Eigentlich sollte der folgende Text nur eine Rezension des Buches „Ein falsches Wort“ von René Pfister werden. Doch als Doc Baumann für eine passende Aufmacherillustration mit Adobe Firefly experimentierte, änderte sich der vorgesehene Schwerpunkt plötzlich. Denn die KI verweigerte die Umsetzung des Prompts „Gefährdung der Meinungsfreiheit“ mit Hinweis auf ihre Benutzungsrichtlinien. Nur einer von zahllosen Fällen, in denen uns eine generative KI vorschreiben will, was wir darstellen dürfen.
In der aktuellen DOCMA-Ausgabe 106 finden Sie einen Beitrag von mir, in dem es um die Verweigerung vieler KI-Systeme geht, nackte Menschen darzustellen. In der nächsten Ausgabe, Heft 107, zeige ich weitere Beispiele, in denen KI unfähig oder nicht willens ist, den formulierten Prompt als Bild zu generieren. Mitunter werden Anwender gar mit Ausschluss bedroht, sollten sie derartiges noch einmal einzugeben wagen.
Nun kann man der Meinung sein, Nacktheit sei gleich Pornographie (siehe die Entlassung einer Lehrerin in Florida, die ihren Schülern die pornographische Statue Davids – immerhin ein Motiv aus der Bibel – von Michelangelo zu zeigen wagte). Das ist barbarisch und bigott, aber traurige Wirklichkeit. Unerwünschte Nacktheit steht auch an erster Stelle der Nutzerrichtlinien von Firefly, dann folgen – gleich schlimm oder in abnehmender Bedeutsamkeit – unter anderem hasserfüllte Inhalte, grafische Gewalt oder Blut, Verherrlichung von Gewalt, Förderung von Terrorismus oder gewalttätigem Extremismus usw. (die komplette Liste finden Sie weiter unten).
Nehmen wir mal für eine Minute an, diese Aufzählung sei ethisch angemessen. Dann sollte ja eigentlich ein Prompt wie „Gefährdung der Meinungsfreiheit“ ganz im Sinne der Richtlinien sein, die überschrieben sind mit „Seien Sie respektvoll und sicher“ (was auch immer es bedeuten mag, dass Sie sicher sein sollen).
Firefly ist da nur ein Beispiel. ChatGPT etwa weigert sich, mögliche Gründe aufzuführen, die gegen die Verwendung von Gendersprache sprechen. Nun gibt es derer viele (ich habe darüber mal ein sehr ausführliches Gutachten verfasst), allen voran den, dass es das absolute Gegenteil von Respekt ist, Menschen sprachlich eindimensional auf ihre sexuelle Identität zu reduzieren und alle anderen Identitäten als nachrangig zu behandeln. Dazu möchte sich ChatGPT ebenso wenig äußern wie etwa zu dem Widerspruch, dass in zahlreichen Gesellschaften mit Sprachen, in denen es kein generisches Maskulinum gibt, weitaus weniger Rechte für Frauen oder Menschen der LGBTQ-Gemeinde existieren als im deutschen Sprachraum.
Nun steht außer Frage, dass es sicherlich sinnvoll und nötig ist, der weiteren Entwicklung von KI ethische Regeln an die Seite zu stellen – so, wie es derzeit breit diskutiert wird. Aber was soll diese Forderung konkret bedeuten? Dass ein autonom fahrendes Auto in einer Konfliktsituation in Sekundenbruchteilen entscheiden soll, ob es lieber den Fahrer oder eine Fußgängerin tötet? Dass Menschen ins Unglück gestürzt werden, weil KI einen Kredit verweigert? Dass, um in unserem Bereich zu bleiben, Zehntausende arbeitslos werden, weil KI Illustrationen (siehe das Bild zu Beginn dieses Beitrags), Fotos, Layouts usw. weitaus billiger, schneller (und sehr oft auch besser) produziert? Es ist heuchlerisch, ethische Grenzen setzen zu wollen, die nur das betreffen, was KI inhaltlich hervorbringen kann, und die ethischen Aspekte der Folgen zu ignorieren, die ihre Verwendung gesellschaftlich und ökonomisch mit sich bringen werden.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich schätze KI-Bilder sehr und finde viele davon interessanter als von Menschen gemachte. Und ich sehe andererseits durchaus das Potenzial, mit Hilfe von KI-Ergebnissen Menschen zu manipulieren und ihnen ein falsches Bild der Welt unterzuschieben. Ich wäre auch nicht glücklich, wenn Anwender meine Tutorials nutzten, um damit Bilder zu montieren, die ich moralisch ablehnen würde. Anders als KI-Anbieter könnte ich das nicht verhindern – aber wenn ich es könnte, würde ich es wahrscheinlich nicht tun, auch deshalb, weil es wenig bringt.
Mein Ärger fing an, als ich mit verschiedenen KI-Systemen eine Statue des (nun mal seit der Antike nackten) Herkules Farnese darstellen wollte. Das wurde mit den genannten Hinweisen verweigert (oder es kamen sehr seltsame Ergebnisse dabei heraus, bei denen die Darstellungen des Penis eher an den von Wesen aus der Tiefsee oder von Aliens erinnerten). Was tut man in einem solchen Fall? Man sucht nach einer KI, die darauf nicht mit einer Verweigerungshaltung reagiert. So stieß ich auf pornpen.ai; die kann wegen einer eigenen Prompt-Struktur zwar auch keinen Herkules darstellen, aber schöne nackte (oder auch bekleidete) Menschen. Vor allem aber kann sie das, was ihr Name andeutet: Pornos. Unvermeidlich entstehen also bei den Versuchen, damit Bilder zu generieren, immer wieder Szenen, in denen Geschlechtsteile isoliert oder in Aktion auftauchen. Doch wie bei anderer KI auch – man muss ja nicht alles verwenden, was sie einem anbietet.
Ich sehe da eine gewisse – wenn auch eingeschränkte – Analogie zu Prohibition und strikten Drogengesetzen, die vor allem eines geschafft haben: Das organisierte Verbrechen zu stärken und zu einer Milliardenindustrie zu machen, sowie dafür zu sorgen, dass Leute, die sich lediglich einen Joint drehen wollen (nein, ich nehme keine Drogen; ich trinke nicht mal Kaffee), dann gleich noch mit den harten und potenziell tödlichen Stoffen in Kontakt kommen.
Ich sehe die Probleme durchaus. Bei meiner Web-Suche stieß ich ebenso auf eine KI, bei der man das Foto eines beliebigen Menschen in beliebiger Haltung hochladen kann (Mitschülerin, Kommilitone, Kollegin, Vorgesetze …) und in überzeugender Qualität zurückbekommt – nackt. Das eigentliche Problem ist jedoch lediglich, dass das nun jeder und jede ohne Aufwand und Vorkenntnisse in Sekunden generieren kann; generell möglich ist so etwas, seit es digitale Bildbearbeitung gibt. Grundsätzlich also hat sich gar nicht so viel verändert.
Die Schwierigkeiten, die mit ethischen Grenzziehungen für KI einhergehen, sind die eine Sache. Eine andere ist, dass es immer Anbieter geben wird, die sich diesen Regeln nicht unterwerfen und vorhandene Bedürfnisse aller Art befriedigen, wenn es die Mainstream-Anbieter nicht tun und sich Geld damit verdienen lässt. Bilder Nackter oder von Explosionen oder Blut (oder der Prompt „Gefährdung der Meinungsfreiheit“) sind da sicherlich noch die harmloseste Variante, wenn man sich anschaut, was KI in allen denkbaren Bereichen sonst noch kann oder können wird.
Wäre die „Lösung“ eine strikte Zensur (so wie autoritäre Staaten den Zugang zu bestimmten Web-Inhalten technisch unmöglich machen)? Auch sie würde wohl einen „Schwarzmarkt“ kaum völlig verhindern. Vor allem aber wäre sie mit unseren demokratischen Werten nicht vereinbar. Man muss durchaus nicht wünschenswert finden und umsetzen wollen, was etwa Adobe in seinen Benutzerrichtlinien als Ausschlusskriterien auflistet; sicherlich will man zum Beispiel keine Gewalt verherrlichen. Das schließt aber nicht aus, dass man vielleicht irgendwann doch mal ein Bild braucht und generieren möchte, das – kritisch – extreme Gewalt darstellt, zum Beispiel in historischem Kontext.
Das nicht zuzulassen, ist Vorzensur und Bevormundung und läuft dann letztlich darauf hinaus, dass die Forderung „Seien Sie respektvoll“ darin mündet, dass man die „Gefährdung der Meinungsfreiheit“ nicht mehr darstellen kann und soll. Damit führen sich dann die ethischen Regeln selbst ad absurdum.
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Die Firefly-Benutzerrichtlinien
1. Seien Sie respektvoll und sicher
Verwenden Sie nicht die generativen KI-Funktionen von Adobe, um zu versuchen, missbräuchliche, illegale oder vertrauliche Inhalte zu erstellen, hochzuladen oder zu teilen. Dies umfasst insbesondere Folgendes:
• Pornografisches Material oder explizite Nacktheit
• Hasserfüllte oder äußerst anstößige Inhalte, die eine Gruppe aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, nationalen Herkunft, Religion, einer schweren Krankheit oder Behinderung, des Geschlechts, des Alters oder der sexuellen Orientierung angreifen oder entmenschlichen
• Grafische Gewalt oder Blut
• Die Förderung, Verherrlichung oder Androhung von Gewalt
• Illegale Aktivitäten oder Waren
• Selbstverletzung oder die Förderung von Selbstverletzung
• Darstellungen von nackten Minderjährigen oder Minderjährigen in sexueller Weise
• Förderung von Terrorismus oder gewalttätigem Extremismus
• Verbreitung irreführender, betrügerischer oder täuschender Inhalte, die zu realem Schaden führen könnten
• Personenbezogene oder private Informationen anderer (wie vollständiger Name, Privatadresse, Telefonnummer, E-Mail-Adresse, Ausweisdaten oder andere Informationen, die sich auf eine identifizierbare Person beziehen)
Ein falsches Wort
Das war nun eine etwas lang geratene Einleitung. Und das nur deswegen, weil Firefly sich weigerte, eine passende Aufmacherillustration zur Rezension des Buches von René Pfister zu generieren: „Ein falsches Wort – Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht“. Aber beides passt recht gut zusammen und ergänzt sich.
Es ist bemerkenswert, dass die negativen Besprechungen dieses Buches bei Amazon nicht von Linken stammen, sondern von Rechten, denen es nicht gefällt, dass Pfister bei aller von ihnen geschätzten Kritik an „woken“ Vorstellungen und Aktionen zu dem Ergebnis kommt, die von rechts (Stichwort Trump) seien weitaus bedrohlicher. Auch mir als Linkem passt etwas an diesem Buch nicht. Dabei bin ich mit nahezu allem einverstanden, was der Autor beschreibt und analysiert. Ich ziehe lediglich in Zweifel, dass es sich dabei wirklich um eine „linke Ideologie“ handelt.
Brigitte Neumann fasste das Buch beim SWR mit den Sätzen zusammen: „Der Autor ist Washington-Korrespondent des Spiegel. Pfister macht keinen Hehl aus seiner Aversion gegen Trump und erklärt seine Position im politischen Spektrum als liberaler Demokrat. Als solcher sieht er die größte Gefahr von rechts, aber eine weitere gehe von der so genannten woken Linken aus. Unter der Wokeness-Bewegung fasst man Antikolonialisten, Antirassisten, Verfechter gendergerechter Sprache, Transaktivisten und andere zusammen. Sie stellen nicht die Mehrheit, weiß Pfister, aber sie sind einflussreich dort, wo man keine Mehrheiten braucht: an den Universitäten, an Schulen, in der Verwaltung und den Medien.“ Also eigentlich eine Liste, hinter der man Linke vermuten könnte.
Ich bin allerdings der Meinung, dass es sich dabei eher um eine religiöse Sekte handelt, die zwar eklektizistisch gewisse Ideen auch von linken Denkern übernommen hat, deren Vorstellungen und Forderungen aber letztlich rechts und autoritär sind und die Werte der Aufklärung negiert. Sie könnte sich ebenso auf Goebbels berufen. Wer, um nur ein Beispiel zu nennen, Gleichheit lediglich für seinesgleichen zulässt, passt nicht zu einer Linken in der Tradition der Aufklärung. Bereits eine Selbstbezeichnung wie „woke“ (aufgewacht – im Gegensatz zu all den anderen in Halbschlaf dahindämmernden Schafen, die es noch immer nicht kapiert haben) gehört in das Argumentationsmuster von Weltverschwörungsgläubigen und Sektenanhängern.
Das ist eigentlich mein einziger Vorwurf an Pfister – dass er darauf hereingefallen ist, wegen gewisser Slogans und Traditionen diese Bewegung links zu verorten. Lässt man diese Kritik mal außen vor, ist das ein sehr wichtiges, fundiertes und lesenswertes Buch. (Ähnlich empfehlenswert wie das der französischen Feministin Caroline Fourest „Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer“ – mit derselben Einschränkung).
Zentrale Beispiele nimmt Pfister aus den Vorstellungen des autoritären Antirassismus der „Critical Race Theory“. „Sie greift den postmodernen Gedanken auf, dass die Werte der Aufklärung und der Demokratie nur ein weiteres Machtnarrativ sind – ein vielleicht subtiles, aber umso effektiveres Herrschaftsinstrument.“
Das äußert sich dann z.um Beispiel darin, dass „hate speech“ nicht generell zurückgewiesen wird, sondern nur dann, wenn sie sich gegen „Opfer“ wendet – wobei natürlich festgelegt ist, wer sich als Opfer bezeichnen darf. Alles, was irgendwie psychisch „verletzen“ oder auch nur Irritationen hervorrufen könnte, soll beispielsweise aus dem „safe space“ von Universitäten verbannt werden; literarische Klassiker mit Warnhinweisen versehen werden, damit sensible Gemüter geschont werden (was hierzulande kaum besser ist; als Beispiel Bücher mit dem ausgeschriebenen N-Wort anzuführen vermeide ich lediglich, um einen Shitstorm zu entgehen.) Wobei das auch nicht hilft. So beschreibt Pfister den Fall einer US-Juraprofessorin, die in einer Aufgabenstellung „korrekt“ die abgekürzte US-Entsprechung verwendet hatte – jedoch nicht korrekt genug, denn „als die Vereinigung der schwarzen Jurastudenten (…) beklagte, allein der Anblick des abgekürzten N-Wortes käme »mentalem Terrorismus« gleich, dauerte es nicht mehr lange, bis die Universitätsleitung [die Professorin] vorläufig suspendierte.“ So können es die Rechten ihren woken Gesinnungsgenossen überlassen, missliebige Liberale loszuwerden, ohne sich selbst die Hände schmutzig machen zu müssen.
Feministinnen gelten in dieser Welt als „ignorante Interessenvertreterinnen einer privilegierten Schicht weißer Frauen“. Anderen Meinungen wird nicht mit Argumenten, sondern mit lautstarken Aktionen, Zensur und Einschüchterung entgegengetreten. Die Beispiele aus Pfisters Buch ließen sich seitenlang fortsetzen. Das ist aber nicht die Aufgabe einer Rezension; lesen Sie es selbst. Vieles klingt so absurd, dass man es kaum glauben möchte, wäre es nicht durch Quellen belegt.
Das nicht nur Problematische, sondern extrem Gefährliche an diesen woken Gedankenwelten ist aber nicht nur das, was sie selbst fordern und mitunter erreichen (etwa Gendersprache in vielen Medien, obwohl eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung sie ablehnt, aber dennoch damit zwangsbeglückt wird), sondern die davon befeuerten rechten Gegenbewegungen, die derartige Ideen und Aktionen dankbar aufgreifen, die entstandene Ablehnung kanalisieren und instrumentalisieren und sich (auch) dadurch über weiteren Zulauf freuen können.
Es ist zu hoffen, dass die KI-Entwickler und -Vermarkter mit ihren künstlich eingebauten Bevormundungen und Verweigerungen nicht ihren Teil zu derartigen Entwicklungen beitragen.
René Pflister
Ein falsches Wort. Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht
Spiegel Buchverlag / DVA 2022
gebunden, 254 Seiten, 22,00 €