Mittelformat: Und was ist mit den Objektiven?
Prinzipiell unterscheiden sich Mittelformat-Objektive natürlich nicht von Objektiven für andere Bildformate. Gegenüber Kleinbild-, APS-C- und MFT-Objektiven dürften sie eigentlich nur (tendenziell) größer und schwerer sein. In der Praxis findet man dann aber doch weitere Unterschiede zwischen den Objektivportfolios der verschiedenen Kamerasysteme.
Je größer der Sensor, desto länger muss die Brennweite eines Objektivs sein, um einen bestimmten Bildwinkel zu erfassen. Eine Normalbrennweite entspricht beispielsweise stets der Sensordiagonale. Beim Kleinbildformat wären das 43 mm, die traditionell auf 50 mm aufgerundet werden. Ein Mittelformatsensor im Formfaktor 44 mm × 33 mm, wie er in der jüngst vorgestellten Fujifilm GFX100 II steckt, hat eine Diagonale und damit eine Normalbrennweite von 55 mm.
Die nötigen längeren Brennweiten führen zu entsprechend längeren Objektiven, und wenn diese die gleiche Lichtstärke wie Objektive für kleinere Formate haben sollen, muss auch ihre Öffnung und damit der Durchmesser größer sein. Dass sie einen größeren Bildkreis gleichmäßig und mit annähernd gleich hoher Kontrastübertragung ausleuchten müssen, trägt ebenfalls dazu bei. All dies hat zur Folge, dass der Mittelformat-Fotograf selbst dann, wenn er sich für eine relativ kompakte Kamera entscheidet, an seiner Ausrüstung schwerer zu tragen hat.
Schaut man sich die Objektivsortimente der Mittelformat-Hersteller an, fällt allerdings auf, dass es darin weniger besonders lichtstarke Objektive gibt, verglichen mit Kleinbild- oder APS-C-Systemen. Wohlgemerkt: Es gibt durchaus Objektive mit einer großen Öffnung, die daher viel Licht auffängt und auf den Sensor leitet, aber da sich die Blendenzahl aus dem Verhältnis der Brennweite zur Öffnung berechnet, ist ein Mittelformat-Objektiv trotz gleich großer Öffnung lichtschwächer als ein Objektiv für ein kleineres Format und daher kürzerer Brennweite.
Tatsächlich ist das dem Anschein zum Trotz kein Nachteil, denn für die Bildqualität ist allein die Öffnung entscheidend, also wie viel Licht in das Objektiv hinein geht. Auch bei der Belichtung ist man durch die kleinere Blende nicht eingeschränkt, denn wenn man einen äquivalenten ISO-Wert wählt (der gegenüber dem Kleinbild rund 1,5 mal und gegenüber APS-C viermal höher ist), ergibt sich wieder dieselbe Belichtungszeit. Das entspanntere Verhältnis der Öffnung zur Brennweite macht es dafür dem Objektiventwickler leichter, die Korrektur des Objektivs zu optimieren, und das Ergebnis ist oft eine bessere Abbildungsqualität.
In Fujis GFX-System gab es bisher immerhin zwei besonders lichtstarke Objektive, das GF 80 mm F1.7 R WR (äquivalent zu einem 64 mm f/1,4 in einem Kleinbildsystem) und das GF 110 mm F2 R LM WR (äquivalent zu 88 mm f/1,6). Jetzt ist das GF 55 mm F1.7 R WR hinzu gekommen, ein Normalobjektiv, dem in einem Kleinbildsystem ein 44-mm-Objektiv mit einer Lichtstärke von f/1,4 entspräche.
Irgendwelche Nachteile scheinen damit nicht verbunden zu sein, weder in der Schärfenebene noch im unscharfen Hinter- und Vordergrund. So viel konnte ich jedenfalls beim Fujifilm X Summit in Stockholm feststellen, auf dem ich das Objektiv – wenn auch nur kurz – ausprobieren konnte. Eine knackige Schärfe bei den fokussierten Details wird ja nicht selten mit einem unruhigen Bokeh erkauft, aber ähnlich wie beim XF 56 mm F1.2 R WR aus Fujis X-System muss man keinen solchen Kompromiss eingehen.
Die Schärfeleistung ist schon offenblendig bemerkenswert; im Randbereich gewinnt man bei f/2,8 noch etwas hinzu. Da kann man dann auch in der Dämmerung bei ISO 80 bleiben und mit 1/400 s belichten.
Was man bei Mittelformat-Herstellern durchweg vergeblich sucht, sind Tilt/Shift-Objektive zur Perspektivkorrektur und zur Schrägstellung der Schärfenebene. in Hasselblads H-System gibt es immerhin einen Tilt/Shift-Adapter, der allerdings gleichzeitig ein Telekonverter ist und die Brennweite der angeschlossenen Objektive um 50 Prozent verlängert. Fuji hat nun gleich zwei Tilt/Shift-Objektive eingeführt, das ab Oktober verfügbare GF 30 mm F5.6 T/S und das GF 110 mm F5.6 T/S Macro, das im November folgt. Prinzipiell könnte man auch eines der T/S-Objektive für Kleinbildsysteme adaptieren, wie es sie von den Kameraherstellern wie auch von Drittanbietern gibt, nur sind diese naturgemäß für einen kleineren Bildkreis gerechnet. Das GF 30 mm F5.6 T/S lässt sich in jeder Richtung um 15 mm verschieben, so dass ein Bildkreis von 85 mm abgedeckt werden muss. (Hasselblads T/S-Adapter im H-System macht gewöhnliche Objektive für Verschiebungen tauglich, da der eingebaute Telekonverter den Bildkreis um 50 Prozent vergrößert.) Daneben lässt sich das Objektiv um 8,5 Grad kippen, wobei auch die Schärfentiefe kippt – so kann man wahlweise für eine maximale Schärfe vom Vorder- bis zum Hintergrund sorgen oder umgekehrt mit einer scheinbar verkürzten Schärfenzone einen Miniatureffekt erzeugen.
Fujis T/S-Objektive übertragen sowohl die eingestellte Verschiebung wie auch den Drehwinkel, mit denen man – unabhängig voneinander – die Richtung einstellt, in der verschoben und gekippt wird, an die Kamera, die diese Werte in den Metadaten der Aufnahmen speichert.
Mit diesen beiden Objektiven wird eine weitere Lücke geschlossen, die bislang zwischen Mittelformat-Systemen und den lange Jahre vielfältiger aufgestellten Kleinbildsystemen klaffte.