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Wählerwanderungen bei Foto-Apps

Manchmal erscheint ja das Gras auf der anderen Seite des Weidezauns grüner … Viele Fotografen sind ihrem Raw-Konverter, Fotoverwaltungsprogramm oder ihrer Workflow-Software nicht so treu verbunden, dass sie keinen Wechsel zu einem Konkurrenzprodukt in Betracht ziehen würden. Unter diesen Wechselwilligen findet die Firma Cyme ihre Kunden, und über deren Präferenzen hat sie jetzt aufschlussreiche Daten veröffentlicht.

Fast hätte ich es übersehen, aber eine Meldung der Kollegen von ProfiFoto stieß mich darauf: Die Firma Cyme, Hersteller der Software Avalanche, hat jüngst die Vorlieben wechselwilliger Anwender von Lightroom Classic, Capture One, Luminar, Aperture und anderen Apps in einer Statistik aufgeschlüsselt.

Wählerwanderungen bei Foto-Apps
Zu welchen Anwendungen wollten die Fotografen 2021, 2022 und 2023 wechseln? (Grafik: Cyme)

Dass ein Drittanbieter über solche Informationen verfügt, liegt an der Natur von Avalanche: Diese Software unterstützt die Migration von Bildkatalogen verschiedener Foto-Apps zu einer anderen, wobei die gewählten Entwicklungseinstellungen so weit wie möglich erhalten bleiben sollen. Es gibt Versionen für die Migration nach Capture One, Lightroom Classic, Luminar oder Apple Fotos, dazu eine „unlimited“-Version für die Unentschlossenen, die alle vier Anwendungen als Migrationsziel anbietet. Als Quelle unterstützen alle Versionen neben den genannten Anwendungen auch Apples mittlerweile eingestellte Workflow-Software Aperture, die Bilddatenbank iView MediaPro und Google Photos.

Die veröffentlichte Statistik verrät nun, wie sich die Verkaufszahlen der verschiedenen Avalanche-Versionen in den letzten drei Jahren verteilt haben. Diese Prozentzahlen sind wohlgemerkt nicht mit Marktanteilen von Capture One, Lightroom & Co. zu verwechseln. Wenn es um eine Wahl ginge, wären es nicht die prozentualen Stimmenanteile der Parteien, sondern eine Wählerwanderungsanalyse. Die beinharten Fans einer der Anwendungen bleiben hier also außen vor.

Auffällig ist, wie sich das Interesse an den beiden Platzhirschen Capture One und Lightroom Classic über die Jahre verschoben hat. Wollten 2021 noch 16,4 Prozent der Avalanche-Käufer zu Capture One wechseln, waren es im letzten Jahr nur noch 8,0 Prozent. Dagegen stieg das Interesse am Umstieg auf Lightroom, von 28,4 Prozent in 2021 bis auf zuletzt 46,8 Prozent. Der Lockruf von Luminar wurde dagegen stetig leiser: 2021 interessierten sich 19,4 Prozent der Wechselwilligen für diese Software, im vergangenen Jahr nur noch 4,7 Prozent. Allerdings waren sich nur rund zwei Drittel der Käufer sicher, welche Software sie bevorzugten; etwa ein Drittel (2023 waren es 29,7 Prozent) wählten trotz ihres höheren Preises die universelle Version von Avalanche, um sich nicht festlegen zu müssen.

Vor wenigen Jahren sah es so aus, als würde Capture One gegenüber Lightroom Classic Boden gut machen. Der ursprünglich aus dem Mittelformatbereich stammende Raw-Konverter, entwickelt für die Kameras von Phase One, unterstützte immer mehr Modelle fast aller Kamerahersteller – und zwar auch recht zeitnah, was lange ein Problem gewesen war. Sein mächtiges Ebenenkonzept gefiel ebenso wie die Regler für die Farbwiedergabe. Beim Demosaicing hatte Capture One ohnehin lange die Nase vorn, und es kam auch sehr gut mit dem moiré-anfälligen Sensoren ohne Tiefpassfilter zurecht, die früher nur im Mittelformatbereich verbreitet waren, heute aber allgemein üblich sind. Zudem wurde Capture One nachgesagt, es sei die Wahl der Profis, während Lightroom eher von Amateuren verwendet würde. (Nicht dass die Begriffe „Profi“ und „Amateur“ irgendetwas über die fotografischen Fähigkeiten der so Benannten aussagten.)

Seitdem hat Lightroom aufgeholt, unter anderem mit einem eigenen Konzept für lokale Bearbeitungen, das mit KI-Funktionen zur automatischen Freistellung verknüpft ist. Dass sich damit erzeugte KI-Masken automatisch anpassen, wenn man Einstellungen auf andere Bilder überträgt, ist ziemlich genial. Lightrooms »Verbessern«-Funktionen brauchen zwar etwas Zeit, aber die Bildqualität hat damit noch einmal deutlich gewonnen. Wer heute mit Lightroom arbeitet, hat nicht länger das Gefühl, auf irgendetwas verzichten zu müssen.

Adobe hatte Capture One unfreiwillig Kunden zugetrieben, die dem Zwang zum Abonnement entkommen wollten, aber nachdem Capture One nun ebenfalls stärker auf ein (gegenüber Adobes Angebot teureres) Abo setzt und die Preise künftiger Updates der Kaufversion unklar sind, scheint dieses Argument weitgehend entkräftet zu sein. Vielleicht haben sich manche Fotografen auch einfach mit dem Abo-Modell abgefunden. Wenn es um Filme oder Musik geht, hat sich das Abo längst gegenüber dem Kauf durchgesetzt; es ist kein Sonderweg mehr, sondern der Mainstream.

Eines kann ich mir allerdings nicht erklären, wenn ich so die Avalanche-Statistik betrachte: Warum gibt irgendjemand Geld dafür aus, sein Fotoarchiv zu Apples Fotos zu migrieren?


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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Kommentar

  1. Es gibt 2 Punkte, die Lightroom leider nicht hat oder was in Lightroom nicht richtig funktioniert:
    In CaptureOne kann ich zu Hause dort weiter machen, wo ich unterwegs aufgehört habe. Das ist bei Lightroom umständlicher.
    Tethered Shooting in Lightroom gleicht mehr einem Lotteriespiel als das man die Funktion vernünftig nutzen kann.
    Sonst ist Lightroom allerdings mittlerweile erwachsen geworden.

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