Raumschiff-Design – eine Stilkritik
Schon lange vor Beginn der realen Raumfahrt machten sich Filmregisseure und Zeichner Gedanken darüber, wie Raketen, Raumschiffe und Raumstationen aussehen könnten. Vom 20. bis zum 21. Jahrhundert wandelten sich die Moden des Designs und mit ihnen das Raumschiff-Design. Überraschenderweise scheint auch die Gestaltung realer Raumfahrzeuge nicht allein von den Gesetzen der Physik bestimmt zu sein.
Tim und Struppi flogen schon 1953 zum Mond (Objectif Lune, deutsch Reiseziel Mond), mit einer Rakete, die auffällig an das Aggregat 4 erinnerte, SS-Sturmbannführer Wernher von Brauns „Vergeltungswaffe 2“. Professor Bienleins Mondrakete war größer und hatte drei statt vier Heckflossen, aber dieselbe Spindelform. In der Science Fiction der folgenden Jahrzehnte fanden sich dann auch weniger aerodynamisch geformte Raumschiffe, die für Reisen durch das Vakuum des Weltalls gedacht waren. Sehr populär waren auch radförmige Raumstationen, die sich um ihre Achse drehten, um durch die Fliehkraft eine Art künstlicher Schwerkraft zu erzeugen – in der zweiten Episode von 2001: Odyssee im Weltraum (1968) ist zu sehen, wie ein Space Shuttle an die Nabe einer solchen radförmigen Station andockt. Während es damals plausibel erschien, dass irgendwann Raumstationen nach diesem Konzept gebaut würden, hat man es schon bald verworfen – unter anderem, weil das Rad riesige Ausmaße haben müsste.
Der erste Star-Wars-Film von 1977 führte eine ganz neue Art von Raumschiffen ein, die stark von Kriegsfilmen über den 2. Weltkrieg inspiriert waren. Die Sternzerstörer des Imperiums erinnerten an Schlachtschiffe und Flugzeugträger, die kleineren Raumschiffe an Kampfflugzeuge. Die TIE Fighter sahen mit ihren großen Solarpanelen eher wie Satelliten aus und Han Solos Millennium Falcon basierte auf dem Konzept der Fliegenden Untertasse, der Form außerirdischer Raumschiffe, die manche am Himmel entdeckt haben wollten. Auch das Raumschiff Orion aus Raumpatrouille (1966) und die USS Enterprise aus Star Trek (seit 1966) waren Varianten einer Fliegenden Untertasse.
Während sich die Raumschiffe der Science Fiction immer weniger an den realen Anforderungen an ein Raumfahrzeug orientierten und vor allem den Zuschauer beeindrucken sollten, konnte man seit dem Start von Sputnik 1 (1957) verfolgen, wie tatsächliche Raumfahrzeuge aussehen. Seltsamerweise zeigen sich bis heute erhebliche Unterschiede im Design sowjetischer und US-amerikanischer Raketen, Satelliten und Raumschiffe. Sputnik 1 und seine Nachfolger in der Erdumlaufbahn waren kugelförmig, und auch die ersten sowjetischen Mondsonden hatten diese Form. Dagegen setzten sich US-amerikanische Satelliten ebenso wie ihre Trägerraketen stets aus den Grundelementen Zylinder, Kegel und Kegelstumpf zusammen, was schon für den ersten US-Satelliten Explorer 1 (1958) und die von Wernher von Braun aus der A4/V2 entwickelte Jupiter-C galt, die ihn in die Umlaufbahn brachte.
Diesen unterschiedlichen Formsprachen blieben die sowjetischen und amerikanischen Entwickler über die Jahre treu. Die US-Raumkapseln Mercury, Gemini und Apollo bestanden aus Zylindern, Kegeln und Kegelstümpfen, die sowjetischen Raumkapseln dagegen vor allem aus Kugeln und anderen gekrümmten Formelementen.
Kugelförmig sind die Kapsel selbst ebenso wie die Sauerstofftanks dahinter; das Versorgungsmodul ist annähernd glockenförmig. Auch in den Gemini-Kapseln der USA gab es kugelförmige Tanks, die aber unter der aus Kegelstümpfen zusammengesetzten Hülle verschwanden.
Denselben Unterschied im Raumschiff-Design zeigt ein Vergleich der von den USA und der Sowjetunion geplanten Mond-Raumschiffe, von denen nur die US-Version tatsächlich realisiert wurde:
Selbst die Mondlandefähre, für die auch die NASA eine runde Grundform gewählt hatte, setzte sich weitgehend aus planen Segmenten zusammen, während die sowjetischen Pläne durchgehend gekrümmte, runde Flächen vorsahen.
Am Grunddesign eines sowjetischen beziehungsweise russischen Raumschiffs hat sich bis heute nichts geändert. Die Sojus-Raumschiffe, die als Zubringer zur internationalen Raumstation dienen, bestehen aus drei Segmenten, einem kugelförmigen Orbitalmodul, der glockenförmigen Kommandokapsel und einem Versorgungsmodul, das die Glockenform fortsetzt:
Die neueste Entwicklung der NASA, die Raumkapsel Orion mit einem von der ESA entwickelten Versorgungsmodul, sieht dagegen wie ein vergrößertes Apollo-Raumschiff aus und besteht folglich aus einem Kegelstumpf und einem Zylinder:
Ganz ähnlich sieht übrigens der bemannte ISS-Zubringer Spaceliner von Boeing aus, dessen erster (unbemannter) Testflug für den nächsten Monat geplant ist.
Warum aber verwenden Russen und Amerikaner so unterschiedliche Formsprachen in die Gestaltung ihrer Raumfahrzeuge? Die Anforderungen sind ja dieselben und man sollte annehmen, dass es nur eine optimale Form gäbe, zu der alle Entwürfe konvergieren würden. Teilweise war auch genau das zu beobachten, so etwa beim Space Shuttle der NASA und dem sowjetischen Buran, die sich trotz erheblicher konzeptioneller Unterschiede äußerlich ähnlich sehen – nicht etwa, weil die sowjetischen Entwickler die amerikanischen Entwürfe abgekupfert hätten, sondern aufgrund identischer Anforderungen an ein Raumflugzeug, das den Belastungen des Wiedereintritts in die Erdatmosphäre standhalten und dann im Gleitflug landen sollte. Auch die unbemannte Raumfähre Boeing X-37 hat eine ganz ähnliche Form. Außerhalb der Atmosphäre scheinen die Designer aber mehr Spielraum zu haben, so dass die Gestaltung eines Raumschiffs zu einem gewissen Teil auch Geschmackssache ist.
Die Zukunft wird wohl noch mehr Abwechslung bringen, da auch kommerzielle Anbieter wie Space X, Boeing und Blue Origin Raumschiffe entwickeln. Elon Musks Visionen von Flügen zum Mars und zu noch weiter entfernten Zielen im Sonnensystem erwecken den Eindruck, als wolle er die Science Fiction der sechziger Jahre Wirklichkeit werden lassen:
Es ist eben so, dass die Menschen bisher in der Realität keine „Raumschiffe“ gebaut haben. Wie auch die Bildbeschreibungen bestätigen, handelt es sich um „Raumkapseln“, diese wiederum haben eine große Ähnlichkeit mit den Rettungskapseln in diversen SF-Filmen. Und in SF-Filmen müssen diese Fahrzeuge ja die Flugtauglichkeit nicht nachweisen.
Der Transport der Raumkapseln erfolgte immer nur mit Raketen, wobei selbst die nur erdnah operierende Raumfähre ohne die abwerfbare erste Raketenstufe kaum mehr als ein Segelflugzeug war.
Und selbst das mit den Rundumfenstern ausgestattete Space X-Design sieht mehr wie ein hübsches Modell für das Kinderzimmer aus. Herzig und Barbie-Puppen tauglich.
Interessanter Vergleich mit guten Beispielgrafiken. Gehen wir zurück in der Weltraumraketen-Evolutionslehre,
landen wir bei Jules Verne. Dessen Rakete wiederum landete auf dem Mond; sie hatte die klassische Form einer
Gewehrkugel, also zylindrisch an der Basis und konisch an der Spitze. Sie ist sozusagen die „Mutter“ aller
Raumraketen, von der die sowjetischen und amerikanischen Designs ihr unterschiedliches Design „geerbt“ haben 😉