-Bildern aus drei Grundfarben bereits alle Farbeindrücke hervorrufen können, die für unsere Augen überhaupt wahrnehmbar sind.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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