BlogPhotoshop

Photoshop auf dem Telefon – haben wir darauf gewartet?

Verbringen Kreative – oder wie man sie heute gerne nennt »Creators« – irgendwann mehr Zeit damit, mit Fingergesten auf winzigen Bildschirmen herumzuwischen, als an Rechnern vor großen Monitoren zu sitzen? Adobe jedenfalls scheint fest daran zu glauben, dass wir sämtliche kreativen Glanzleistungen in Zukunft mit zwei Daumen und einem Smartphone vollbringen wollen. Die Grundversion von Photoshop fürs Smartphone ist sogar kostenlos, was toll klingt, bis man merkt, dass genau die nettesten Funktionen hinter der Paywall versteckt liegen.

Eine lange Vorgeschichte

Photoshop auf einem tragbaren Gerät – im Grund ist das nicht ganz neu. Schon 2008 stellte Adobe Photoshop Express vor, 2009 folgte Photoshop.com Mobile, 2012 Photoshop Touch und 2015 Adobe Photoshop Fix. 2024 vereinten sie Adobe Photoshop Express und Adobe Photoshop Fix unter dem Namen Adobe Photoshop Express. Diese Versionen bitte nicht mit Adobe Photoshop Elements verwechseln, das es seit 2001 für PCs und Macs gibt, zusätzlich zu den verschiedenen Versionen von Adobe Photoshop, Adobe Photoshop Lightroom und Adobe Photoshop Lightroom Classic. Kein Wunder, dass viele Nutzer nur von „Adobe“ sprechen, wenn sie ihre Bildbearbeitungssoftware meinen. Und nun einfach nur „Adobe Photoshop“ – auch auf dem Handy.

Was die neue App bietet

Immerhin: Auch in der neuen Smartphone-Variante finden sich die wichtigsten Ur-Photoshop-Funktionen wie Ebenen, Masken und sogar generative KI-Spielereien mit „Generatives Füllen“ und „Generatives Erweitern“. Selbst etwas Retusche ist an Bord, damit man störende Strommasten oder unliebsame Ex-Freunde von der Bildfläche zaubern kann.

Wer dann allerdings auch die raffinierteren Werkzeuge – etwa das Schnellauswahlwerkzeug oder die kluge Objekt-/Hintergrundmaskierung – nutzen will, darf sich für so um die acht Dollar im Monat in die Premiumzone begeben. Dort warten dann auch über 20.000 Schriften, KI-gestützte Entfernen-Werkzeuge und Firefly-Funktionen, die nach Belieben neue Pixel herbeizaubern.

Für wen ist die App gedacht?

Profis werden die App (wie alle ihre Vorgänger) bestenfalls belächeln – man merkt schnell, dass ein Smartphone-Bildschirm und die eigenen Finger als Mal- und Auswahlwerkzeuge enge Grenzen setzen. Doch an hochambitionierte Desktop-Vollprofis richtet sich diese Version auch gar nicht. Adobe zielt stattdessen auf eine Generation, die ihre einzigartigen Ideen sofort und auch unterwegs festhalten möchte und deren erster Anlaufpunkt fürs Kreativwerden eben nicht mehr der Schreibtisch ist. Die junge Generation halt, für die ein Smartphone „der“ Computer ist. Falls sie damit dann doch nicht ganz intuitiv umgehen können, sagen sie vermutlich nicht „endlich“ zum Erscheinen von Photoshop auf dem Smartphone, sondern „finally“, denn ohne Englischkenntnisse sind die mitgelieferten Erklärvideos zur App-Bedienung unverständlich.

Ökosystem und Zukunftsaussichten

Besonders stolz ist Adobe auf die Verbindung mit Photoshop im Web und dem ebenso neuen „Mobile & Web“-Tarif, was im Klartext heißt: Schließ ein Abo ab, dann kannst du Dateien auf allen Geräten verwalten und nahtlos an Deinen Projekte weiterfeilen. Dazu passt auch die enge Verzahnung mit Adobe Express oder dem Malprogramm Fresco. Lightroom-Fotos lassen sich importieren, 1,5 Millionen kostenlose Adobe-Stock-Bilder sind integriert, und angeblich kommt irgendwann eine Android-Version, damit auch alle jenseits des Apfelkosmos sich nicht ganz abgehängt fühlen.

Zeitgeist oder Mogelpackung?

Ob das Ganze eine Revolution darstellt oder nur die logische Reaktion auf den Zeitgeist, bleibt Geschmackssache. Der Name „Adobe Photoshop“ für die mobile App ist angesichts des reduzierten Funktionsumfangs für manche Langzeitnutzer eine Mogelpackung. Andererseits ist der Funktionsumfang derart zusammengedampft, dass die App durch ihre Einfachheit punkten kann.

In einem Marketingzeitalter, in dem wir selbst aus dem Flugzeugfenster noch Bilder teilen wollen, ist ein „Photoshop fürs Telefon“ vielleicht tatsächlich überfällig. Wenn man unterwegs schnell einen Flyer gestalten möchte oder ein Streaming-Thumbnail mit vielfältigen Schriften versehen will, hat man nun alle Werkzeuge zur Hand – oder besser gesagt: in der Hosentasche. In jedem Fall demonstriert Adobe mit diesem Schritt, dass auch sie auf den Smartphone-Boom setzen. Nun kann man also schon in der U-Bahn seine kreativen Ideen ausleben und seine Kunstwerke erschaffen, während draußen die Welt an einem vorüberzieht. Klingt doch irgendwie zeitgemäß – oder vielleicht einfach nur bescheuert?

Munter bleiben!

Zeig mehr

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

Schreibe einen Kommentar

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"