Top 100 Fotografen: Weltberühmt?
Als ich die gestern gemeldete Liste der Top 100 Fotografen durchgesehen habe, fiel mir (mal wieder) auf, dass ich kaum jemanden davon kenne, und frage mich, was Berühmtheit heute eigentlich bedeutet.
In der kleinen Stadt, in der ich aufgewachsen bin, gab es eine berühmte Fotografin. Sie hatte ein Ladengeschäft und fertigte ihr Lebtag lang Porträts, Passfotos und Familienbilder an. Edith, so hieß die Dame, kannte jeder, sie war in der kleinen Stadt – so könnte man sagen – „weltberühmt“.
Ähnlich „weltberühmt“ erscheinen mir
die Fotografen, die im „Top 100 Fotografen Ranking“ aufgeführt sind. Von den Top 10 kannte ich immerhin noch drei: Mario Testino (Platz 4), Steve McCurry (Platz 7) und Terry Richardson (Platz 8). Von den restlichen 90 waren mir gerade mal 12 weitere Namen geläufig, wobei ich bei rund der Hälfte davon erstaunt war, sie auf der Liste der vermeintlich Einflussreichen zu finden.
Nicht, dass ich der weltgrößte Fotografie-Kenner wäre, aber bei der vielen Zeit, die ich seit Jahren mit fotografischen Web-Recherchen, bei Facebook, Tumblr, Flickr, 500px, Pinterest, mit Foto-Zeitschriften und Foto-Büchern verbringe, kommt mir diese Ausbeute etwas dürftig vor. Klar, die Welt des Internets mit ihren rund vier Milliarden Nutzern ist unübersichtlich, aber es gibt bestimmt eine ganze Reihe Fotografen, die bekannter und/oder relevanter sind als die auf dieser Liste versammelten.
Nehmen wir mal die Nummer 1 der „Weltrangliste“: Brandon Stanton. Er fotografiert Menschen in New York und inzwischen sind sogar schon zwei Bücher von ihm erschienen.
Wie kommt man unter die weltberühmten Top 100 Fotografen?
Der dieser Wertung zugrunde liegende Messwert „Web Popularity Index“ (WPI) bildet drei Faktoren über eine Zahl ab: Social-Web-Reichweite, Benutzerinteraktion und externe Referenzen. Allerdings wird weder erklärt, wie er sich genau errechnet, noch taucht er vor dieser Untersuchung an anderer Stelle auf. Edith hätte nach heutigen Maßstäben im Lauf ihrer Zeit bestimmt so um die 100 000 Follower gehabt, darunter viele, die immer wieder vorbeikamen, und damit eine hohe Interaktion. Wer fototechnische Fragen hatte, ging zu ihr, vertraute auf ihren Rat und bezog sich unter Freunden auf ihre Aussagen. Man könnte das auch als externe Referenz betrachten, aber so etwas hat früher niemand ausgezählt.
Da ich mir ein Bild von der Art des Weltruhms machen wollte, habe ich mir ein paar der Fotografen etwas genauer angeschaut. Zum Beispiel Platz 17, den ersten Deutschen auf der Liste, Robert Jahns. Er hat einen WPI von 110,86. Jahns, nach eigenen Bekunden „the world’s leading modern Digital Artist, Photographer and Art Director“ hat einen einzigartigen Ansatz, Bilder digital nachzubearbeiten – sagt er auf seiner Webseite. Auch wenn das vielleicht im ersten Moment etwas großsprecherisch klingen mag, über eine Million Accounts folgen ihm bei Instagram, er hat knapp unter 10.000 Fans bei Facebook, 1.300 Follower bei Twitter und 659 bei flickr.
Oder Platz 18, Michael Schulz mit einem WPI von 110,14. Er fotografiert bevorzugt mit einem Smartphone, hat bei Instagram rund 470.000 Follower und 58.000 Fans bei Facebook und 1.700 Follower bei Twitter.
Schauen wir etwas weiter unten auf der Liste zu Laura Zalenga auf Platz 54 mit einem WIP von 59,8. Wir haben sie in DOCMA 75 vorgestellt. Qualitativ ein Lichtblick in diesem Ranking, aber mit 462.000 Fans bei Facebook, 120.000 Abonnenten bei Instagram, 48.000 bei flickr, 1.500 Follower bei Twitter und 23.000 Follower bei 500px – warum auch immer – leider nur im mittleren Bereich.
Top 100 Fotografen: Resümee
Vielleicht kann man es kurz auf den Punkt bringen: Es scheint in hohem Maße Zufall zu sein, dass man auf diese Top 100 Fotografen-Liste kommt. Voraussetzung ist Aktivität im Social-Web und eine Bildsprache, die dem Geschmack der dort versammelten Menschen entspricht. Mit einem hat die Platzierung nur bedingt zu tun: mit inhaltlicher Bildqualität nach den tradierten Maßstäben der Fotogeschichte. Auch nicht mit Kunst oder mit finanziellem Erfolg. Das zeigt bereits ein flüchtiger Blick auf die Massen der Fotos. Auffällig ist auch, dass man keinen der großen, teuren Fotokünstler auf der Liste findet. Kein Gursky, kein Ruff, keine Candida Höfer, kein Jeff Wall, keine Cindy Sherman und selbst Peter Lick (der mit dem angeblich teuersten Foto der Welt) ist nicht dabei. Anscheinend haben die alle keine Zeit für Social Media. Um ein wenig weltberühmt zu werden, ist es also wichtig, massenkompatible Knipsbilder zu posten, bis der Arzt kommt – also egal was, aber das ununterbrochen auf möglichst vielen Kanälen.
Aber im Grunde hat Edith das auch nur getan. Ihre Bilder waren reine Funktion ohne künstlerisches Chichi. Edith war 45 Jahre lang in ihrem kleinen Ort berühmt. Sie hatte ein Haus, ein Studio, ein Auto und konnte sich immer mindestens zwei richtige Assistentinnen leisten, die ihr zur Hand gingen. Und sie hatte am Schluss sogar eine komfortable Rente. Ich bin mir nicht sicher, ob das für viele Vertreter dieser Top 100 Fotografen-Weltelite gleichermaßen gilt. Munter bleiben!
Fein angemerkt! Bin, auch überzeugt, die Ortsansässige -Fotografin ihre Mitarbeiter was beigebracht hat und ihren Beruf gelernt hat.Bei den die so auf den Listen landen, habe ich so meine zweifel. Mir ist das auch ergangen bei lesen dieser Liste, keinen oder kaum einen auf der Liste zu haben.Aber was ist in dieser Zeit noch Normal…
Volle Zustimmung. Diese Liste spiegelt die Misere der „zeitgenössischen Fotografie“ wieder: überwiegend kitschiger und beliebiger Einheitsbrei für die Massen.
Der Artikel spricht mir aus dem (social-media-irrelevanten) Herzen!
Der Beitrag gefällt mir. XXLPIX spricht bei den gelisteten Namen von den „internationalen Stars der Fotografie“ und betrachtet keine Fotografen, die außerhalb der sozialen Medien bedeutend erfolgreicher sind.
In einem Punkt Ihres Beitrags bin ich jedoch anderer Meinung. Es ist aus meiner Sicht kein Zufall, dass man auf diese Liste kommt. Es wird halt nur der Erfolg in den sozialen Medien gemessen, nicht mehr und nicht weniger.
Dieser Erfolg hat nichts zu tun mit der Anerkennung von Fotografen in anderen Anwendungsbereichen. Einen übergeordneten Qualitätsmaßstab über die verschiedenen Anwendungsgebiete kann es für Fotos nicht geben. In meinem Artikel „Was fotografierst du so?“ erläutere ich die Kernaussage „Voraussetzung für die Beurteilung von Fotos ist die Klärung des jeweiligen Einsatzzwecks“ ).
Bei der Beurteilung von Texten kommt man ja auch nicht auf die Idee Einkaufszettel, Protokolle, wissenschaftliche Abhandlungen und Romane miteinander zu vergleichen. Aber vielleicht gelingt es irgendwann auch in der Fotografie , dass man die Einsatzgebiete mit eindeutigeren Begriffen voneinander unterscheidet.