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Triennale Hamburg 2022

Triennale Hamburg 2022

Unter dem kuratorischen Schlagwort „Currency“ ist die 8. Photo-Triennale in Hamburg gestartet. Zwölf Ausstellungen mit Arbeiten von 77 männlichen und weiblichen Fotografen zeigen „Möglichkeiten, wie Wert und Bedeutung mit Fotografien verbunden sind und wie diese Bedeutung produziert, in Umlauf gebracht und interpretiert wird.“

Die Ausstellungen werden von zahlreichen Veranstaltungen und einem mehrtägigen Festival begleitet, das vom 2. bis 6. Juni 2022 stattfindet.

Triennale Hamburg 2022: Das Konzept

Deichtorhallen Hamburg: Hall for Contemporary Art
Osamu James Nakagawa, Fences, 2019 ©Osamu James Nakagawa. Triennale Hamburg 2022
Deichtorhallen Hamburg: Halle for Contemporary Art Osamu James Nakagawa, Fences, 2019 ©Osamu James Nakagawa

Am treffendsten lässt sich das Konzept „Currency“ des internationalen Kuratorenteams um die künstlerische Leiterin Koyo Kouoh vermutlich in der Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen Hamburg erkunden. Die Ausstellung „Photography Beyond Capture“ zeigt konzeptuelle Herangehensweisen an die Fotografie im „retinalen Zeitalter“.

Deichtorhalen Hamburg: Halle for Contemporary Art RaMel Ross, Man(whichishisnickname), 2019, aus der Serie South County, AL(aHaleCounty) , 2012-heute. Triennale Hamburg 2022
Deichtorhallen Hamburg: Halle for Contemporary Art RaMel Ross, Man (which is his nickname), 2019, aus der Serie South County, AL (a Hale County) , 2012-heute

In der Ausstellung sind Bilder zu sehen, die „Photographie nicht als Dokument von Essenz oder verbindlicher Wahrheit, sondern als Rahmen und Kontext für erzählerische Erfindungen“ verstehen wollen. „Die Ausstellung verwebt Formen experimenteller Aufnahmen mit archivarischer und dokumentarischer Praxis und beschwört alle Sinne ansprechende Erscheinungen herauf. Sie inszeniert Arbeiten vielgestaltiger photographischer Praxen und strukturiert diese anhand wesentlicher Motive: der Gegenüberstellung und Dekonstruktion visueller Kanons, der Darstellung aus dem Inneren von Gemeinschaften und sozialen Beziehungen, einer Gegenkartierung des Anthropozäns anhand von durch militärische Besatzung oder extraktivem Kapitalismus geprägten Landschaften, der Zärtlichkeit und der Währung des Intimen jenseits konventioneller Porträts, sowie poetischer Erkundungen alchemistischer Prozesse der Photographie.“

Alles klar?

Die Betrachtung

Deichtorhallen Hamburg: Halle für aktuelle Kunst Raed Yassin, The Company Of Silver Spectres, 2021. Acryl-Sprühfarbe auf gefundener Fotografie. Triennale Hamburg 2022
Deichtorhallen Hamburg: Halle für aktuelle Kunst Raed Yassin, The Company Of Silver Spectres, 2021. Acryl-Sprühfarbe auf gefundener Fotografie.

Vielleicht muss man, um diesen Anspruch in seiner Pressetextform und beim Betrachten der Exponate nachvollziehen zu können, im zeitgenössischen Kunstdiskurs beheimatet sein. Anderenfalls steht man in dieser Ausstellung zumeist vor Bildern, deren Sinn, Zusammenhang und Bedeutung verborgten bleibt. Aufklärende Textinformation fehlt größtenteils. Genannt wird meist nur der Titel und der Fotograf. Daneben stehen oft rechtlichen Aspekte sowie das Material des Exponats beziehungsweise Angaben zur Drucktechnik im Vordergrund.

Ein Genuss, der sich beim Betrachten einstellt oder eine kritische Reflexion, die mit Verständnis, Erkenntnis oder einer emotionalen Reaktion einhergeht, kommt in dieser Ausstellung nicht unbedingt auf.

2x Herbert List

Bucerius Kunst Forum Herbert List, Unter dem Poseidontempel, Sounion 1937, Münchner Stadtmuseum, SammlungFotografie, Archiv List © Herbert List Estate/ Magnum Photos/ Agentur Focus. Triennale Hamburg 2022
Bucerius Kunst Forum Herbert List, Unter dem Poseidontempel, Sowjetunion 1937, Münchner Stadtmuseum, SammlungFotografie, Archiv List © Herbert List Estate/ Magnum Photos/ Agentur Focus

Das mit dem Genuss beim Betrachten gelingt leichter mit den historischen Lichtbildern des in Hamburg geborenen Fotografen Herbert List aus den 30er bis 60er Jahren. Arbeiten von ihm findet man sowohl im Museum für Kunst und Gewerbe als auch im Bucerius Kunst Forum.

Das Bucerius Forum präsentiert rund 240 Vintage Prints, die in sieben Gruppen geordert sind und nicht nur das Schaffen des Fotografen dokumentieren, sondern gleichsam eine Reise durch die fotografische Entwicklung dieser Jahrzehnte darstellen.

Bekannt geworden ist List nach dem Krieg vor allem durch seine Künstlerporträts und Reportagen. Davor galt sein Interesse besonders jungen, muskulösen Männern, aufgenommen in heroischen Posen an den Ständen Italiens und Griechenlands.

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Herbert List, Belehrender Einblick in den Brustkorb, 1944, Silbergelatinepapier, 296x191mm, Herbert List Nachlass Hamburg © Magnum Photos / Herbert List Nachlass Hamburg
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Herbert List, Belehrender Einblick in den Brustkorb, 1944, Silbergelatinepapier, 296x191mm, Herbert List Nachlass Hamburg © Magnum Photos / Herbert List Nachlass Hamburg

Im Museum für Kunst und Gewerbe ist eine ergänzende kleinere Ausstellung mit dem Titel „Präuschers Panoptikum“ zu sehen. Sie präsentiert ein „noch nie gezeigte(s) Fotobuchprojekt“. Dabei handelt es sich um den Entwurf des Bilderbuchs einer Wiener Schaubude im Prater, in der bis zum zweiten Weltkrieg vor allem – damals nicht jugendfreie – anatomische Wachspräparate und Abbildungen zu sehen waren.

Daneben zeigt auch diese Ausstellung Fotos von jungen, nackten Männern. Nun allerdings als hochaktuelle Arbeiten, die formal stark an die Jahrzehnte in den Giftschrank verbannten „Triumph des Willens“-Motive Leni Riefenstahls erinnern. Aktuell sind die Bilder aber nicht deswegen, sondern weil Lists Fotos seit den 2000er Jahren „als Vorreiter eines »Queer Gaze« wiederentdeckt wurden – einer Bildsprache, die Geschlechterstereotype und damit verbundene Macht­verhältnisse in Frage stellt.“ Der einstmals faschistische Herrenrassen-Blick wird damit dank LGBTQ-Stempel wieder salonfähig. Das kann man moralisch aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und bewerten, man kann sich aber auch einfach an den schönen Männerkörpern erfreuen.

Fazit

Wenn man versucht, mit Fotokunst kulturelles Renommeé an einen Standort wie Hamburg zu bringen, ist das vermutlich eine recht verzwickte Angelegenheit. Ich zumindest möchte nicht in der Haut der verantwortlichen Kuratoren stecken, die bei einem solchen Projekt die richtige Balance zwischen Idee und Umsetzung finden müssen.

Zeigt man die im Kunstdiskurs relevanten Positionen, läuft man fast unweigerlich Gefahr, dass passiert, was ich oben beschrieben habe: Selbst der wohlmeinende Betrachter ist leicht überfordert und kann das Gezeigte nicht wertschätzen. Fokussiert man sich indes auf Konventionelles oder Althergebrachtes und versucht, darin zeitgenössisch Relevantes zu entdecken, schießt man leicht im guten Willen über das Ziel hinaus.

Weitere Ausstellungen

Die anderen neun Ausstellungen der Triennale sind in der Hamburger Kunsthalle, im Kunstverein in Hamburg, im Kunsthaus Hamburg, im MARKK–Museum am Rothenbaum, im Museum der Arbeit, im Jenisch Haus, im Museum für Hamburgische Geschichte, in den Deichtorhallen Hamburg: Sammlung Falckenberg und im Deichtorhallen Hamburg: PHOXXI zu sehen.

Mehr Infos zur Triennale Hamburg 2022

Wer sich einen Eindruck von dem sehr umfänglichen Programm der diesjährigen Triennale machen möchte, findet weitere Informationen auf der Veranstaltungs-Website.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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