Vermeidbare Fehler
Wenn der Gartenmarkt an der Ecke und das Möbel-Center im Gewerbegebiet ihre Prospektaufträge an den billigsten Anbieter vergeben, darf man keine beeindruckenden Montagen erwarten. Da hapert es dann oft ersichtlich bei der Bildlogik. Bei Hundert-Millionen-Projekten dagegen sollte dergleichen eigentlich nicht vorkommen. Doc Baumann hat sich Ridley Scotts Film „Alien Covenant“ auf DVD angeschaut – und ist entsetzt.
„Alien Covenant“ kam bereits vor etlichen Monaten in die Kinos. Da ich damals keine Zeit hatte, besorgte ich mir den Film jetzt auf DVD. Mit hohen Erwartungen, denn eigentlich finde ich – fast – alle Filme von Ridley Scott sehr überzeugend, zum Teil bahnbrechend. So war es bereits 1979 beim ersten „Alien“-Film, und auch „Prometheus“ deutete 2012 eine interessante Entwicklung an.
Da war die Erwartung naheliegend, „Alien Covenant“ würde 2017 in nachvollziehbarer Weise daran anknüpfen. Meine Enttäuschung kommt allerdings nicht daher, dass ich Fragen, die „Prometheus“ unbeantwortet ließ, nun nicht gelöst sehe. Entsetzt haben mich völlig unnötige und vermeidbare Fehler.
Scott dreht ja nun seit ewigen Zeiten Science-fiction-Filme, er hat Berater und Drehbuchautoren, es gibt Testvorführungen … Warum nur wird man dann als zahlender Zuschauer einer Produktion, die 111 Millionen US-Dollar gekostet hat, mit Logikfehlern bombardiert, die einem den kompletten weiteren Genuss des Films vermiesen?
Vermeidbare Fehler
1: Woher kommt die Energie für das Raumschiff?
Die erste Krise im Verlauf der Handlung tritt auf, als das Raumschiff „Covenant“ – mit Kolonisten im Tiefschlaf und eingefrorenen Embryos an Bord – auf dem Weg zu seinem fernen Zielplaneten Energie auftankt. Dazu werden große Segel aufgezogen, die die Energie einer nahen Sonne anzapfen. Da die Rede davon ist, dass die Reise zum Zielplaneten noch ein paar Jahre dauern wird, muss das Raumschiff nahezu mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sein, also unter relativistischen Bedingungen.
Das Raumschiff würde mit annähernder Lichtgeschwindigkeit gerade mal eine Viertelstunde brauchen, um eine Entfernung von 250 Millionen Kilometern zurückzulegen, das entspräche dem Durchmesser der Mars-Umlaufbahn. In dieser Viertelstunde – während der die Energieausbeute wegen der Entfernung zum Zentralgestirn nur über eine kurze Strecke nennenswert wäre – soll der Energiebedarf „aufgetankt“ werden. Das ist selbst bei einigen tausend Quadratmetern Segeloberfläche angesichts der Energiedichte nicht möglich.
Vermeidbare Fehler 2: Was richtet ein Neutronensturm an?
Plötzlich bricht über das Raumschiff ein – von diesem Stern ausgehender – Neutronensturm herein, der das mehrere hundert Meter lange Fahrzeug heftig durchschüttelt und eines der Segel abreißt.
Wie wir aus der unseligen Entwicklung der Neutronenbombe wissen, zeichnen sich Neutronen eben dadurch aus, dass sie feste Materie kaum beeinflussen, dagegen organische Materie in eine breiige Masse verwandeln. (Das war ja der Zweck ihrer Entwicklung: Menschen zu töten oder qualvoll verenden zu lassen, aber militärisches Gerät und die komplette Infrastruktur unversehrt zu belassen.)
Doch nehmen wir für einen Augenblick an, dieser „Neutronensturm“ sei so hefrig gewesen, dass er wirklich das Raumschiff durchgeschüttelt hätte. Da sich Neutronen mangels Ladung nicht aufhalten lassen, durchdringen sie die stärksten Panzerungen. Die Besatzung der Covenant und die tiefschlafenden Passagiere wären also in Sekundenbruchteilen verflüssigt worden und der Film mangels Akteuren zu Ende gewesen.
Vermeidbare Fehler 3: Wir fliegen jetzt weiter …
Nachdem die Schäden durch den Neutronensturm repariert sind, kommt der Befehl: „Wir fliegen jetzt weiter.“ Was nur einen Sinn ergibt, wenn man zwischenzeitlich geparkt hat – dass sich das Raumschiff kaum bewegt, kann man ja auch am Hintergrund der Sterne und der ausbruchswütigen Sonne erkennen.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, dass die Covenant nahezu mit Lichtgeschwindigkeit fliegt und so für den Durchmesser des Mars-Orbit gerade mal eine Viertelstunde benötigt. Ihre Masse ist gewaltig. Da sie Energie „auftanken“ muss, hatte sie zuvor nur begrenzte Mengen davon vorrätig. Man kann also leicht ausrechnen, wie groß die Energiemenge und wie lang der Bremsweg sein müssten, um von circa 1 Milliarde Stundenkilometer auf Null zu bremsen. Da wären Menschen und Maschinen bereits zu Brei geworden, noch ehe sich der Neutronensturm ankündigt. Oder man hätte viele, viele Jahre zuvor mit dem Abbremsen beginnen müssen.
Vermeidbare Fehler 4: Über den Wolken …
Die Covenant ist ersichtlich für den interstellaren Flug gebaut worden. Um in eine Planetenatmosphäre eindringen zu können, benötigt man Fluggerät mit aerodynamischen Eigenschaften. Kein Pilot käme auf die aberwitzige Idee, mit einem solchen Raumschiff durch eine Atmosphäre zu fliegen – das Ding würde in wenigen Augenblicken auseinandergerissen. Egal, welche phantastischen Antriebsmechanismen und Gravitationsaufhebungsapparate man sich ausdenkt: Das kann nicht funktionieren.
Vermeidbare Fehler sind – na eben – vermeidbar
Fehler 1: Scott hätte auf die Frage der Energieversorgung überhaupt nicht eingehen müssen; niemand hätte das vermisst. Irgendwo in der Covenant könnte ja ein großer Annihilationsgenerator stecken, der aufgesaugten interstellaren Staub zu Antimaterie verarbeitet (wo auch immer die Energie dafür dann herkommen mag).
Fehler 2: Statt des ominösen Neutronensturms mit seinen unsinnigen Folgen hätte es ein normaler Sonnenwind in Folge einer gewaltigen Protuberanz ebenso getan. Der ist sehr viel wahrscheinlicher und könnte die notwendigen Folgen haben, die für die Dramaturgie benötigt werden.
Fehler 3: Hier wird es zugegebenermaßen schwieriger. Eine Lösung: Der „Tankstop“ war von vorn herein eingeplant und das Raumschiff hat früh genug abgebremst. Dann könnte es mit verringerter Geschwindigkeit durch das Sternensystem fliegen und seine Segel ausfahren.
Problem dabei allerdings: Das Bremsmanöver kostet so viel Energie, dass es sehr viel einfacher wäre, weiter geradeaus weiterzufliegen. Denn zunächst muss die gesamte Masse des Schiffs auf fast Null abgebremst, anschließend wieder auf relativistische Geschwindigkeit beschleunigt werden. Das Auftanken muss also mehr Energie bringen, als diese beiden Manöver kosten. Es ließe sich ausrechnen, wie viel das ist – klar ist jedoch: zu viel!
Hinzu kommt am Rande: Aus den Filmaufnahmen der Covenant lässt sich erkennen, dass der Hauptantrieb hinten ist. Das Schiff bewegt sich aber immer vorwärts, selbst in der Planetenatmosphäre, wo es stark abbremsen müsste. Wie geht das?
Fehler 4: Ein Raumschiff mit Tausenden Kolonisten an Bord muss über zahlreiche Landungsfahrzeuge mit aerodynamischen Eigenschaften verfügen. Es gab keinen Grund, gleich das komplette Raumschiff in die Atmosphäre fliegen lasen zu müssen, eines dieser Module hätte völlig ausgereicht; das Mutterschiff hätte im Orbit verbleiben können, wie wir das aus anderen Filmen kennen.
Warum immer wieder vermeidbare Fehler?
Keine dieser unsinnigen Aktionen zur Aufhebung der Naturgesetze war also nötig. Es hätte gleichwertige Alternativen gegeben, ohne dass die Zuschauer etwas vermisst hätten. Ridley Scott ist inzwischen 79, aber daran wird’s kaum liegen. Außerdem gibt es ja noch seine Berater.
Es ist ja nicht so, dass man vergleichbare Beobachtungen nur in diesem Film machen könnte – zahllose Filme und Romane weisen dieselben Mängel auf. Fast immer gäbe es logisch gleichwertige Alternativen, mit denen die Filmleute sich nicht lächerlich machen würden. Und wenn es sie nicht gibt, sollte man eben eine andere Lösung suchen. Oft würde auch gar nichts fehlen, ließe man die dämliche Stelle einfach weg. Das ist genau dieselbe Missachtung der Betrachter wie die Montagemängel in den Anzeien – nur auf teurerem Niveau.
Vermeidbare Fehler: Wen stört das denn?
Dieses „Argument“ kann ich nicht mehr hören. Es stört alle, die wissen, wie es richtig wäre – ob bei 100-Millionen-Filmen oder 1000-Euro-Anzeigen. Selbstverständlich gäbe es eine Menge Fehler, die auch mir nicht auffielen: Medizinischer Unsinn in einer Krankenhaus-Serie zum Beispiel, wenn ich mir so etwas anschauen würde. Oder Fußballspieler, die in einem Dialog dem falschen Verein zugeordnet werden oder deren Vornamen man durcheinanderbringt. Es würde mir nicht auffallen und es würde mich auch nicht interessieren.
Nähme man in einer Filmszene einen Topf mit kochendem Wasser von einer Herdplatte und setzte anschließend ein Baby an diese Stelle, würden wohl alle merken, dass das sehr, sehr unwahrscheinlich ist. Und auch wenn diese Szene in einem Science-fiction-Film auftauchte, würde niemand nach Erklärungen durch geheimnisvolle Apparaturen suchen, die derlei problemlos erledigen, sondern würde sich entgeistert fragen: Was ist denn das für eine Scheiße!?
Man sollte also mangelhafte Plausibilität, Schlampeerei, Unwissenheit und vermeidbare Fehler nicht dadurch zu entschuldigen versuchen, was man selbst zufällig weiß oder nicht weiß. Es gibt in der Regel immer viele Menschen, die es besser wissen. Und für die ist der Rest eines solchen Films kein Genuss mehr, weil sie nun ständig auf die nächste Stelle warten, an welcher erneut solcher Blödsinn über sie hereinbricht. Denn, lieber Mr. Scott, dieses Genre heißt Science fiction und nicht Fantasy (fiction); die gibt es auch, und da darf man tatsächlich nach anderen Regeln spielen.
Vermeidbare Fehler oder unvermeidbare Fehler? Es gibt bei erdachten und erfundenen Welten in Geschichten, Büchern und Filmen immer wieder, fast laufend, unrealistische Situationen, ohne die kämen sie gar nicht zustande.
Kann man sich einen Star Wars-Film ohne den „Sound“ im Weltall vorstellen?
Ist es nicht genau so wenig glaubhaft, wenn eine Serienheldin wie Miss Marple oder alle, die ihr folgten, dauernd über Morde stolpert? Nicht mal ein tatsächlicher Polizist hat in seinem ganzen Leben so viele spannend konstruierte Fälle.
Fast alle Weltraumabenteuer gehen mit dem Problem der riesigen Entfernungen und dem Mangel an Energie bzw. der Erreichung einer praktikablen Reisegeschwindigkeit zwangsläufig sehr locker um. Warum ist klar: Denn sonst gäbe es keine Geschichte, weil man eben nicht den Ort des Geschehens erreichen kann.
Nur, das alles sind Geschichten, also Märchen im weitesten Sinn. Dass man Weltraumabenteuer schlampig in die Kategorie Science Fiction steckt liegt auch daran, dass Mitarbeiter in diversen Medien nicht eben gebildet und schon gar nicht präzise mit dem Umgang von Begriffen sind.
Um eine Geschichte richtig zu kategorisieren, muss man sie gelesen oder gesehen haben. Hat man nicht, ist es viel einfacher, einen in manchen Ohren gut klingende englische Worte zu nehmen, egal ob sie stimmen oder passen. Und dann gibt es auch noch die Leute vom Marketing.:)
Es lebe die Brennweitenverlängerung.
Interessant auch die Tatsache, dass die Akteure in Filmen niemals auf`s Klo müssen. Liegt vielleicht daran, dass sie im Film selten oder gar nicht essen (Ausnahme: Monster -die scheinen immer Appetit zu haben).