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Nützliche Löcher

Digitalfotografie beruht auf der Erzeugung von Elektrizität durch Licht, also der Freisetzung von Elektronen durch Photonen. Zu jedem freigesetzten Elektron entsteht aber auch noch ein dazu passendes Loch, und diese Löcher können sich ebenfalls nützlich machen, nützliche Löcher werden.

Die ominösen Löcher hatte ich schon mehrfach erwähnt, beispielsweise vor rund einem halben Jahr, als es um das Prinzip des „Dual Conversion Gain“ bei Sensoren ging: „Während einer Aufnahme treffen Lichtteilchen (Photonen) auf die Pixel, und die Energie der absorbierten Photonen setzt Elektronen-Loch-Paare frei. Die Elektronen werden in den Pixeln gesammelt und die Zahl der gesammelten Elektronen (die elektrische Ladung) ist ein Maß für das Licht. (Übrigens könnte man – kein Scherz! – statt der Elektronen auch die Löcher sammeln. Man könnte auch Elektronen und Löcher sammeln, aber üblicherweise beschränkt man sich eben auf die Elektronen.)“

Um was handelt es sich überhaupt bei diesen Löchern? Die Siliziumatome im Sensorchip sind Teil einer Kristallstruktur, in der alle Elektronen an ihrem Platz sitzen. Die Energie eines auftreffenden Photons kann nun aber ein Elektron aus dem Verband lösen, und das dann frei vagabundierende Elektron hinterlässt an seiner Stelle ein Loch – einen Platz, an dem nun ein Elektron fehlt. Als negatives Ladungsteilchen werden die Elektronen von einer postiven Spannung angezogen und können so gesammelt werden; am Ende der Belichtung ergibt sich aus der Zahl der gesammelten Elektronen, wie hell das Licht war, das dieses Sensorpixel belichtet hat.

Und die Löcher? Was kann man mit ihnen anfangen, außer sie wieder mit Elektronen zu füllen? Schließlich handelt es sich bloß um Stellen, an denen etwas fehlt. Falls Sie sich noch an die Stunden Ihres Physikunterrichts erinnern, in denen es um statische Elektrizität ging, dann wissen Sie vermutlich noch, dass es positive und negative elektrische Ladungen gibt. Was negative Ladungen sind, ist klar: ein Überschuss an (von Natur aus negativ geladenen) Elektronen. Aber woraus bestehen dann positive Ladungen? Nicht etwa aus Protonen, den positiv geladenen Elementarteilchen. Protonen sind Teil des Atomkerns, und so lange wir keine Kernspaltung probieren, bleiben sie auch darin – mit dem Fluss elektrischer Ladungen haben sie nichts zu tun, denn es sind immer nur die Elektronen, die sich bewegen. Positive Ladungen sind vielmehr ein Mangel an Elektronen, oder anders gesagt: ein Überschuss an Löchern.

Nützliche Löcher
So wie sich die Quadrate in einem Verschiebepuzzle verschieben lassen, wodurch das freie Feld wandert, wandern auch die Löcher in einem Siliziumkristall, wenn ein Loch von einem benachbarten Elektron gefüllt wird. (Quelle: Antonsusi)

Auch diese Löcher bewegen sich, ganz genauso wie die Elektronen. Sie können sich das anhand eines Verschiebepuzzles anschaulich machen, in dem es 15 verschiebbare, quadratische Puzzleteile gibt, während eines der insgesamt 16 Felder frei bleibt. Wenn Sie nun ein Quadrat in das freie Feld verschieben, wird dafür auf der anderen Seite ein Feld frei – das freie Feld, also das Loch, verschiebt sich. Ganz ähnlich kann im Siliziumkristall ein benachbartes Elektron ein entstandenes Loch füllen, womit es aber seinerseits ein neues Loch hinterlässt, und so wandern Löcher durch die Kristallstruktur. Man kann sich die Löcher durchaus wie positive Ladungsteilchen vorstellen, die von einer negativen Spannung angezogen werden. Sie lassen sich auch ebenso wie Elektronen sammeln, in eine elektrische Spannung umwandeln und diese Spannung digitalisieren.

Nützliche Löcher
In dem von STMicroelectronics entwickelten Sensor werden in jedem Pixel sowohl die negativen Elektronen als auch die positiven Löcher unabhängig voneinander gesammelt.

Normalerweise geschieht das nicht; man beschränkt sich darauf, die Elektronen zu sammeln. In der Fachzeitschrift Sensors ist nun aber vor wenigen Tagen ein Artikel eines Forschungsteams des französischen Herstellers STMicroelectronics erschienen, in dem die Nutzung von Elektronen und Löchern beschrieben wird. Der Sinn der doppelten Ladungssammlung besteht hier in der Simulation zweier unterschiedlicher Belichtungen zur Erweiterung des Dynamikumfangs. Tatsächlich wird jedes Sensorpixel nur einmal belichtet, aber die Löcher, also die positiven Ladungen, werden separat in einem Kondensator hoher Kapazität gesammelt. Wenn der wie in jedem Sensorpixel vorhandene Speicher für Elektronen in hellen Bildbereichen überläuft, können daneben weiter Löcher gesammelt werden – die Full well capacity für Löcher ist weit größer als die für Elektronen. Auf diese Weise erzielt man mit einer einzigen Fotodiode den Effekt zweier gleichzeitiger, unterschiedlicher Belichtungen, aus denen sich ein Bild mit vergrößertem Dynamikumfang berechnen lässt.

Nützliche Löcher
Nachdem der Ladungsspeicher für Elektronen (hier blau markiert) seine Füllgrenze erreicht hat, können weiterhin Löcher gesammelt werden (dunkelgrau markiert).

Übrigens wurde dieses Sensorkonzept nicht etwa für die bildmäßige Fotografie entwickelt. Die Fotografie ist schon seit Jahren nicht mehr die treibende Kraft für die Sensorentwicklung. Für einige Jahre waren es die Smartphones, die die meisten Innovationen in der Sensortechnik motivierten, aber inzwischen ist es der Automobilbau, der die höchsten Anforderungen stellt und der die Richtung der Forschung und Entwicklung in diesem Bereich bestimmt. Dennoch werden am Ende auch Kamerahersteller von den neuen Technologien profitieren können, wenn so konstruierte Sensoren in größeren Formfaktoren verfügbar werden.

Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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