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Techtalk: Megapixelwahn

Der Auflösungs-Hype scheint ungebrochen. Nikon bietet längst 36 Megapixel im Vollformat, Canon liegt aktuell bei knapp über zwanzig, aber es gibt Gerüchte, dass der Hersteller demnächst die 40-Megapixel-Hürde knacken will. Ist das ein Gewinn für den Kunden?


Bis Anfang letzten Jahres war die ­digitale Fotowelt in drei Teile geteilt: Das semi­professionelle Marktsegment mit Sensoren bis zum APS-C-Format und bis zu rund 15 Megapixel Auflösung. Eine Liga darüber lag die professionelle Vollformat-Fraktion mit bis zu 25 Megapixeln und das kleine High-End-Segment mit größeren Sensoren, die 35 bis 80 Megapixel auflösten. Dann kam die Nikon D800 und brachte alles durcheinander.

Mehr als 36 Megapixel hatten die Ingenieure bei Sony (ja, daher kommen die ­Nikon-Sensoren) auf den Chip gepackt. Das sind rund 50 Prozent mehr, als man bei Sony selbst oder bei Canon erhält. Der Nachteil der feineren Auflösung bei ­gleicher Grundfläche sind logischerweise kleinere Pixel, die weniger Licht aufnehmen. Das führt – wenn nicht durch komplexe Berechnungen schon in der Kamera unterdrückt – fast unweigerlich zu vermehrtem Bildrauschen. Aber dieses Defizit macht sich bei der D800 in der Praxis kaum bemerkbar, außer bei sehr hohen ISO-­Einstellungen.
Der D800-Sensor erhielt in der Fachwelt überwältigende Bewertungen. DXO, ein Softwareanbieter, der auch Testsoftware produziert und sehr interessante Mess­ergebnisse kostenfrei zur Verfügung stellt (www.dxomark.com), hat den Bildsensor deutlich oberhalb seiner Klasse und auch oberhalb der zum Vergleich stehenden Mittelformat-Rückteile positioniert.
Dieses Wunderwerk der Technik lässt auch heute noch viele Nicht-Nikon-Foto­grafen zweifeln, ob sie nicht ihre alten Systeme veräußern und künftig auf jene Mega­pixel-Wunderdroge setzen sollten. Ich führe dauernd die Diskussion, ob die Nikon der Weisheit letzter Schluss ist oder nicht. Meist, weil die Bildermacher, die mich um Rat fragen – wider besseres Wissen – nur auf die Megapixel achten. Zweifel treten einzig bei der Frage auf, ob man für die damit verbundenen Datenberge dann nicht auch einen neuen Rechner und eine neue Archivlösung braucht. Um die kommt man langfristig kaum herum, denn 50 Prozent größere Bilder brauchen mehr Rechenleistung und mehr Speicherplatz.

Aber maximal auflösende Kameras brauchen noch etwas anderes, um ihre Fähigkeiten voll auszuspielen: neue Objektive. Im Grunde gibt es für Kameras wie die D800 noch gar keine Objektive, die eine so hohe Auflösung umfassend bedienen. In der digitalen Fotowelt gelangen die meisten Objektive bei Sensorauflösungen von 12 bis 15 Megapixel an ihre physikalischen Grenzen. Einzig teure Festbrennweiten erreichen – laut DXO-Mark – bis 18 Mega­pixel. Was aber passiert, wenn man solche Objektive an einer 36-Megapixel-Kamera nutzt? Ein paar Prozent steigt die Leistung durch sogenanntes „Oversampling“, weil die höhere Abstastung mehr Details erfasst, aber im Prinzip wird die Sensorauflösung nicht voll genutzt.
Das erklärt vielleicht auch, warum die Vergleichstests der D800 und der Canon 5D Mk III (Sensorauflösung 23 Megapixel) sich durch­aus die Waage halten bei der ­Bewertung, welche Kamera wohl die besseren Bilder macht. Beim Vergleich mit ähnlich auflösenden Mittelformatsystemen hat die Nikon bisher qualitativ immer etwas, aber nie dramatisch schlechter abgeschnitten. Der Grund dafür dürfte denn auch eher bei den Mittelformat-Objektiven von Leica, Hasselblad oder ­Schneider-Kreuznach zu suchen sein als beim ­Bildsensor.

Was kann man also tun, um die Auf­lösungsvorteile auszuschöpfen, wenn man schon eine D800 hat, mit ihrer Anschaffung liebäugelt oder eines Tages ein ähnlich hoch auflösendes Modell von Canon kauft? Zur Zeit wenig. Bei Nikon gibt es gerade mal zwei Objektive, die sichtbar von der Mehrauflösung profitieren. Es sind die Nikkore 85mm f/1.4G und f/1.8G, die die Kamera auf 22 Megapixel Auflösung bringen.
Auch das erste für hochauflösende Sensoren gerechnete Sigma 35mm f/1.4 aus der „Art“-Produktlinie schafft gerade mal 23 Megapixel an der D800 – und zum Vergleich 20 Megapixel bei der Canon 5D MK III. Hoffnung bietet im Moment nur das Otus 55mm f/1.4 von Zeiss, das speziell für Kameras mit einer ­Auflösung von über 30 Megapixel ausgelegt sein soll. Der Preis liegt bei rund 3500 Euro und damit in der Dimension von ­Mittelformatobjektiven.

Ein ganz banaler Aspekt, der sich erheblich auf die reale Auflösung von Fotos auswirkt, bleibt gerne unbeachtet: Die ­Gefahr der Verwacklung. Wer mit hochauflösenden digitalen Kameras ohne ­Stativ fotografiert, reduziert die Bildauflösung dabei fast unweigerlich, wenn er nicht mit kürzesten Verschlusszeiten arbeitet. Dieses Problem betrifft nicht nur Auflösungsriesen wie die D800, sondern im Grunde alle Kameras jenseits der 15 Megapixel-Grenze. ­Abhilfe schafft nur eine Bildstabilisation, und die bietet bisher keins der High-End-Objektive. ?Munter bleiben!

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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