Stellt man Kunstwerke nicht allein der Kunst wegen her, so macht man sich in der Regel Gedanken darum, wie sich für Betrachter am besten Informationen sichtbar machen lassen – Zusammenhänge, Entwicklungen, Absichten … Ein gerade erschienenes Buch zeigt erstmals die lange Geschichte der Informationsgrafik auf. Sie lernen dabei nicht nur, wie Visualisierung funktioniert, sondern auch, dass Menschen sie schon seit vielen Jahrhunderten gezielt eingesetzt haben.
Manche Menschen machen Kunst um der Kunst willen. Das Schlagwort „l’art pour l’art“ entstand bereits Anfang des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Derartige Kunst ist im Wortsinne selbstgenügsam; sie verzichtet auf die Wiedergabe sichtbarer Realität, überhaupt weitgehend auf jeglichen Bezug zu ihr. Es reicht ihr – und ihren Produzent/innen –, reine Form zu sein und als solche wahrgenommen zu werden.
Dem gegenüber stehen Kunstwerke und andere absichtsvoll hergestellte Ergebnisse gestalterischen Schaffens, die mit der Absicht produziert werden, etwas auszusagen, das über sie selbst hinausreicht. Das kann die bloße Wiedergabe von etwas sein, das der Betrachter nicht (oder so nicht) kennt und damit etwas über das Aussehen erfährt. Es kann aber auch – schwieriger, da im strengen Sinne nicht von einem statischen Medium wie Grafik oder Malerei abgedeckt – der Versuch sein, Zusammenhänge und Prozesse nachvollziehbar wiederzugeben.
Oder es mag auch darin münden, Absichten zu vermitteln. So ist es die Aufgabe von Werbebildern, Betrachter dazu zu bringen, die dargestellten Objekte oder Dienstleistungen zu erwerben, während es etwa die Zielsetzung politischer Propaganda ist, Menschen davon zu überzeugen, dass die dahinter stehende Gruppe Unterstützung verdient. Gebrauchsanweisungen sollen dabei helfen, Bücherregale und Küchenmöbel effektiv zusammenzuschrauben.
Bei all diesen Arten von Bildern geht es also darum, sie so zu konzipieren, dass eine Kommunikationsabsicht in eine sichtbare Form gebracht wird und auf diesem visuellen Weg Betrachter mit Informationen versorgt werden, die ihnen dabei helfen, das Dargestellte besser zu verstehen und danach in gewünschter Weise zu handeln. (Wenn ich einen U-Bahn-Streckenplan betrachte und verstehe, werde ich also an der richtigen Stelle in den richtigen Zug einsteigen und nach der kürzestmöglichen Strecke am gewünschten Ziel den Zug wieder verlassen).
Seit wann machen Menschen Informationen sichtbar?
Diese Frage ist schwer zu beantworten, aber in gewisser Weise beginnt dieser Prozess bereits bei urzeitlichen Höhlenzeichnungen. Jedenfalls reicht das, was wir heute mit dem Begriff Informationsgrafik bezeichnen, sehr viel weiter zurück, als es diesen Begriff gibt.
Der gerade erschienene, von Sandra Rendgen verfasste und von Julius Wiedemann herausgegebene Bildband „Die Geschichte der Informationsgrafik“ setzt erfreulicherweise nicht erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ein (oder gar mit der Ära, seit der Grafiken überwiegend mit digitalen Werkzeugen gestaltet werden), sondern bereits mit dem Mittelalter. (Frühere Beispiele wie etwa der gigantische antike Stadtplan von Rom (Forma Urbis) werden zumindest im Einleitungskapitel erwähnt.) Der Band stellt Hunderte von Bildbeispielen ausführlich vor und erläutert sie.
Wie lassen sich Informationen sichtbar machen?
Im Buch wechseln historische Kapitel mit solchen zur Konzeption von Informationsgrafik ab: So gibt es neben dem Kapitel zum Mittelalter solche zur frühen Neuzeit, dem 19. und dem 20. Jahrhundert. Dazwischengestreut ausgiebig bebilderte Essays zum visuellen Wissenstransfer „Linie, Farbe, Fläche, Zeichen“, „Daten in Karten sehen“, „Preziosen aus der Geschichte der Datenvisualisierung“ sowie „Menschen und Maschinen verstehen“.
Diese knapp 500 Seiten sind zwar nicht gerade ein Lehrbuch, das Sie an die Hand nimmt und Ihnen zeigt, wie Sie eine bestimmte Idee möglichst wirkungsvoll in ein Bild setzen können; im Vordergrund steht das Aufzeigen der historischen Entwicklung, wie Grafiker solche Aufgaben im Laufe der Jahrhunderte gelöst haben.
Aber nichts spricht dagegen, dieses Buch auch wie eine Gebrauchsanweisung zu behandeln und es mit der Zielsetzung zu lesen und zu betrachten, wie sich die vorgestellten Präsentationsmethoden für Ihre eigenen Projekte umsetzen lassen.
Schließlich sind Sie nicht die Ersten, die vor derartigen Problemen stehen – warum also nicht von den Vorgängern lernen und an ihre Gedanken und Erfolge anknüpfen? Denn nicht nur in den Wissenschaften gilt der Satz von Isaac Newton, den die Verfasserin im Einleitungstext zitiert: „Wenn ich weiter sehen konnte, so deswegen, weil ich auf den Schultern von Riesen stand.“
Als kleine kritische Randbemerkung: Wie üblich bei Ausgaben des Taschen Verlags ist auch dieses Buch liebevoll und professionell gestaltet, die Bildvorlagen sind hervorragend reproduziert. Die Schriftgröße der Bildlegenden allerdings – nicht die der Texte, die die Bilder erläutern – ist etwas zu klein geraten und schwer lesbar; und der Verzicht auf eine übliche Titelei, dafür ein senkrecht ausgerichteter Text mit dem Titel in einem hellen Leuchtgrün mit geringem Kontrast zum Papierweiß, setzt als Einstieg ins Buch nicht gerade den Grundgedanken des Werkes um, dass Gestaltung es den Betrachtern so leicht wie möglich machen sollte, Inhalte zu erfassen.