Wissenswertes über Bob Dylan: Skandal! Oder doch nicht?
Als ungelernter Journalist, der jetzt seit rund 25 Jahren diesen Beruf ausübt, ärgert mich eines bei einigen meiner Kollegen immer wieder – dass sie allzu oft Behauptungen verbreiten, ohne sich die Mühe eines Minimums an eigener Recherche zu machen. Denn manches, das eine schöne Schlagzeile hergibt, stimmt womöglich gar nicht. So im Fall von Bob Dylan.
Gestern ging die Meldung durch alle internationalen Medien, eine in Greenwich (Connecticut) lebende US-Bürgerin hätte den Sänger und Literaturnobelpreisträger Bob Dylan vor einem New Yorker Gericht auf Schadensersatz verklagt, weil er sie im Jahre 1965, als sie gerade 12 geworden war, erst mit Alkohol und Drogen gefügig gemacht und dann über einen Zeitraum von sechs Wochen eingesperrt und sexuell missbraucht hätte, vorwiegend in einem Appartment im New Yorker Chelsea Hotel. Alle Medien, die darüber berichteten, erwähnten zwar, dass Bob Dylan die Vorwürfe kategorisch bestreitet, aber bei diesem „Sie sagt … Er sagt …“ beließen sie es.
Die sozialen Netze waren kurz darauf voll von reflexartigen Kommentaren, die entweder Bob Dylan als vermeintlich erwiesenen Kinderschänder verurteilten oder der anonymen Klägerin finanzielle Interessen unterstellten und kritisierten, nach 56 Jahren sei es für solche Anschuldigungen, selbst wenn sie zuträfen, zu spät.
Kaum jemand aber stellte sich die Frage, die man doch als Allererstes stellen müsste – ob die Geschichte nämlich überhaupt plausibel ist. Weder die professionellen Journalisten von Tageszeitungen wie der FAZ und der Süddeutschen (oder der englischsprachigen Presse wie dem Guardian), noch die Kommentatoren in den sozialen Medien nahmen sich die Zeit dafür.
Mir kam die Sache von Anfang an verdächtig vor. Nicht weil ich Bob Dylan für einen Heiligen halte; er ist vermutlich ein eher unangenehmer Mensch, der Frauen zur Förderung seiner Karriere ausgenutzt und sie später in Songs verächtlich gemacht hat. Aber hat er wirklich eine Minderjährige vergewaltigt?
Die Klageschrift gegen Bob Dylan und die Fakten
In der Klageschrift schreiben die Anwälte der Frau, die Ereignisse hätten sich über sechs Wochen im April und Mai 1965 abgespielt, vorwiegend im Chelsea Hotel. Eine kurze Recherche in meiner Bibliothek und im Internet ergab allerdings, dass Dylan Ende April für eine Tournee durch Großbritannien nach London geflogen war, mitsamt seiner Entourage, zu der auch seine (ex- oder noch) Freundin Joan Baez zählte.
Auch der Filmemacher D. A. Pennebaker war dabei, der Dylans UK-Tournee im Film „Dont Look Back“ (ja, ohne Apostroph) dokumentierte. Nachdem die Tour am 11. Mai geendet hatte, machte Dylan erst einmal Urlaub in Frankreich und Portugal, zusammen mit seiner neuen Freundin Sara Lownds, und kehrte schließlich nach London zurück, um Joan Baez’ Konzert am 23. Mai zu besuchen. Eine Krankheit hinderte ihn jedoch daran, und er wurde in eine Londoner Klinik eingewiesen – wo sich seine Freundinnen am Krankenbett trafen und Baez erfuhr, dass Dylan längst eine andere hatte.
Für die Zeit zwischen Ende April und Ende Mai lässt sich also ausschließen, dass Bob Dylan eine Minderjährige in New York missbrauchen konnte, denn da war er ja in Europa. Zwischen Ende März (als er für ein paar Tage bei Joan Baez in Kalifornien war) und Ende April war Dylan damit beschäftigt, sein gerade veröffentlichtes Album „Bringing It All Back Home“ mit Interviews und Auftritten zu promoten und die anstehende UK-Tournee vorzubereiten, weshalb er nur gelegentlich im Chelsea Hotel sein konnte.
Tatsächlich unterhielt Dylan 1964/65 dort ein Liebesnest, denn er traf sich heimlich mit Sara Lownds, 25 und Mutter einer kleinen Tochter, die zu dieser Zeit noch verheiratet war, aber bereits von ihrem Mann getrennt lebte. Sie nahmen sich getrennte Zimmer im Chelsea Hotel, weil diese Liaison nicht in die Öffentlichkeit geraten sollte. Nach Saras Scheidung heirateten die beiden; das war im November desselben Jahres.
Es ist schwer vorstellbar, dass Dylan eine Minderjährige sechs Wochen lang im Chelsea Hotel eingesperrt halten und dort missbrauchen konnte, während er in dieser Zeit überwiegend gar nicht in New York oder auch nur in den USA war – und zudem gleichzeitige Liebesbeziehungen zu zwei erwachsenen Frauen aufrecht erhielt, denn zum endgültigen Bruch mit Joan Baez kam es ja erst im Mai, während beide in London waren.
Es ist auch nicht möglich, dass sich die Klägerin in der Zeit geirrt und der Missbrauch schon früher stattgefunden hätte, denn bis Mitte März war Bob Dylan zusammen mit Baez auf einer gemeinsamen College-Tour durch die USA.
Diese Fakten sind, wie gesagt, nicht schwer zu recherchieren, und ich würde mir wünschen, dass Journalisten potentiell rufschädigende Behauptungen erst einer Plausibilitätsprüfung unterziehen, statt sie ungefiltert weiterzuverbreiten. Die Medien sehen sich in solchen Fällen generell als schuldlos, da sie sich ja aus dem Streit heraushalten und beide Positionen wiedergeben. Aber es reicht nicht, keine Position zu beziehen, denn der einmal angerichtete Schaden lässt sich nicht mehr beheben, selbst wenn sich die Anschuldigungen später als unwahr herausstellen.
Chapeau, Herr Hussmann!
Ich hatte diese Meldung in diversen Zeitungen nur überflogen, da mich sowas nicht interessiert. Aber bei anderen Artikeln ist mir schon mehrfach aufgefallen, dass sie nicht stimmen können.
Sie erinnern sich vielleicht noch an den Gas-Ballon, der stundenlang durch die TV-Kanäle geisterte, weil sich angeblich ein Kind im Korb befinde. Meine Berechnung ergab, dass die geringe Menge Helium in den 2,5 m Durchmessern gerade mal den leeren Korb tragen kann, aber nicht den angeblichenn US-Junge. Mein Bekannter bei CNN, welche alles mit Helivopter begleitete, meinte darauf, das könne schon sein, aber was Sehenswertes hätten sie gerade nicht und die Einschaltquoten seien gigantisch. Also lasse man es laufen.
Wer heute nicht jeden Scheiss publiziert, kommt zu spät für Klicks und diese sind so wichtig, dass man kaum mehr Zeit hat.
Auch interessiert kaum jemand Fakten, denn die Geschichten müssen interssant sein, um Leserkommentare zu bringen, auch wenn die Kommentatoren nur die Ueberschrift gelesen haben. Wichtig sind auch Bilder und wenn diese nichts mit der Meldung zu tun haben. So steht dann bei einem Verbrechen oder Unfall meist ein Polizeiauto 😉
Es gibt kaum mehr Fachpournalisten. Die in Europa wichtigsten Journalisten-Verbände für Elektronik sind deswegen eingestellt worden….
Herzlichen Dank für die tolle Recherche!
Sie haben ja vollkommen recht Herr Hußmann, aber was hat dieser Beitrag in einem Fotoforum zu suchen? Mir jedenfalls fehlt dazu jeder Bezug!
Bei dem Lug und Trug auf allen Kanälen, vor allem im Internet und auch in Ihrem Forum kann man gegen den Unsinn und die Halbwahrheiten gar nicht anschreiben.
Journalisten sollten sich auf Ihre Themen konzentrieren und vor der eigenen Tür kehren. Da gibt es genügend Mist und Verlogenheit vor allem in der Werbung zu bekämpfen. Doch es scheinen alle Journalisten offensichtlich unter den Zwängen unter denen Sie stehen als Selbstmord anzusehen hier einmal kritisch aufzuräumen.
Wie wäre denn z.B. einmal mit ein Beitrag unter dem Titel: Werbung in der Fotobranche als Steigerung von Betrug? Sollte es Ihnen dazu an Belegen fehlen, kann ich Ihnen gerne auf die Sprünge helfen!
Auf in den Kampf der Bemühungen um Anstand auf allen Ebenen!
MbG
Fotoforum? Was für ein Fotoforum?
Das hier ist das DOCMA-Blog, und hier schreiben DOCMA-Redakteure über Themen, die sie gerade beschäftigen. Ich kann auch gerne mal etwas über Werbung und Wirklichkeit schreiben; offenbar haben Sie ja Material dazu. Immer her damit!
hallo,
super artikel. dachte mir beim lesen der diversen überschriften in diversen blättern auch:
„was ist denn das für ein schiit“ …
aber eine frage habe ich: in welchen texten machte dylan frauen verächtlich ?
danke für infos + lg