Die Gletscher verschwinden. Nicht nur im fernen Grönland, sondern auch vor unserer Haustür, in den Alpen. Der Klimawandel und seine Folgen sind hier direkt ablesbar. Das Buch „Gletscher – Klimazeugen von der Eiszeit bis zur Gegenwart“ von Gernot Patzelt stellt Aquarelle des frühen 19. Jahrhunderts und aktuelle Fotos von Alpengletschern gegenüber.
Vorher-Nachher-Bilder kennen wir aus unterschiedlichen Bereichen: Voluminöse Damen und Herren mit über den Gürtel schwappenden Bäuchen und traurigem Gesichtsausdruck – strahlend und mehr oder weniger gertenschlank nach vorgeblicher Einhaltung einer beworbenen Diät; eine flotte Frisur samt attraktivem Make-up statt strähniger Haare. Oder auch das: Stadtansichten vor dem Zweiten Weltkrieg – derselbe Ausschnitt mit zerbombten Ruinen – ein aktuelles Foto derselben Szenerie.
Bei Bildern von Gletschern ist es leider andersherum: Der alte Vorher-Zustand ist gigantisch und erhaben und zeigt gewaltige Eismassen, die sich glatt oder zerklüftet zwischen Alpengipfeln ins Tal winden – der heutige Anblick dagegen ist deprimierend: kahle Felslandschaften, ein paar traurige Eisreste, ein kleiner Teich mit Schmelzwasser. Viel mehr ist in den meisten Fällen nicht übrig geblieben.
Dabei trennen uns keine Jahrtausende von den einstigen, gewaltigen Gletscherströmen; den größten Teil ihres Volumens haben sie im vergangenen Jahrhundert verloren, verstärkt in den letzten Jahrzehnen.
„Die Landschaftsmaler waren die ersten, die die Erhabenheit von alpinen Gletschern anschaulich machten. Doch waren sie auch Pioniere der Forschung: Neben dem künstlerischen Aspekt offenbaren ihre Gemälde wertvolle Informationen über Aussehen und Verbreitung der Gletscher noch vor dem Beginn der systematischen Beobachtung. Insbesondere die Bilder von Thomas Ender und Ferdinand Runk aus dem frühen 19. Jahrhundert zeigen die Gletscher der Alpenregionen in großer Detailtreue. Das Buch des österreichischen Geografen und Hochgebirgsforschers Gernot Patzelt (*1939) arbeitet nun die Gletscherbilder von Ender und Runk auf, stellt sie fotografischen Aufnahmen von heute gegenüber und macht die Folgen der Klimaerwärmung sichtbar. Es fasst Patzelts Forschungsergebnisse aus Jahrzehnten zusammen und bietet eine Chronologie der Gletscher- und Klimaentwicklung der letzten 50.000 Jahre.“ So beschreibt der Verlag diese Neuerscheinung.
Die wenigen Bilder von Ferdinand Runk sind eher zu vernachlässigen, zumindest hinsichtlich ihrer ästhetischen Qualität. Als Dokumentationen dagegen sind sie durchaus von Interesse; viel mehr noch gilt das aber für die Werke von Thomas Ender, einem wichtigen Landschaftsmaler der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der seinerzeit im Auftrag des österreichischen Erzherzogs Johann Baptist auf zahlreichen Reisen die Hochgebirgsgletscher malte.
Gernot Patzelt stellt im ersten Teil dieses Bandes Aquarelle Enders heutigen Fotoaufnahmen des mehr oder weniger selben Landschaftsausschnitts unkommentiert gegenüber. Das wird dann aber in der zweiten Hälfte des Werkes über 50.000 Jahre Gletscherentwicklung in den Texten aufgegriffen.
Für Kunstinteressierte und Bildbearbeiter ist vor allem diese erste Hälfte des Buches von Interesse. Wir sind es ja eher gewohnt, solche Gegenüberstellungen mit Hilfe von Photoshop zu realisieren. Dass in diesem Fall die Wirklichkeit sich so rasant verändert, dass ein direktes Erleben des Wandels möglich ist, ist erschreckend.
Die zweite Hälfte ist eher für Leser/innen mit einem Hintergrund der Geo- und Klimawissenschaften geschrieben und behandelt die Rekonstruktion von Gletscher-Zuständen und -veränderungen, das Schwanken der Baumgrenzen und ähnliche Fragen.
Während der Band insgesamt einen positiven Eindruck hinterlässt, ist gestalterisch zu kritisieren, dass die gewählte blassblaue Farbe für die Texte deren Lesbarkeit deutlich erschwert. Die Idee, die Anmutung des Gletschereises auch in der Gestaltung aufzugreifen, ist zwar ganz nett – und wäre etwa für Überschriften und ähnliche typogafische Elemente sicherlich eine Bereicherung gewesen –, sie aber auch für Lesetexte zu verwenden, erscheint eher kontraproduktiv.
Wer in diesem Buch allerdings in Zeiten zunehmender Klima-Sensibilität einen flammenden Appell von Autor und Verlag gegen den Klimawandel und seine Verursacher erwartet, wird enttäuscht. Dabei eignet sich eigentlich kaum etwas so gut wie diese Gegenüberstellungen dazu, aufzuzeigen, was die Erwärmung nachweislich bereits angerichtet hat. Das bedroht zwar in diesem Fall unmittelbar nicht menschliches Überleben, zeigt aber exemplarisch, was uns in anderen Bereichen erwartet. Bedauerlich, dass diese Chance nicht genutzt wurde.
Gernot Patzelt: Gletscher. Klimazeugen von der Eiszeit bis zur Gegenwart, Hatje-Cantz Verlag, 2019, 256 Seiten, gebunden, Großformat, 50,00 €
Hallo Doc Baumann,
vorweg: ich habe das Buch nicht gelesen.
Aber wenn man sich das eine Foto anschaut sieht das echt bedrohlich aus. Nach Ihrem Artikel habe ich mal ein bisschen Google zu dem Thema und Buch befragt. Dabei habe ich ein Interview mit Herrn Patzelt gefunden, in dem er eigentlich das Gegenteil von dem behauptet was man aus Ihrem Artikel liest bzw. lesen soll.
Verwundert lese ich dort u. a. dass das „Gletschersterben“ als „… Beweis für eine menschengemachte, globale Erwärmung nicht taugt“.
Ich persönlich glaube daran das der Mensch zumindest mitschuldig an der globalen Erwärmung ist, aber das Buch das Sie hier vorstellen, bzw. die Ansicht des Autors scheint eine andere zu sein? Sofern das Interview, (ich versuche mal einen Link einzufügen) den realen Gesprächsinhalt wiedergibt. Ausschnitte dieses Interviews haben das Zeug dazu, „Verschwörungstheoretikern“ die an einer von Menschen gemachten globalen Erwärmung zweifeln, in deren Meinung zu unterstützen.
Link(?)
https://www.eike-klima-energie.eu/2010/01/07/klimawandel-und-die-gletscher-in-den-oesterreichischen-alpen-als-zeitzeugen/
Freundliche Grüße