Tanzfotografie mit Ralf Mohr: Im Rhythmus der Tänzer denken

Anlässlich der kommenden Ausstellung in der Oper Hannover und seines neuen Buches, das die docmatische Gesellschaft am 13. April veröffentlicht, haben wir Ralf Mohr sehr in die Tiefe gehend zu seiner Tanzfotografie interviewt. Er hat uns einen umfänglichen Einblick gegeben in seine intensive Arbeit an der Staatsoper Hannover, seine fotografischen Techniken unter extremen Bedingungen und die besondere Herausforderung, Marco Goeckes einzigartige Choreografien bildlich festzuhalten.
DOCMA: Ralf, dein umfangreiches Tanzfotografie-Projekt ist jetzt als Buch erschienen. Wie hat sich dein Weg zur Tanzfotografie entwickelt?
Ralf Mohr: Das war eigentlich Zufall. 2006 bekam ich die Möglichkeit, Choreografien von Stephan Thoss zu fotografieren. Der Kontakt entstand durch Tänzerinnen des damaligen Ensembles, die ich kannte. In der Zeit war Marco Goecke Gast Choreograph in Hannover und so konnte ich auch eins seiner Stücke fotografieren. Damals ist der erste Tanzkalender entstanden.
Vorher hatte ich mich hauptsächlich mit Aktfotografie, Schwangerschaftsfotografien und freien künstlerischen Projekten beschäftigt. Aber diese erste Begegnung mit dem Tanz hat mich sofort gepackt – die Körperspannung, die Ausdruckskraft, die technische Herausforderung.
Der Zugang zum Tanz durch die Staatsoper habe ich dann in der Zusammenarbeit mit anderen Choreografen wie Yuki Mori, Felix Landerer, Maura Morales, Liliana Barros an deren Häusern oder freien Theatern wie der Eisfabrik vertieft, bis bis ich schließlich die Chance bekam, Goeckes Arbeiten über längere Zeiträume hinweg intensiv zu dokumentieren. Marco hab ich mich, als er nach Hannover kam, über Facebook vorgestellt und um einen Termin gebeten. Den bekam ich und daraus wurden der erste Auftrag »Nijinski« zu fotografieren.
Nach Nijinski folgten weitere Projekte wie »Der Liebhaber«. Bald entstand die Idee, das Ensemble auch neben der Bühne dokumentarisch zu begleiten. Es entwickelte sich zu einem Langzeitprojekt mit unglaublichem Tiefgang.
DOCMA: Technisch betrachtet gehört Bühnenfotografie zu den anspruchsvollsten Disziplinen. Was sind die größten Herausforderungen und wie meisterst du sie?
Ralf Mohr: Das Licht ist definitiv der kritischste Faktor. Auf der Bühne kämpfst du mit extremen Kontrasten – von tiefster Dunkelheit bis zu gleißenden Scheinwerfern. Der Dynamikumfang überschreitet oft das, was Sensoren erfassen können. Dazu kommen sehr schnelle überraschende Bewegungen. Es braucht Erfahrung und ein Gespür für die Arbeit des Choreographen, um diese zu erahnen. Die ersten Bilder bei Stephan Thoss hab ich noch analog mit Mittelformat fotografiert. Mittlerweile arbeite ich mit verschiedenen Nikon-Kameras, meist mit lichtstarken Objektiven zwischen 14mm und 200mm. Beim ISO-Wert gehe ich oft auf 25.600, was bedeutet, dass ich permanent am Limit des Rauschverhaltens bin. Heute ist das etwas besser, aber zu Beginn war das Licht auf der Bühne eine enorme Herausforderung.
Was viele unterschätzen: Du kannst nicht einfach auf Automatik schalten. Spotmessung auf den Tänzer funktioniert nicht, manueller Modus und ständige Kontrolle sind unverzichtbar. Die Belichtung muss blitzschnell angepasst werden, weil sich die Lichtverhältnisse während einer Szene ständig ändern. Eine falsche Einstellung, und das Bild ist unbrauchbar.
Dazu kommt die Schärfeführung. Goeckes Tänzer bewegen sich mit atemberaubender Geschwindigkeit – sein Stil ist geprägt von zuckenden, flatternden Bewegungen und plötzlichen Richtungswechseln. Da versagen Autofokus-Systeme schnell, selbst die besten. Ich arbeite auch heute noch – trotz der inzwischen viel besseren Autofokussierung – oft mit manueller Schärfeeinstellung und antizipiere die Bewegungen. Das erfordert Erfahrung und absolute Konzentration.
DOCMA: Wie entwickelst du dieses Gefühl für den perfekten Moment? In den Bildern scheint es, als hättest du genau den Höhepunkt einer Bewegung erwischt.
Ralf Mohr: Das ist ein Prozess, der weit vor dem eigentlichen Fotografieren beginnt. Ich verfolge die Proben intensiv, studiere die Choreografie, die Abläufe und den Rhythmus der Stücke. Nach einer Weile beginnt der Körper quasi mitzudenken – ähnlich wie bei Sportfotografen, die den Moment des Absprungs oder Aufpralls vorausahnen können.
Tanz hat seine eigene Grammatik. Jede Bewegung hat einen Anfang, einen Höhepunkt und ein Ausklingen. Der entscheidende Moment liegt meist kurz vor dem absoluten Peak – dort ist die Spannung am größten, die Energie am intensivsten. Bei Goeckes Choreografien zählen oft Zehntelsekunden. Seine Tänzer vollführen unglaublich schnelle, zuckende Bewegungen mit den Händen, die wie ein Flimmern wirken. Da muss ich fast hellseherisch den Auslöser drücken.
Eine praktische Technik ist die kontinuierliche Aufnahme mit hoher Bildrate – aber die nutze ich nur gezielt bei komplexen Sequenzen. Die meisten meiner besten Bilder entstehen in der Antizipation des Moments. Ich fühle quasi den Rhythmus der Musik, denke im Takt der Tänzer.
DOCMA: Inwieweit verändert die Post-Processing-Phase deine Bilder? Was ist dein Workflow nach dem Shooting?
Ralf Mohr: Die Nachbearbeitung ist in der Tanzfotografie wesentlich, aber subtil. Durch meine Erfahrung als Grafik-Designer achte ich sehr auf die finale Bildwirkung. Ich beginne mit einer Vorauswahl, wobei ich bei Tanzaufnahmen oft 2.000-3.000 Bilder pro Abend auf etwa 200-300 reduziere. Die wirklich starken Momente erkenne ich sofort – da gibt es eine unmittelbare emotionale Reaktion.
In der Bearbeitung arbeite ich viel mit lokalen Anpassungen. Bühnenlicht erzeugt oft harte Schatten, die ich partiell aufhelle. Die Farbtemperatur der verschiedenen Scheinwerfer variiert stark, was dann komplexere Korrekturen nötig macht. Ich achte besonders auf die Hautfarben der Tänzer – sie sollen natürlich wirken, trotz des dramatischen Bühnenlichts. Was ich nie tue: Körperformen manipulieren oder unrealistische Posen kreieren. Die Arbeit der Tänzer basiert auf physischer Perfektion und jahrelangem Training – diese Authentizität muss respektiert werden. Manchmal entferne ich störende Elemente oder korrigiere perspektivische Verzerrungen, aber das Wesentliche bleibt unangetastet.
Ein wichtiger Aspekt ist die Rauschreduktion. Bei hohen ISO-Werten muss ich oft Kompromisse eingehen. Manchmal belasse ich ein Bild lieber etwas körniger, wenn dadurch wichtige Details und die Dynamik erhalten bleiben, anstatt es durch übermäßige Glättung leblos zu machen.
DOCMA: Marco Goeckes Choreografien haben eine sehr eigene visuelle Sprache. Was macht seine Arbeit aus fotografischer Sicht so besonders?
Ralf Mohr: Goecke ist ein Extremist im besten Sinne. Seine Bewegungssprache ist absolut unverwechselbar – diese zitternden, zuckenden, vibrierenden Bewegungen, besonders in Händen und Oberkörper, die extrem hohe Geschwindigkeit, gepaart mit plötzlicher Stille. Das ist fotografisch eine enorme Herausforderung, aber auch unglaublich dankbar, weil jeder Moment so aufgeladen ist mit Energie und Expression. Was ihn von anderen Choreografen unterscheidet: Goecke arbeitet mit extremen Kontrasten – nicht nur in der Bewegung, sondern auch im Ausdruck. Seine Tänzer können in Sekundenbruchteilen von völliger Anspannung in entspannte Posen wechseln. Diese emotionale Bandbreite einzufangen, ist fotografisch hochspannend.
Besonders faszinierend finde ich seine Arbeit mit dem Gesicht. Anders als im klassischen Ballett, wo oft ein neutraler, fast entrückter Gesichtsausdruck dominiert, fordert Goecke intensive Mimik – von verzerrt bis verstört, von entrückt bis euphorisch. Diese expressiven Gesichter in Verbindung mit den extremen Körperbewegungen erzeugen Bilder von unglaublicher emotionaler Kraft.
Auch seine Bühnenbilder sind fotografisch reizvoll – oft reduziert, aber mit starken visuellen Elementen. Bei »A Wilde Story« zum Beispiel arbeitete er wie eigentlich immer mit reduziertem Bühnenbild. Das gibt mir als Fotograf, der auch wie ein Grafiker denkt, Gelegenheit, nicht nur ins Detail zu gehen, sondern die Tänzer auch im Raum wirken zu lassen.
DOCMA: Du fotografierst nicht nur die Aufführungen, sondern auch Proben und Situationen hinter den Kulissen. Welche fotografischen Ansätze nutzt du in diesen unterschiedlichen Kontexten?
Ralf Mohr: Bei Aufführungen ist mein Ansatz eher klassisch dokumentarisch – ich will das Stück in seiner intendierten Form festhalten, mit allen Elementen wie Bühnenbild, Kostüm und Licht. Ich möchte aber auch das intensive Gefühl dokumentieren, welches Marco seinem Ensemble abringt. Dafür lies mich Marco auch direkt zwischen den Tänzern auf der Bühne fotografieren. Ich durfte mich direkt im Ensemble bewegen um wirklich nach dran sein zu können.
Im Ballettsaal wird mein Blick intimer. Ich kann noch näher ran, kann mich freier bewegen. Das Licht ist neutraler, gleichmäßiger – technisch einfacher, aber ästhetisch eine andere Herausforderung. Hier arbeite ich oft mit Zoomobjektiven im leichten Telebereich und suche nach dem menschlichen Moment – der Konzentration in den Augen, den Schweißtropfen, den Gesprächen zwischen den Tänzern. Dokumentarisch, aber mit einem Blick für die Poesie des Alltäglichen.
Bei Bühnenproben wird es spannend, weil hier die Transformation stattfindet. Ich fotografiere den kreativen Prozess, die Kommunikation zwischen Goecke und den Tänzern, die Momente des Scheiterns und Gelingens. Hier wechsle ich ständig zwischen dokumentarischem und künstlerischem Ansatz, zwischen Totalen und Details. Oft arbeite ich mit offeneren Blenden, um einzelne Figuren aus dem Geschehen herauszulösen.
Die Premieren-Situationen sind fotografisch am spontansten. Da geht es um Emotionen – Anspannung, Nervosität, später Erleichterung und Freude. Hier fotografiere ich journalistischer, nutze verfügbares Licht, arbeite schnell und intuitiv. Diese Bilder leben von ihrer Authentizität.
Der Wechsel zwischen diesen verschiedenen fotografischen Modi der Tanzfotografie ist technisch und mental herausfordernd, aber extrem bereichernd. Du musst ständig umdenken, deine Herangehensweise anpassen – vom kontrollierten Studiofotografen zum Dokumentaristen, vom technischen Perfektionisten zum emotionalen Beobachter.
DOCMA: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Tänzerinnen und Tänzern? Wie erreichst du diese Nähe und Authentizität in den Bildern?
Ralf Mohr: Am Anfang fühlte ich mich als Fremdkörper mit Kamera. Vertrauen aufzubauen war der entscheidende erste Schritt. Ich bin immer sehr zurückhaltend und respektvoll, mache mich quasi unsichtbar. Gerade bei Goeckes Proben, die extrem intensiv und fordernd sind, will ich nicht stören oder ablenken. Mit der Zeit wurde ich Teil der Umgebung. Die Tänzer vergessen irgendwann die Kamera. Das ist der Moment, in dem die wirklich authentischen Bilder entstehen. Ich spreche während der Arbeit kaum, bewege mich leise, nutze geräuschlose Auslösermodi. Es geht darum, die natürliche Dynamik nicht zu unterbrechen.
Was viele unterschätzen: Du musst als Fotograf ein tiefes Verständnis für die Arbeit der Tänzer entwickeln. Ich habe mich intensiv mit Tanzterminologie und -technik beschäftigt, verstehe die Abläufe, kann die Qualität einer Bewegung einschätzen. Diese Kenntnis schafft Respekt auf beiden Seiten. Die Tänzer merken, dass ich nicht nur zufällig Bilder schieße, sondern ihre Kunst verstehe und würdige.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Ich zeige den Tänzern regelmäßig meine Ergebnisse. Dadurch entsteht ein Dialog, ein gegenseitiges Verständnis dafür, was wir gemeinsam schaffen können. Manche haben mir später gesagt, dass sie durch meine Bilder ihre eigene Arbeit neu wahrnehmen konnten, Details entdeckten, die ihnen im Fluss der Bewegung nie aufgefallen waren.
Dafür war es auch nötig Präsenz zu zeigen. Daher war ich sehr sehr oft bei Proben, hatte immer die Kamera dabei, habe sie aber auch oft nicht benutzt, weil die Kraft, die Stimmung, die Konzentration und die Liebe zur Sache so spürbar ist, dass ich diese Momente nicht gefährden wollte. Das Ensemble ist wie eine Familie. Der Umgang untereinander ist ebenso wie der Umgang von Marco mit dem Ensemble immer achtsam gewesen. Die Spannung bei intensiven Proben konnte ich förmlich spüren. Das waren so faszinierende Momente, dass ich im Nachhinein oft dachte: Warum hast du kein Bild gemacht. Ich war aber so im Bann der Stimmung, dass ich überhaupt nicht dran gedacht habe oder Sorge hatte, ich zerstöre den Moment, wenn ich jetzt den Auslöser drücke, Sorge ich würde die Seele des Augenblicks stehlen.
DOCMA: Was lernt man als Fotograf durch so ein intensives, langjähriges Projekt?
Ralf Mohr: Diese Arbeit hat mich als Fotograf komplett verändert. Technisch bin ich an Grenzen gestoßen, die mich gezwungen haben, präziser, schneller und intuitiver zu arbeiten. Die Bühnensituation verzeiht keine Fehler – wenn du den Moment verpasst, ist er unwiederbringlich verloren.
Entscheidend war aber die Entwicklung des fotografischen Blicks. In der Tanzfotografie lernst du, Bewegungsabläufe zu antizipieren, Spannungsbögen zu erkennen und das Unsichtbare sichtbar zu machen. Diese Fähigkeit überträgt sich auf alle anderen fotografischen Bereiche. Egal ob Porträt, Reportage oder freie Arbeit – ich sehe heute anders, reagiere anders, komponiere anders.
Was mich überrascht hat: Wie sehr die Auseinandersetzung mit einer anderen Kunstform deinen eigenen kreativen Prozess bereichert. Goeckes choreografische Prinzipien – der Umgang mit Rhythmus, Kontrast, Spannung und Entspannung – haben Parallelen zur fotografischen Bildgestaltung. Ich habe angefangen, in komplexeren visuellen Sequenzen zu denken, nicht nur in Einzelbildern.
Nicht zuletzt habe ich gelernt, dass das beste technische Equipment wertlos ist ohne die menschliche Verbindung. Die stärksten Bilder entstehen nicht aus der perfekten Belichtung, sondern aus dem Verständnis für den Moment, die Menschen und die künstlerische Intention hinter einer Bewegung. Das hat mir mein Mentor Heinrich Riebesehl schon beigebracht. Er sagte immer: Ob Dein Bild technisch perfekt ist, ist egal, es muss was bewegen. Für Thoss und Goecke waren nie das perfekte Abbild der perfekten Bewegung wichtig, sondern ob das Gefühl die Stimmung der Ausdruck des Tanzes sich im Bild widerspiegelt.
DOCMA: Welchen Rat würdest du Fotokreativen geben, die sich für Tanz- und Theaterfotografie interessieren?
Ralf Mohr: Zunächst: Geh in Vorstellungen, viele Vorstellungen, bevor du überhaupt die Kamera zückst. Entwickle ein Verständnis für die Kunstform und ihre Sprache. Sprich mit Tänzern, Choreografen, Bühnenbildnern. Je mehr du verstehst, desto gezielter kannst du fotografieren.
Technisch solltest du deine Ausrüstung in- und auswendig kennen. In der Dunkelheit des Zuschauerraums wirst du keine Zeit haben, im Menü zu navigieren oder Einstellungen zu suchen. Trainiere das manuelle Fokussieren, lerne Belichtungsparameter intuitiv anzupassen. Beschäftige dich mit Sensorrauschen und Dynamikumfang deiner Kamera – du wirst permanent an diesen Grenzen arbeiten.
Such dir einen Zugang zu Proben. Die besten Möglichkeiten für Tanzfotografie entstehen nicht während der Aufführungen mit streng regulierten Fotografierplätzen, sondern in Proben, wo du freier arbeiten kannst. Baue Kontakte auf, zeige Interesse und Respekt für die Arbeit des Ensembles.
Was die Bildsprache betrifft: Vermeide die offensichtlichen Bilder – den höchsten Sprung, die weiteste Dehnung. Suche stattdessen nach dem emotionalen Moment, der die Geschichte erzählt. Ein erschöpfter Tänzer am Boden kann fotografisch wertvoller sein als eine technisch perfekte Sprungfigur.
Und schließlich: Hab Geduld. Tanzfotografie ist ein Marathon, kein Sprint. Die wirklich tiefen Einblicke und starken Bilder entstehen erst nach Wochen oder Monaten, wenn du Teil der Umgebung geworden bist und die Abläufe intuitiv verstehst.
DOCMA: Was bedeutet es für dich persönlich, die Flüchtigkeit des Tanzes in bleibenden Bildern festzuhalten?
Ralf Mohr: Das hat etwas Paradoxes, wie Christoph Künne es im Nachwort des Buches so treffend beschreibt. Tanz ist die vergänglichste aller Künste – jede Bewegung existiert nur für den Bruchteil einer Sekunde und ist dann unwiederbringlich vorbei. Die Fotografie hingegen friert diese flüchtigen Momente ein, macht sie dauerhaft.
Was mich dabei fasziniert: In der Isolation eines Moments werden Details sichtbar, die in der Aufführung selbst kaum wahrnehmbar sind. Goeckes Choreografien sind so rasant, so komplex, dass viele Nuancen im Fluss der Bewegung untergehen. Die Fotografie erlaubt einen analytischen, verlangsamten Blick auf diese Kunst.
Gleichzeitig ist es eine Herausforderung, die Energie und Dynamik des Tanzes in ein statisches Medium zu übertragen. Ein gutes Tanzfoto lässt den Betrachter die Bewegung spüren, obwohl er nur einen eingefrorenen Moment sieht. Es aktiviert unsere Vorstellungskraft, lässt uns den Moment davor und danach erahnen.
Aus historischer Perspektive schafft diese Dokumentation ein visuelles Archiv einer Kunstform, die sonst mit den Aufführungen vergehen würde. Diese Stücke von Goecke werden vielleicht irgendwann nicht mehr auf den Bühnen zu sehen sein. Was bleibt, sind diese Bilder als Zeugnis seiner künstlerischen Vision. Das empfinde ich als große Verantwortung.
Persönlich hat mich diese Arbeit gelehrt, Schönheit und Bedeutung im flüchtigen Moment zu erkennen – eine Haltung, die weit über die Fotografie hinausreicht und mein gesamtes Sehen verändert hat.
Das Interview führte DOCMA im März 2025 anlässlich der Veröffentlichung des Bildbands zu Ralf Mohrs Tanzfotografie-Projekt »Stage-Backsatge« an der Staatsoper Hannover. Dort sind einige seiner im Buch gezeigten Arbeiten vom 13.-21. April während der Oster Tanztage 2025 großformatig in der Oper ausgestellt.