Stirbt das Lesen?
In diesem Blogbeitrag geht es mir nicht um die aktuellen traurig-wirtschaftlichen Probleme von Presse- und Buchverlagen, für die ich als Freelancer-Redakteur inzwischen seit vielen Jahren Inhalte liefere, sondern vor allem um mein Verständnisproblem, warum offensichtlich (scheinbar?) immer weniger Menschen gern lesen – vor allem auf Tutorials bezogen.
Was ich verstehe
Auf das immer noch und immer noch zunehmend um sich greifende Clickbaiting (ich würde es als „Deppenfang“ übersetzen) bin ich bereits letztes Jahr in einem DOCMA-Blogbeitrag eingegangen.
Ein dazu paralleler Trend in den sozialen Medien ist, dass „schlaue“ Texte (also oft Sinnsprüche, vermeintlich erleuchtendes oder lustiges) als reiner Text nicht funktionieren. Nein – Text wird stattdessen in eine Bilddatei geschrieben und dann das Bild geteilt. Mich erinnert das an die immer noch verbreitete Unsitte, dass Bilder und Screenshots in Worddokumente eingefügt werden, um sie an den Empfänger zu schicken.
Genauso werden seit noch nicht allzu langer Zeit (meist lustige) Videos geteilt, die zuvor vom jeweiliger Verteiler einfach geklaut, personalisiert (also mit eigenem Logo versehen) und mit einem Kommentar und dem „Vor-Tränen-Lach“-Smiley in meist mehrfacher Ausführung versehen werden. Damit wirklich jeder den Gag versteht, um den es in dem Video geht („Ha ha, schau nur, wie sie gegen den Laternenmast rennt!“).
Es wird also das Offensichtliche nochmal in Text- und Icon-Form in das Video eingebrannt. Und bei jeder weiteren Verteilrunde solcher Videos wird durch immer wieder erneute Kompression der Clips, deren Qualität schlechter und schlechter … Aber Qualität spielt in sozialen Medien eben meist keine Rolle.
All das verstehe ich. Also zumindest, warum es funktioniert und (z.B. Video-) Qualität niemanden interessiert.
Was ich nicht verstehe
Ein (für mich) neuer Trend ist es, simple, kurze Texte in Videos einfach vorzulesen, währenddessen im Hintergrund eine mehr oder weniger zusammenhanglose Diashow von Bildern zum Thema durchläuft. Das fällt mir gehäuft vor allem bei z.B. focus-online auf. Und es nervt mich! Wer guckt sich das an? Der vorgelesene Text steht meistens direkt darunter und ist in wenigen Sekunden gelesen und erfasst – das zugehörige Video braucht dazu mehr als eine Minute, die vorgeschaltete Werbung kostet zusätzliche Wartezeit, die Bildershow zeigt meist nur Symbolbilder und keine mit dem Inhalt direkt und zeitnah verbundenen Bilder oder Videos. Was soll das?
Ich kann es mir nur so erklären, dass sehr viele Leute mit sehr viel Zeit und einer ausgeprägten Lesefaulheit diese Videos überdurchschnittlich oft anklicken. Am effektivsten ist dabei offensichtlich eine Kombination aus Clickbait und anschließendem Vorlesen. Meine Empfehlung: Klicken Sie so Videos mit dümmlicher/reißerischer Überschrift gar nicht erst an – sonst wird das immer schlimmer! Vielleicht kennen Sie den Film „Idiocracy“ … eine auf den ersten Blick total dümmliche Komödie, aber auf den zweiten Blick eine sehr gelungene Persiflage auf Tendenzen, die sich heute schon durch die Gesellschaft, die Medien und die Politik ziehen …
Meine Meinung zu Videotutorials
Wenn ich eins in meinem Studium (der Humanbiologie, falls es Sie interessiert) gelernt habe, dann war es wohl, wie ich Fakten (oder sagen wir lieber Daten) schnell recherchieren, das Wesentliche erfassen und dieses Wesentliche in den größeren (mir bekannten) Gesamtzusammenhang einordnen kann.
Am schnellsten funktioniert das für mich persönlich durch Lesen. Ich kann dabei Texte überfliegen, bei den wesentlichen Punkten verlangsamen, innehalten, reflektieren, woanders gegenlesen und dann direkt weiterlesen, Notizen im Text machen. Lesezeichen setzen, direkt die richtige Seite aufschlagen und den Sinn des gesetzten Lesezeichens auf einen Blick erfassen, ist in Buch- und Textform kein Problem.
Bei Videos diktiert Ihnen aber der Sprecher das Tempo. Ist er zu schnell für Sie? Zu langsam? Selbst bei gesetzten Lesezeichen müssen Sie sich zunächst einmal anhören, was der Sprecher zu sagen hat(te). Und wenn sich der Sprecher gern selbst reden hört, dann müssen Sie sich erst langatmig durch alles Um-den-heißen-Brei-Gelaber durchkämpfen. Vielleicht musste ich mir gerade deshalb schon oft anhören, dass manche meiner Videotrainings „zu schnell“ sind. Dabei rede ich nicht besonders schnell, sondern mag es eben nur nicht, „um den heißen Brei“ lange herumzureden. Und ich erkläre, ohne davon auszugehen, dass jemand dabei direkt jeden Schritt 1:1 mitmacht. Denn mich würde so etwas extrem langweilen und das Video extrem in die Länge ziehen, damit auch wirklich jeder mitkommt.
Dabei kristallisiert sich sehr schnell heraus, wer wirklich ein fortgeschrittener Photoshop-Anwender ist und wer bislang „nur“ das eigene, noch sehr beschränkte Wissen mit viel Zeit, Geduld und Talent zu dennoch großartigen Bildern umsetzt.
1. Einsteiger
Genau dieses Dilemma kann ich sehr gut nachempfinden, seit ich mich mit – im Vergleich zu Photoshop deutlich komplexerer – 3D-Software beschäftige. Für den Einstieg ist es am einfachsten, jemandem in einem didaktisch gekonnt aufbereiteten Videotraining zu folgen. Schneller versteht man die (je nach Software oft in relativ engen Grenzen vorgegebene) Vorgehensweise nicht! Die im Vergleich langatmigen Texte in vielen Büchern und Magazinen helfen da wenig, um schnell voranzukommen. Nur muss man auch hier die Spreu vom Weizen trennen.
„Viel Labern mit viel Blendwerk ohne wirkliche Inhalte“ finden wir heute in allen Medien und auf allen Ebenen – von der Politik über Tutorials bis hin zu persönlichen Gesprächen …
2. Fortgeschrittene
Je fortgeschrittener das eigene Verständnis für die eingesetzte Software wird, umso mehr nerven langatmige, stundenlange Videos. Denn da reicht oft schon ein kurzer Text oder gar ein einziger Hinweis, der die entscheidende Schlüsseltechnik und die entscheidende Denkweise auf den Punkt bringt. Weil: der Fortgeschrittene weiß, wie und wo er diese Hinweise einzuordnen hat. Textbasierte derart pointierte Tutorials sind heutzutage leider viel zu selten … Solche Perlen finden man oft in maximal-kondensierten, beschrifteten Screenshots von fähigen und großzügigen Könnern in Communities wie etwa bei Pixologic (ZBrush) oder The Foundry (MODO).
Meine DOCMA-Artikel
Langer Text, kurzer Sinn: Jetzt wissen Sie, was ich mir und wie ich beim Schreiben meiner Artikel in der DOCMA denke. Ich habe nicht den Anspruch ALLES zu erklären, sondern vor allem die entscheidenden Knackpunkte der Bildbearbeitung. In DOCMA 70 zum Beispiel verspreche ich mit meinem High-Five-System keine „mit Trick 17“ automatisch perfekten Bilder, sondern zeige Ihnen, wie Sie systematisch denken sollten, um das Beste aus Ihren Bildern zu holen. Wenn Ihnen DAS klar ist, spielt die verwendete Software und die in Photoshop eingesetzten Dialoge eigentlich keine Rolle mehr.
In diesem Sinne und mit besten Grüßen,
Ihr Olaf Giermann
Hei. Für mich sind Lehrvideos ebenso unverzichtbar wie das Lesen. Lesen heißt aber auch gedruckt, Papier …. Nix gegen E-Books, aber ein Buch oder Heft bleibt für mich durch nix zu ersetzen …
Das lesen stirbt auch dadurch, dass Texte in grauer Schrift vor weißem Grund stehen, so wie hier bei Docma. Und in diesem Eingabefeld für den Kommentar ist es noch schlimmer. Man kann fast nur erahnen, was man da schreibt.
Genau so unsäglich ist die Unart, weiße Schrift auf schwarzem Grund zu setzen.
Lesen kann Freude machen, es kann einem aber auch ganz schön verleidet werden. Also docma, denkt mal drüber nach.
Sorry, wenn Sie das hier auf unserer Webseite stört. Im Heft haben wir schwarze Schrift auf weißem Untergrund 🙂
Ihre Antwort zeigt von Unwilligkeit sich mit Kritik auseinander setzen zu wollen. Einen Verweis auf ein kostenpflichtig zu erwerbendes Druckerzeugnis ist schon sehr frech.
Es ist ja löblich, wenn Sie Schreib-Fehler aus Ihrer eMail auf der Website korrigieren. Warum aber wird so ein Mail-Text nicht vor dem Versenden ebenfalls korrekturgelesen? Wir machen alle Fehler, aber gerade beim Lesen solcher Appetit-Happen sollte man nicht in’s Straucheln geraten. Ebenso müsste ein Vielleser-/schreiber doch den (gravierenden!) Unterschied zwischen „scheinbar” und „anscheinend” kennen.
Ja, ich bin da manchmal pingelig. Ebenso bei den Schatten auf dem begleitenden Wäscheleinen-Bild, bei dem die Klammerschatten auf Leine und Polaroids nicht so richtig zueinanderpassen wollen. Ich bin dann pingelig, wenn das ganze als mehr oder weniger kommerzielle Veröffentlichung stattfindet. Genauso, wie ich es andererseits meist hinnehme, wenn in privaten Kommentaren gerade diese Fehler gemacht werden. Dort gehe ich normalerweise nur auf die Inhalte ein. Es geht ja oft um zügige Lösungs-Findung.
Sicher, es gibt jede Menge Texte (leider auch in Zeitungen, die es besser wissen und können sollten), die deutlich schlechter sind. Aber das darf nie als Ausrede für mich selbst gelten, wenn es darum geht, redaktionelle Texte in die Öffentlichkeit zu bringen. Es ist sicher völlig in Ordnung, wenn man in Kommantaren etwas schnodderig schreibt (s.o.: „nix” statt „nichts”). Aber wenn ich davon lebe, mich textlich in der Öffentlichkeit zu bewegen, sollte der Anspruch an meine Texte ein anderer sein.
Eines unserer Hauptproblem heutzutage ist, dass die meisten nicht bei sich selbst anfangen, immer das unter den jeweiligen Umständen bestmögliche zu geben. Das Selbstverständnis für ordentliche Arbeit fehlt meistens. Bei anderen wird sie aber stets bemängelt. Fehler macht man ja nie selbst, sondern immer die anderen. Schön wär’s …
Zum Thema: das gilt natürlich genauso für ein Tutorial. Wenn ich mir so ein Video-Tutorial ansehe, will ich eigentlich nur mal eben erfahren, wie derjenige eine Sache gelöst hat und ob es da was Neues für mich zu lernen gibt. Ich arbeite seit der allerersten Photoshop-Version mit diesem Programm und habe keine Lust, mich mit unnützem Ballast aufzuhalten. Das bedeutet: für mich muss es schnell zur Sache gehen, ich habe gar nicht die Zeit, mir ewig lange Einleitungen anzusehen. Und wenn dann auch noch die Stimme unangenehm ist … oha!
Das gilt so natürlich NUR für mich, andere haben da wahrscheinlich andere Präferenzen und Geschmäcker, oder wollen alles von Grund auf gezeigt bekommen. Das ist ihr gutes Recht. Nur eines gilt in meinen Augen auch hier: man sollte unbedingt sein Bestes geben, wenn man schon den Aufwand betreibt, ein Tutorial zu veröffentlichen. Die weit verbreitete Einstellung „ist doch nicht so wichtig, WIE ich es mache, Hauptsache man weiß, was ich meine” macht es oft deutlich komplizierter und schwerer verständlich. Außerdem zeugt es von mangelndem Respekt vor dem „Empfänger”. Es ist wie mit schlechter Werbung: der Aufwand ist meist genauso groß, als hätte man es gleich gut gemacht.
Leider haben Sie mit der Vermutung, dass das Lesen „stirbt“, nicht so ganz unrecht. Es stirbt zwar nicht, gerät aber mehr und mehr in den Hintergrund. Mit welchen Folgen, kann man an Foreneinträgen oder in den sozialen Netzwerken sehen: Grammatikfehler, dass einem schlecht wird, Interpunktion null, Schreibfehler „…soll der behalten der sie findet weil es mich nicht interessiert weil es nur wichtig ist dass der der das liest weiß was ich meine…“
Ich habe in jungen Jahren mal einen Schnelllesekurs belegt, damit ich meinen Lesehunger noch schneller stillen konnte – bis mir auffiel, dass es neben den direkten Reden auch ganz interessante Beschreibungen zu Landschaften, Personen, Häusern usw. gab. Heute lese ich – ganz modern selbstverständlich – meine Bücher als ebook. Ist praktisch, weil ich früher die Hälfte des zulässigen Gesamtgewichtes meines Reisekoffers für Bücher reservieren musste.
Festzustellen bleibt ein Niedergang der Sprache, der sich natürlich auch im Geschriebenen niederschlägt. LOL, RTF, FACK oder ähnliches ziert die mails und Foreneinträge, garniert mit hüpfenden und blinkenden smilies. Von denen ich glaube, die amüsieren sich eher über die holprigen Sätze und zahllosen Textfehler. Als Deutschlehrer ist man wahrscheinlich zu den suizidgefährdeten Berufsgruppen zu rechnen, neben den Comiczeichnern.
Manchmal hilfreich sind gut gemachte Videotutorials – Photoshop etwa in Worten zu erklären ist schon sehr mühsam und zeitaufwändig. Bilder sagen halt doch manchmal mehr als tausend Worte. Aber tausend nervig dahingeleierte Worte schläfern die interessierten Besucher auch ein.
Aber solange wir uns drüber unterhalten, ob schwarze Schrift auf weißem Grund oder umgekehrt das Leseverhalten trüben, oder grauer Text noch insbesondere für Frust sorgt, solange lebt das Lesen ja noch. Was für ein Schlamassel…
Der graue Text auf dieser Seite liest sich für mich problemlos. Weiße Schrift auf schwarzem/dunklen Hintergrund lese ich grundsätzlich nicht.
Was die Sache mit den Tutorials betrifft, so mag ich keine Videotutorials, eben wegen von Olaf Giermann angesprochenen Geschwindigkeit, mit der man das Video verfolgen oder stoppen muss. Ich liebe Text-Tutorials, notfalls kann ich mir die auch ausdrucken. Leider geht der Trend hin zu Videos.
Was die Textqualität betrifft, so kann ich meinen Vorrednern nur Recht geben. Die Kenntnisse von Rechtschreibung, Grammatik und Ausdrucksweise lassen ständig nach. Auch bei Personen, die es eigentlich wissen müssten.
Da Sei meine Kritik ansprechen, beglückwünsche ich Sie zu Ihrem uneingeschränkt gutem Sehvermögen.
Weiße Schrift vor schwarzem Grund mögen Sie nicht. Dunkelgrau wäre da eine Alternative.
Sehr geehrter Herr Giermann,
wenn Sie mir eine Frage gestatten, würde mich interessieren, wie das Verhältnis Ihrer Bücher zu Ihren Videotutorials aussieht.
Gut, ich könnte das auch selber recherchieren, aber Sie können die Frage sicher einfacher beantworten.