Manche Markenzeichen haben sich seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert kaum verändert, andere würden von ihren damaligen Entwerfern heute kaum wiedererkannt. Ähnlich wie die Typographie von Satzschriften oder die Stile von Kunstwerken entwickeln sich auch Logos, oft von realistischen Bildern hin zu stark abstrahierten Zeichen und Emblemen. Doc Baumann hat sich Jens Müllers neues Buch „Logo Beginnings“ für Sie angeschaut.
Wie so oft macht auch dieser großformatige und voluminöse Band aus dem Taschen Verlag zunächst mal einen nahezu erschlagenden Eindruck auf den Betrachter, und das nicht allein wegen der Ausmaße und des Gewichts, sondern auch wegen der ungeheuren Fleißarbeit des Verfassers, der hier mehr als 6000 Logos gesammelt und geordnet hat.
Logos, meist von Firmen, kann man als eine grafische Fortsetzung alter Adels- und Clan-Embleme sehen, wie sie zum Beispiel in Form von Wappen auf Schildern oder Fahnen verwendet wurden, um mit einem einfachen, gut einprägsamen Symbol eine bestimmte soziale Gruppe zu repräsentieren.
Später wandelten sie sich immer mehr zu Erkennungszeichen im Kontext wirtschaftlicher Aktivitäten. Steinmetze etwa kennzeichneten mit einfachen Zeichen die von ihnen behauenen Steinblöcke, Drucker in der frühen Neuzeit setzten ihre Embleme auf die Titelei der bei ihnen produzierten Bücher. Heute gibt es kaum noch ein größeres Wirtschaftsunternehmen, das sich nach außen (und innen) nicht mit einem eigenen Logo präsentiert: Ein (eigentlich altertümlich anmutender und doch für prickelnden Frische stehender) Schriftzug wie der von Coca-Cola, ein stilisierter Gegenstand wie die Shell-Muschel, ein abstraktes Zeichen wie der viergeteilte Kreis von BMW, der Blitz von Opel (bisher noch nicht verboten trotz Ähnlichkeiten zum russischen Sieges-Z …).
Oder das rote Quadrat von DOCMA, das für ein Pixel steht, aber sich als eigenständiges Logo nie so richtig durchsetzen konnte. Außerdem ist zu befürchten, dass es längst irgendein Unternehmen gibt, dass ein rotes Quadrat als Markenzeichen auserkoren hat. Bei Missbrauch drohen dann teure Gerichtsverfahren. Zur Corporate Identity kann ja inzwischen selbst eine beliebige Farbe wie Magenta gehören mit dem Anspruch, von anderen nicht genutzt werden zu dürfen, was mich an meine Zeiten als Journalist in der Motorradrocker-Szene erinnert, wo die Hells Angels die Farben Rot und Weiß, die Bandidos Rot und Gelb oder die Bones Schwarz mit außergerichtlichen Lösungsansätzen für sich reklamiert hatten.
Jens Müller hat sich der Aufgabe unterzogen, die mehr als 6000 Logos in diesem Band zu systematisieren und zu ordnen. Wie macht man das? Es gäbe verschiedene Möglichkeiten; Müller hat die formale und chronologische gewählt. Zunächst gibt es die vier Hauptkategorien Bildsymbol, Form, Effekt und Typographie. Das fächert sich weiter auf, etwa bei den Formen: Geometrie, Kreis, Oval. Quadrat, Dreieck, Rombus, Linien, Kreuz, Pfeil und Stern. Innerhalb dieser Untergruppen gilt dann eine chronologische Reihenfolge.
Unter den vier Hauptkategorien finden sich einige mehrseitige Kapitel, welche die Entwicklung eines Firmenlogos von seinen Anfängen bis in die Gegenwart nachverfolgen. Diese Teile sind für mich die interessantesten im Buch (und ich hatte aufgrund des Titels fälschlich erwartet, dies sei der eigentliche Gegenstand des Bandes). Anzumerken ist hier die wie üblich bei Taschen sehr hohe Druckqualität, mit der auch 150 Jahre alte Logos bis hin zu feinen Haarlinien sauber reproduziert werden.
Man mag sich vielleicht wundern, warum ein solches Thema ein derartig großes Buchformat erfordert. Tut es eigentlich nicht – aber diese Wahl ist durchaus sinnvoll, weil so auf einer Doppelseite sehr viele Logos nebeneinandergestellt und auch in ihrer zeitlichen Entwicklung verglichen werden können, ohne dass man vor- und zurückblättern müsste.
Eine schöne Idee ist es, die nun genau ein Jahrhundert alte Broschüre von Fritz Helmut Ehmke „Wahrzeichen – Warenzeichen“ komplett und im Originalformat zu reproduzieren. (Hier stört mich die allzu saubere Wiedergabe ehrlich gesagt sogar ein wenig; da hätte ich mir ein wenig mehr Nostalgie und Gebrauchsspuren gewünscht. Aber das ist natürlich Geschmacksache.)
Wie üblich geht es aber auch bei diesem Titel – bei aller Wertschätzung – nicht ohne eine kleine Kritik ab. Am folgenden Satz werden sich zwar die meisten Leser kaum stören: „Europäische Buchdrucker des 16. Jahrhunderts nutzten für ihre Zeichen hingegen komplexe gegenständliche Darstellungen von Menschen und Tieren – wahrscheinlich, weil die damalige Drucktechnik nun erstmals ermöglichte, im Holz- oder Stahlstich entsprechend künstlerisch expressiv zu arbeiten.“ In einem Buch zur Geschichte der Grafik ist das allerdings ein bisschen peinlich, weil die beiden genannten Verfahren erst drei Jahrhunderte später entwickelt wurden: Der Holzstich um 1800, der Stahlstich 20 Jahre später. Müller meint hier wohl Holzschnitt und Kupferstich (von Dürer sind auch ein paar Eisenstiche überliefert).
Während dies ein kleiner und für das Thema unbedeutender Ausrutscher ist, wiegt ein anderes Versäumnis schwerer: Dem Band fehlt ein Register. So viel Freude das bloße Betrachten und visuelle Vergleichen der Logos auch bereitet – wenn man sich schon der Mühe unterzieht, eine solch gewaltige Sammlung zu ordnen und in Buchform zu präsentieren, sollte man im Interesse der Nutzbarkeit auch den letzten Schritt gehen und Logos durch ein solches Register schnell auffindbar machen.
Davon abgesehen: Für Grafiker eine sehr wichtige und empfehlenswerte Quelle, sowohl unter historischen Aspekten wie unter solchen der eigenen Inspiration, wenn man mal einen entsprechenden Auftrag erhält. (Hier sei auch auf die drei anderen Bände zum Logo-Design bei Taschen verwiesen.)
Jens Müller
Logo Beginnings
Taschen Verlag, 2022
432 Seiten, Großformat, gebunden
60 Euro
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