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Ministerieller Missbrauch von Bilddaten

Im aktuellen Fall von Kindesmissbrauch in Münster hat die Polizei bisher laut Medienmeldungen Daten im Umfang von 4 Terabyte erfasst. Eine erschreckende Menge. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen sprach von einem „Gebirge von Daten“. Das entspreche einem Schriftsatz von 2,6 Milliarden DIN A4-Seiten oder 520.000 Aktenschränken. Das mit dem Datengebirge ist richtig – das mit der halben Million Aktenschränke dagegen Volksverdummung.

Ministerieller Missbrauch von Bilddaten
Rechnerisch sind 5 MB immer 5 MB, aber es macht einen großen Unterschied, welche Daten damit dargestellt werden. / Foto und Montage: Doc Baumann

Man kann auch mit der Wahrheit lügen. Wie das funktioniert, hat gerade der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, vorgeführt. Die sehr großzügig ausgelegte Wahrheit ist wohl – je nachdem, wie viel Text auf einer Seite steht, wie viele Seiten in einem Ordner sind und wie viele Ordner in einen Aktenschrank passen –, dass da am Ende rund eine halbe Million Schränke zusammenkommen können. (Darf’s noch etwas mehr sein: Rechnet man eine reine Textdatei mit 2.500 Zeichen und 4 Kilobyte Speicherbedarf auf einem Medium, ist man sogar locker bei einer Billion Seiten.)

So weit, so erschreckend. Beim normalen Leser oder Fernsehzuschauer erweckt dieser Vergleich den Anschein, die Fahnder müssten sich jetzt durch zweieinhalb Milliarden Dateien quälen. Und das ist natürlich völliger Unsinn. Entweder weiß es der Minister nicht besser (schlimm!) oder er weiß es und will diesen falschen Eindruck bewusst erwecken, dann handelt es sich um Volksverdummung (schlimmer!).

Die Bibel etwa hat einen Umfang von etwa 4,4 Millionen Zeichen, was näherungsweise einer Datei von 5 Megabyte entspricht. Ein Digitalfoto aus meiner kleinen Pocket-Kamera hat etwa dieselbe Dateigröße. Davon ausgehend, dass die Bilddateien der Münsteraner Kinderschänder etwa dieselbe Größe haben, kommt man auf rund 800.000 Bilddateien. Beschlagnahmt wurden laut dem Innenminister 1.100 IT-Beweismittel, also wohl Festplatten und DVDs. Es ist davon auszugehen, dass die Bilder mehrfach abgesichert waren; da ich darüber nichts weiß, müsste ich hier spekulieren. Vielleicht bleiben am Ende rund 300.000 Bilder übrig. Wurden die Datenträger bei verschiedenen Personen beschlagnahmt, sind es immer dieselben Bilder und folglich noch weniger. (Richtig ist allerdings, dass sie trotzdem alle angeschaut und bewertet werden müssen, sofern man Doubletten nicht automatisch aussondert.)

Nun sind aber wohl die meisten dieser Daten gar keine Bilder, sondern Videos, und die haben dann eher das Hundertfache an Datengröße. Rechnen wir mit 400 Megabyte, bleiben 10.000 Dateien (ohne Berücksichtigung von Dopplungen durch Backups usw.).

Man kann auch bei den Aktenschränken ansetzen: Bei vorgeblich 2,6 Milliarden Seiten und 520.000 Schränken kommen auf einen Schrank 5.000 Seiten. Ich habe einen recht kleinen Aktenschrank, in den 45 Aktenordner passen. In jedem dieser Ordner würden sich also lediglich 111 Seiten finden. Das ist lächerlich und ein weiteres Beispiel dafür, dass es bei dieser Äußerung des Ministers unnötigerweise darum geht, gewaltige Zahlen zu produzieren und damit die Bürger zu beeindrucken. Kein Wunder, dass das Misstrauen gegenüber Politikern so hoch ist.

Bedenkt man, was die beschlagnahmten Fotos und Videos zeigen und welches Leiden der Kinder mit diesen Aufnahmen verbunden war, wären 300.000 Bilder oder 10.000 Videos eine nicht weniger entsetzliche Zahl, hinter der sich grauenvoller Missbrauch verbirgt. Letztlich ist es egal, ob 10.000, 300.000 oder 800.000, selbst wenn es 100 wären, wären die damit verbundenen Handlungen ebenso verwerflich.

Da auch diese wahrscheinlicheren Zahlen so gewaltig sind, hätte man sich die aufgeblasene Mitteilung mit den 520.000 Aktenschränken ersparen können – sehr hoch gerechnet und ganz grob geschätzt käme eine Bilddatei auf einen Aktenschrank. Bei Videos wären 98% der Schränke leer. Hätte der Minister umgekehrt den Umfang der Affäre runterspielen wollen, hätte er auch sagen können: Na ja, das waren gerade mal Daten auf vier großen USB-Sticks, die man mühelos in die Hosentasche stecken kann. Wer auch nur ein wenig nachdenkt und nachrechnet, muss sich hier für dumm verkauft fühlen. Es wirft kein gutes Licht auf die Arbeit der Behörden, wenn sie es für nötig halten, mit solchen Phantasiezahlen die Öffentlichkeit zu manipulieren.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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3 Kommentare

  1. Nun ja, bleibt die Frage ob es eine Richtigstellung in den öffentlich rechtlichen Medien gibt oder die Sache wieder unter den Tisch gekehrt wird. in letzterem Fall werden die Opfer ein zweites mal missbraucht.
    Alles in allem, sehr gut recherchiert lieber Doc Baumann!

    1. Mal abwarten. Ich hahe dem Minister den Text direkt zukommen lassen und um eine Stellungnahme gebeten. Ich könnte mir vorstellen, dass das einer der hochbezahlten Berater formuliert und der Minister es ohne Sachkenntnis nacherzählt hat. Er hätte ja mal nachdenken können: Wenn die Daten einer halben Million Aktenschränken entsprechen, wie haben sie dann idigital n eine Gartenlaube gepasst? Allein, dass es überall abgedruckt und gesendet wird und niemand – soweit ich es gelesen habe – diese halbwahren Fake News ohne Faktencheck kritisch kommentiert, zeigt wie kompetent diese Medien sind. Und dann wundern sie sich, wenn die Rechten sie als Lügenpresse verunglimpfen.

  2. Aber aber:
    Unsere Politiker lügen doch nicht!
    Sie sagen höchstens die Unwahrheit…
    Nee, das war keine Absicht: So wie man in Politikerkreisen den Unterschied zwischen Kobold und Kobalt nicht kennt, so steht man auch mit Zehnerpotenzen auf dem Kriegsfuß…
    Wenn selbst eine (angeblich promovierte, die Dissertation ist ja unauffindbar…) naturwissenschaftlich vorgebildete Bundeskanzlerin noch vor wenigen Jahren all das als Neuland bezeichnet-wen wundert’s dann?
    Jedenfalls erinnert mich der Kommentar an meinen alten Professor, der so um 1980 oder 1981 verkündete, jetzt würde einmal so richtig in die EDV investiert, also in unseren einzigen CP/M-Rechner:
    Eine Festplatte wurde angeschafft!
    32 MB. Ja: Megabyte…Hat damals einige tausend DM gekostet.
    Mein Prof nach erfolgreicher Inbetriebnahme:
    „Großartig, die werden wir nie im Leben voll bekommen, da passen tausend Bibeln drauf…!“

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