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Sigma 105mm f/1.4 – Das Bokehmonster

Wozu braucht man ein Vollformat-Objektiv wie das Sigma 105mm f/1.4 im Alltag? Man könnte theoretisieren: Als langes Tele für Sport, Natur und und Tierfotografie ist es oft zu kurz. Als „Immerdrauf“-Linse für den Alltag wiederum zu lang. Mit einem minimalen Abbildungsmaßstab von 1:8,3 müssen (voll-)formatfüllend aufgenommene Objekte mindestes 35 Zentimeter Durchmesser haben. So groß sind Köpfe von Erwachsenen – nun, zumindest meiner, ich habe nachgemessen.

Sigma 105mm f/1.4 – Das Bokehmonster
Im Fokus ist das Objektiv bei Blende f/1.4 knackscharf und alles andere verschwindet in gefälliger Unschärfe.

Bokeh


Wenn man ganz praktisch an die Sache herangeht und mit dem Sigma 105mm f/1.4 offenblendig ein Porträt fotografiert, ist die Frage nach dem Verwendungszweck gleichsam offensichtlich: Es gibt kaum ein anderes Objektiv, das ein Gesicht vor einem auch nur wenig entfernten Hintergrund so freizustellen vermag wie dieses.

Man könnte sogar so weit gehen zu überlegen, ob man beim Einsatz des Sigma 105mm f/1.4 überhaupt noch einen Studiohintergrund braucht. Alles, was sich auch nur ein paar Meter hinter dem Model befindet, verwandelt es in schönste, unaufdringliche, gerne auch fast monochrome Unschärfe.

Sigma 105mm f/1.4

Näher am Motiv gelegene Objekte zeichnet es gefällig weich. Unglaublich scharf dagegen wird nur der bei Offenblende nur wenige Millimeter schmale Schärfebereich. Der hierbei entstehende Kontrast ist für Porträtfotografen wie mich so faszinierend, dass ich mich schon nach wenigen Auslösungen in dieses Objektiv verliebt habe.

Allerdings soll hier bei aller Begeisterung für die optische Gefälligkeit nicht verschwiegen werden, wie anspruchsvoll der Umgang mit dem 1.645 Gramm schweren Schätzchen ist. Da wäre zunächst einmal die Sache mit der Schärfentiefe. Bei 100 Zentimeter Aufnahmeentfernung und Blende f/1.4 beträgt der Wert gerade mal 7 Millimeter, 150 Zentimeter vom Motiv entfernt, sind es schon 16 Millimeter, bei zwei Meter Aufnahmedistanz deckt die Schärfentiefe immerhin fast drei Zentimeter ab. Zum Vergleich: Ein 50-Millimeter-Objektiv bei Blende f/0.95 (wie das schwer beherrschbare Noctilux von Leica) hat bei einem Meter Aufnahmedistanz mit weit geöffneter Blende immerhin zwei Zentimeter Schärfentiefe.

Sigma 105mm f/1.4 – Das Bokehmonster
Im Studio bei Blende f/7.1. Während das dem Fotografen zugewandte Auge absolut scharf ist, zeigt das dahinterliegende zweite Auge bereits Unschärfen. Bei circa 1,5 Metern Aufnahmeabstand beträgt die Tiefenschärfe hier gerade mal vier Zentimeter.

Für die Praxis bedeuten solche Werte vor allem eines: Motiv und Fotograf sollten extrem konzentriert sein, sich nicht bewegen und bestenfalls die Luft anhalten. Das Model zu fixieren ist auch eine Option, wenn auch eine radikale. Alternativ kann man seine Kamera auch auf kontinuierlichen Autofokus schalten und einfach ein paar Aufnahmen mehr belichten.


Handling


Und dann ist da noch die Handlichkeit – beziehungsweise ihr Fehlen. An einer Sony A7 misst die Linse inklusive Sonnenblende 20 Zentimeter, also rund sieben Zentimeter mehr als das Datenblatt ausweist. Der Grund ist schnell erklärt: Vier Zentimeter gehen auf das Konto der Sonnenblende, drei auf die Sony-Adaptierung, mit der die Unterschiede in den Auflagemaßen im Vergleich zu den Canon- und Nikon-Spiegelreflexmodellen dieser Objektivkonstruktion ausgeglichen werden. Auch der Durchmesser der Frontlinse mit seinen über elf Zentimetern eignet sich für kaum eine Kameratasche der handlichen Art. Zusammen mit einer Sony A7 ergeben sich merklich über zwei Kilogramm Systemgewicht.

Sigma 105mm f/1.4 – Das Bokehmonster
Klein und handlich ist anders: Mit einer Sony a7 zusammen wiegt das System 2,2 Kilogramm bei insgesamt 24 Zentimeter Länge und 18 Zentimeter Höhe.

Über die mitgelieferte Stativschelle, die aufmontiert auf den ersten Blick als zusätzlicher Störfaktor in Erscheinung tritt, freut man sich in der Praxis doppelt: Zum einen, weil man sie als Zusatzgriff beim freihändigen Einsatz nutzen kann. Über den Umweg entsteht zumindest eine gewisse Form von Balance. Zum anderen, weil man bei der Montage der Kamera-Objektiv-Kombination auf ein Stativ nicht fürchten muss, dass das Bajonett wegen des unverhältnismäßig hohen Objektivgewichts Schaden nimmt.


Sigma 105mm f/1.4 – Technisches


Das Objektiv wurde für Vollformatkameras entwickelt, lässt sich aber natürlich auch an APS-C-Systemen einsetzen. Sigma bietet es mit Kameranschlüssen für Canon-, Nikon-, Sigma- und jetzt auch Sony-E-Bajonett an. Es enthält 17 optische Elemente in 12 Gruppen – eine für ein Festbrennweitenobjektiv ungewöhnlich große Anzahl von Elementen. Durch den Einsatz von drei FLD-, zwei SLD- sowie einem asphärischen Linsenelement minimiert das optische System Farblängsfehler und liefert eine hohe Bildauflösung, mit der es die aktuellen Vollformatkameras und ihre sehr hohen Pixelwerte unterstützt.


Abbildungs- und Freistellungsleistung


Wie bei allen Sigma Art-Objektiven ist die Abbildungsleistung über jeden Zweifel erhaben und bringt auch hohe Sensorauflösungen überzeugend „auf die Straße“. Die Einschätzung gilt ebenso für Verzerrungen: Beim Aktivieren der Objektivkorrekturen in Lightroom ist auch bei offenblendig aufgenommenen Bildern nur ein leichter Vorher-/Nachher-Effekt bei der Vignettierung zu beobachten. Der verschwindet aber schon bei Blende f/2.0. Bei diesem Objektiv dürften solche Qualitäten aber kaum den Hauptgrund für die Anschaffung darstellen, auch wenn man die für den Kaufpreis von rund 1.500 Euro zweifelsfrei erwarten darf.

Sigma 105mm f/1.4 – Das Bokehmonster

Interessanter – zumindest aus meiner subjektiven Sicht – sind die Freistellungsqualitäten bei großen Objekten. Eine erste Übersicht vermittelt die mehrfache Aufnahme der gelben Sprühflasche vor einer Art Hecke, die sich rund zwei Meter hinter dem Tisch befindet. Man sieht hier sehr deutlich wie „homogenisierend“ sich das Aufblenden auf die Gestalt des grünen Blattwerks auswirkt. In abgeschwächter Form funktioniert das auch bei Objekten, die erheblich größer als diese Flasche sind.

Sigma 105mm f/1.4 – Das Bokehmonster

Die rund drei Meter breite Brücke eines Binnenfrachters lässt sich bei einer Aufnahmeentfernung von etwa zehn Metern relativ gut von Hintergrund lösen, aber natürlich bei weitem nicht so stark wie ein kopfgroßes Objekt.

Sigma 105mm f/1.4 – Das Bokehmonster

Ähnlich ergeht es dem Auto. Auf das Nummernschild scharfgestellt, werden die im Hintergrund gestaffelten Objekte zunehmend umscharf. Ernstlich verschwommen wirkt aber erst der rund 50 Meter entfernte Wald.


Sigma 105mm f/1.4 – Fazit


Das Sigma 105mm f/1.4 ist ein fantastisches Porträtobjektiv, das seinem Besitzer aber im Handling einige Beschwerlichkeiten abverlangt. Wer sich dem unterwirft, wird mit großartigen Bildern belohnt, die ein ausgeprägtes und dabei relativ unaufdringliches Bokeh erhalten können.

Sigma 105mm f/1.4
Das Sigma 105mm f/1.4 ist perfekt für Veranstaltungsfotografen, die Gäste porträtieren wollen.

In seiner gleichsam „natürlichen“ Umgebung ist das Objektiv überall dort, wo es Menschen zu fotografieren gibt. Leicht abgeblendet lassen sich damit Veranstaltungen hervorragend dokumentieren, ohne dass man den Teilnehmern allzu nahe kommen muss. Im Porträtstudio spielt es, wenn man präzise damit arbeitet, seine Qualitätsreserven voll aus. Nur für den zufälligen Schnappschuss eignet es sich kaum. Nicht wegen seiner Qualität, sondern weil es zum Einfach-mal- so-mitnehmen zu schwer und zu unhandlich ist.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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4 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen Test! Abgesehen vom ersten Bild, wo das auch meiner Meinung nach an der Bildbearbeitung liegt, sind die Testfotos meines Erachtens allesamt gelungen. Daher werde ich das 105 mm f1.4 Art von Sigma auf meiner Wunschliste notieren. Ich denke auch, dass man immer mit neuen Objektiven üben muss. Wenn sich das bei dieser Festbrennweiten lohnt, passt das für mich.

  2. Hallo,

    über den Bericht habe ich mich gefreut! Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich länger im Unklaren geblieben, ob die Entscheidung richtig war, mir vor Kurzem eine Canon 100 mm 2,0 zu kaufen. Der Vorteil der Sigma 105 1,4 – ein glatteres Bokeh wegen der größeren Offenblende – kommt nämlich m. E. gar nicht so oft zum Tragen und lässt sich auf zwei Wegen kompensieren.

    Die erwähnten 7 mm Schärfentiefe – Sigma – bei (der Naheinstellgrenze von) 100 cm und Blende 1,4 lassen in einem Frontalporträt die Nasenspitze schon unscharf werden, wenn die Augen scharf sind; beim Canon 100 2,0 hat man bei dieser Grenze, die dort 90 cm beträgt, 9 mm Schärfentiefe.
    Diese geringe Tiefenschärfe erreicht man, wenn der Kopf vollständig abgebildet sein soll, wohl nur beim Hochformat. Wählt man beim Querformat angemessene 30 cm Gegenstandsweite in der Senkrechten, so hat das Sigma 1,2 cm Schärfentiefe bei Blende 1,4. Wendet man die Bokehramea Technik (T. Gockel) mit dem Canon 100 2,0 an und nimmt 3 oder vier panoramaartige Bilder im Hochformat auf, so hat man 33 cm Gegenstandsweite in der Senkrechten (bei 92 cm Fokus), die genannte Schärfentiefe von 9 mm und höchstwahrscheinlich ein glatteres Bokeh als mit dem Sigma 105 im Querformat.
    Der Hintergrund verschwimmt, wie Christoph Künnes Bilder zeigen, auch bei Offenblende keineswegs immer schön weich und glatt. Das, was ich in solchen Fällen beim 100-2,0-er mache, stände mir sicher auch beim 105-1,4-er bevor, nur in leicht verminderter Häufigkeit. Ich wähle dann die zu verbessernden Bereiche des Hintergrunds aus und zeichne die Auswahl auf separater Ebene weich (oft plus Verlauf oder Ähnlichem). Lief bisher übrigens immer einfach.

    Für mich wiegt der ausgleichbare Vorteil des Sigma 105 1,4 – glatteres, weicheres Bokeh bei Offenblende – im Vergleich zum Canon 100 2,0 nicht das dreimal höhere Gewicht des Sigma und dessen deutlich höheren Preis auf.

  3. Ich finde Objektive von 100 mm Brennweite und mehr bei Blende 1,4 nicht mehr sinnvoll. Der Aufwand, um offenblendig noch eine gute Auflösung zu erreichen, ist sehr hoch und damit teuer. Wenn 1-2 Blenden abgeblendet werden muss, kann man auch ein günstigeres Objektiv mit Offenbelnde 2,0 oder 2,8 kaufen.
    Bei der Schärfentiefe wird immer noch mit veralteten Zerstreukreisen von 30 ym Durchmesser gerechnet. Sinnvoller bei Auflösungen von 20 Megapixel und höher ist die Hälfte. Immerhin sind die Pixel nur ca. 5 ym klein.
    Wer bei fast formatfüllenden Portraits nur 3,5 mm Schärfentiefe hat, darf weder Kamera noch die Portraitierten um mehr als +/- 1,8 mm bewegen. Das geht nur ab Stativ mit fixierten Köpfen, wie zu analogen Früh-Zeiten 😉
    Werden die Bilder nur in A4-Grösse verlangt, sieht man die exakte Schärfe nicht. Dafür reichen jedoch auch 2-Megapixe-Kamerasl!

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