Rein- oder rausretuschiert?
Kürzlich kaufte Doc Baumann in einem Antiquariat zwei alte Bilderbroschüren von Rom – und merkte erst zu Hause, dass in beiden dieselben Fotos abgedruckt waren. Einziger Unterschied: In einer Ausgabe stand an einem Weg in den Vatikanischen Gärten ein Prälat, in der anderen nicht. War der nun rein- oder rausretuschiert worden?
Die beiden Broschüren hießen identisch „Roma“, hatten zwar dasselbe Format, aber unterschiedliche Titelbilder. Auf der einen mit „80 Tavole“ war vorn ein Foto vom Tiber und der Engelsburg zu sehen, die Bilder im Inneren waren bläulich getont – die andere zeigte vorn ein Aquarell des Forum Romanum und sepiafarbene Fotografien. Die Abbildungen seien aber verschieden, sagte der Antiquar, die Broschüren stammten wohl aus der Zeit um 1900.
Da beim schnellen Durchblättern auf allen nur Gebäude zu sehen waren (die sich wenig verändert hatten), sprach nichts gegen diese Annahme. Erst zu Hause stellte ich fest, dass es erstens dieselben Fotos in leicht veränderter Reihenfolge waren und dass sie zweitens um 1950 aufgenommen worden waren. Denn die auf den Petersplatz zulaufende Prachtstraße, die Via della Conziliazione, war erst 1936 unter Mussolini geplant und 1950 fertiggestellt worden. Ein befreundeter Auto-Journalist bestätigte mir, dass auch die auf einem Foto zu sehenden Fahrzeuge Modelle aus der Zeit um 1950 waren. Nun gut, dann hatte ich die Broschüren eben doppelt; sie waren ja nicht teuer gewesen.
Bei genauerer Betrachtung fiel mir auf, dass die Szenen nahezu menschenleer waren, nur in der Ferne standen kleine Personen herum. Bis auf eine Ausnahme: In der blau getonten Fassung war ein Prälat zu sehen, der am Rande einer Straße durch die Vatikanischen Gärten stand. Im Hintergrund Michelangelos Kuppel von St. Peter. Ich konnte mich nicht erinnern, den Herrn in der Sepia-Variante gesehen zu haben und blätterte dort noch einmal nach. Und tatsächlich, hier war er nicht zu sehen.
Wegen der menschenleeren Szenen vermutete ich im ersten Augenblick, der störende Monsignore sei vielleicht erst nach dem Druck des anderen Büchleins aufgefallen und zum Zwecke der Vereinheitlichung sauber herausretuschiert worden. Aber stimmt das? Bevor Sie sich die Lösung anschauen, betrachten Sie das Bild mit dem Geistlichen noch einmal genauer. Sie brauchen dazu keine Lupe, um nach Retuschedetails Ausschau zu halten. Ob rein- oder rausretuschiert, ist auf einen Blick zu erkennen.
Die Lösung
Was für einen Moment die Beurteilung erschwert, ist der Schlagschatten der Mauer auf dem Gewand des Prälaten. Der passt hinsichtlich Richtung und Stärke ziemlich genau zu den anderen Schlagschatten und damit zum Sonnenstand.
Man fragt sich dann nur, da der damalige Retuscheur auf diesen Schatten offensichtlich geachtet hat, warum ihm dann der Fehler unterlaufen ist, einen anderen, noch viel wichtigeren Schatten zu vergessen – den nämlich, den der Monsignore selbst auf das Kopfsteinpflaster werfen würde. Schaut man sich den Herrn nun doch einmal näher an, ist die Retusche zwar nicht zu erkennen, allerdings steht er falsch herum: Obwohl das Licht von links kommt, ist seine rechte Seite beleuchtet und die linke abgeschattet. (Natürlich ging das damals nicht so schnell, wie wir heute eine Auswahl spiegeln, aber auch ein Negativ lässt sich natürlich ohne weiteres seitenverkehrt verwenden.)
Auf dieses Detail würde man wahrscheinlich nicht achten, wenn der Rest stimmen würde. Aber schon der fehlende Schlagschatten beweist: Der Prälat wurde nicht aus dem Foto herausretuschiert, sondern hineinmontiert. Und die Fehler, die damals dabei unterlaufen sind, sind immer noch dieselben, die wir auch heute beobachten.
Nachtrag
Ich habe immer von „Prälat“ bzw. „Monsignore“ geschrieben. Beides sind zwar katholische Ehrentitel, und ein Prälat kann auch ein ranghoher Kardinal sein. Aber wahrscheinlich hat Facebook-Kommentator Oliver Sittel recht, dass es sich wegen der Kleidung wohl um einen Papst handelt, möglicherweise um Pius X. (obwohl der da schon fast 40 Jahre tot war – eine Auferstehung gab’s doch nur einmal, oder?) Eine gewisse Ähnlichkeit ist jedenfalls nicht zu leugnen.
Danke Doc Baumann,
dank Ihrer Rubrik Bildkritik in der Docma ist mir sofort der fehlende Schatten des Monsignores ins Auge gefallen. Ihre Rubrik brennt also nach:-)
Na, das freut einen Autor doch, wenn er hört, dass seine Bemühungen fruchtbar waren. Dann soll es so doch mal weiter brennen!
Es gibt noch ein weiteres Indiz dafür, dass die blau getonte Fassung offenbar einer weiteren Bearbeitung unterzogen wurde: Da jede (analoge) Reproduktion Qualitätsverluste nach sich zieht und die Zeichnung des sepiafarbenen Bildes sowohl in den Lichtern als auch in den Tiefen deutlich besser ist, muss die blau getonte Variante die nachträglich bearbeitete Fassung sein.
Das ist zwar durchaus richtig, allerdings glaube ich es in diesem Fall nicht. Das mag auf reine Fotoabzüge zutreffen, aber bei gedruckten Bildern spielt das im Vergleich zu den Farbschwankungen im Druckprozess keine wesentliche Rolle. Da kann schon ein winziges Bisschen zu viel Farbgebung die Tiefen zulaufen lassen.
Der fehlende Schatten ist mir auch sofort aufgefallen. Ih denke, es handelt sich um den Teufel, der keinen Schatten wirft. Laut katholischer Meinung tritt er in vielerlei Gestalt auf, um uns Lämmchen zu täuschen. Hier vielleicht als schon lange verstorbener Papst, um den 12. Pius zu verwirren!?