Meinung: Affinity Photo 2
Serif hat die zweite Generation der Affinity-Suite veröffentlicht (siehe DOCMA-News). Ich habe mir Affinity Photo 2 näher angeschaut und bin recht angetan. Es gibt keine Knaller-Angeber-Features, sondern Verbesserungen, von denen man auch abseits von Shows im Alltag profitiert.
Die Neuerungen
Tatsächlich gibt es mehr Änderungen, als Serifs Neuerungen-Übersicht verspricht. Eine detailliertere Liste finden Sie hier: Liste aller Features.
Ich möchte hier gar nicht jedes einzelne neue Feature besprechen, sondern nur die, die ich für besonders erwähnenswert halte und die andernorts vielleicht etwas zu kurz kommen.
Die neue Oberfläche ist klarer und kann in den Voreinstellungen mit einer größeren Schriftgröße und einem höheren Kontrast versehen werden. Von der Überarbeitung profitiert insbesondere die Ebenen-Palette: Jede Einstellungs- und Filterebene hat ein eigenes Icon bekommen; den Ebenentyp (Bild-, Text-, Vektor-, Pixel-, Anpassungs-, Filter-, Masken-Ebene …) erkennt man sofort an einem vorangestellten Mini-Symbol.
Auch super: Die einzelnen Panels sind nicht mehr unter »Ansicht > Studio« vergraben, sondern einfach und direkt – wie in Photoshop – im Fenster-Menü zu finden.
Die besten Neuerungen
Hier eine Liste der Dinge, die mir gleich positiv ins Auge gefallen sind.
1. Der Preis
Wow! 120 Euro für eine Universallizenz ist ein absoluter Kampfpreis (nach Ablauf der Einführungsfrist 200 Euro). So viel kostet das reguläre Foto-Abo von Adobe für ein Jahr. Und Serif bietet dabei aber ganze sechs Programme als Dauerlizenz an: die Bildbearbeitung Affinity Photo 2, das Vektorprogramm Designer 2 und die Layoutsoftware Publisher 2 – inklusive Windows- und Mac-Version. Und alle drei Programme noch einmal in der iPad-Version mit beinahe vollständig gleichem Funktionsumfang wie bei den Desktop-Versionen. Dank der iPad-Version von Publisher und den anderen beiden nahtlos integrierten Apps könnte man nun erstmalig einen ganzen Publishing-Workflow allein auf dem iPad abbilden.
2. Raw-Einbettung möglich
Dass man Raw-Dateien direkt im Publisher platzieren (und direkt dort auch optimieren) kann, ist eine Premiere. Das kann nicht einmal Adobes InDesign. In Affinity Photo lassen sich jetzt Raws einbetten oder verlinken.
Anders als in Version 1 ist die Raw-Entwicklung also nicht mehr destruktiv. Man kann jederzeit mit einem Doppelklick wieder in die Develop-Persona gehen und die Raw-Entwicklung anpassen. Das gab es so bisher nur bei Photoshop. Außerdem kann man innerhalb der Develop-Persona auch alle anderen Ebenen sehen – etwas, worum ich bei Adobe seit der Einführung des »Camera Raw-Filters« bet(t)e(le).
PS: Tatsächlich scheint Serif einen der Hauptkritikpunkte des Affinity Photo-Raw-Konverters verbessert zu haben: Das Aufhellen der Schatten wirkt inzwischen gar nicht mehr so gruselig wie in der Vorversion.
3. Live- und Montage-Masken
Noch eine solche Funktion, die ich gern in Photoshop sehen würde. Denn in Camera Raw und Lightroom Classic gibt es diese Live-Masken bereits: basierend auf Luminanz und Farbe. In Affinity Photo steht beides nun in der »Ebenen«-Palette zur Verfügung. Zusätzlich gibt es eine Bandpass-Option, mit der man im Prinzip Kanten-/Flächenmasken erzeugen kann. Und alles ist live – passt sich also dem Bild darunter an und kann jederzeit verändert werden.
Die ebenfalls neue Montage-Maske ist ein Container, innerhalb dessen man Masken mit logischen Operationen kombinieren kann (Hinzufügen, Subtrahieren, Überlappen und Xor).
4. Live-Gitterverzerrung und Versetzen-Filter
In Version 1 gab es die Gitterverzerrung nur als destruktiv anzuwendendes Werkzeug. Jetzt steht sie auch als Live-Filter-Ebene zur Verfügung. Das ermöglicht Mock-ups, wie sie zuvor nur in Photoshop (über Smartobjekte) möglich waren. Beispielsweise lässt sich damit eine Ebene an eine gewellte Oberfläche anpassen. Tauscht man die Ebene gegen ein anderes Foto aus, passt die Gitterverzerrung dieses automatisch an.
Aber auch ansonsten ist der Live-Filter toll. Durch seinen Ziel/Quelle-Modus lassen sich Verformungen pixelgenau anwenden, um etwa Kanten im Bild auf exakt dieselbe Höhe zu bringen – was zum Beispiel in der Landschafts- oder Architekturfotografie von Bedeutung ist.
Wo wir gerade bei Verzerrungen sind: Der Versetzen-Filter von Affinity Photo 2 ist jetzt genau das, was ich mir bei Photoshops Uralt-Pendant immer gewünscht habe: modern und mit Live-Vorschau des Ergebnisses. In Affinity Photo 1 funktionierte er noch eher wie Photoshops »Sprenkeln«-Filter. In Version 2 gibt es jetzt auch eine (standardmäßig aktivierte) Option, die der Funktionsweise von Photoshops »Versetzen« entspricht.
Kritikpunkte?
Immer noch eine Einzelbildbearbeitung. Es gibt keinen Raw-Workflow für eine praktikable Optimierung größerer Bildmengen durch Synchronisieren oder Übertragen von Einstellungen. Bei einem höheren Bildaufkommen empfiehlt sich deshalb ein zusätzlicher Raw-Konverter.
Viele Anwender hatten wohl auf drei Dinge gehofft, die nicht eingetreten sind:
- Eine DAM-Lösung von Serif – also ein Ersatz für Lightroom Classic oder Adobe Bridge, ein Digital Asset Management. Derartige Pläne haben die Affinity-Macher aber wohl nicht weiter verfolgt.
- Einen Ersatz für After Effects, der von Seiten Serifs bislang nie auch nur im Ansatz zur Debatte stand.
- Einen Update-Nachlass für Bestandskunden. Der große Einführungsrabatt reicht anscheinend einigen nicht aus und sie kehren – zumindest in lautstarken Kommentaren in den sozialen Medien – jetzt zur Strafe dafür Affinity den Rücken. Sie fühlen sich auch im Stich gelassen, weil es nun keine Updates mehr für die Version 1 gibt. Da fehlen mir offen gesagt die Worte.
Windows-Apps
Auf dem PC handelt es sich bei den Programmen jetzt um Windows-Apps. Das heißt, diese werden in ein verstecktes Verzeichnis installiert, das sich auch nicht ändern lässt. Das macht die Zuordnung in Programmen von Drittanbietern schwieriger (etwa beim Öffnen von Dateien in Affinity Photo aus einem Bildbetrachter wie XnView MP heraus). Dafür gibt es jedoch Workarounds.
Stabilität
Ich hatte beim Herumspielen mit der neuen Version bislang nur vereinzelte Probleme. So dauerte das Speichern größerer Dokumente mitunter sehr lange. Einige Male stürzte mir Affinity Photo dabei auch ab. Ich muss aber dazu sagen, dass es sich um große, mit Photoshop erstellte Dokumente handelte, weil ich einmal die Grenzen von Affinity Photo ausloten wollte. Nachdem das Speichern im nativen Affinity Photo-Format aber einmal geklappt hatte, gab es dann keine Probleme mehr.
Keine KI oder neue Auswahltechniken
Der Hauptkritikpunkt ist vielleicht, dass es keinerlei große Neuerungen in Richtung künstlicher Intelligenz gibt, die in immer mehr Programmen Einzug hält. Was Skylum, Adobe und On1 da an KI-basierten Auswahltechniken vorgelegt haben, sind wirkliche Game-Changer für die selektive Fotooptimierung und Fotomontage. Mal schauen, ob diesbezüglich im Produktzyklus der Version 2 noch etwas nachgelegt wird oder nachgelegt werden kann. Essenziell sind solche KI-Funktionen nun nicht, aber wie sehr man sich an sie gewöhnt hat, stellt man schnell fest, wenn man sie – wie in diesem Fall in Affinity Photo – „plötzlich“ nicht hat.
Fazit
Falls die Neuerungen für Sie nicht wirklich relevant sind, können Sie auch problemlos mit der Version 1 von Affinity Photo weiterarbeiten. Im Prinzip ist Affinity Photo 2 eine solide Modellpflege. Wenn im Laufe des Produktzyklus wie bei der Vorversion auch hier noch Verbesserungen und Funktionen hinzukommen, dann kann sich das wirklich sehen lassen. Zu dem geringen Preis würde ich auf jeden Fall zuschlagen, um mit der Software aktuell zu bleiben. Für gelegentliche Retuschen und jetzt auch für einzelne Raw-Entwicklungen (der Schatten-Aufheller ist endlich benutzbar!) ist die Software super – bei aufwendigen Montagen dank seiner Ebenen-Funktionen, die Photoshop in vieler Hinsicht in den Schatten stellen, hervorragend. Wenn Serif hier noch modernere Auswahltechniken nachlegt, würde es eine richtig runde Sache. Für mich hat Affinity Photo jetzt schon einige Merkmale (Live-Filter, Live-Masken, Montage-Maske, verknüpfte Ebenen aller Art, gleichzeitige Retusche mehrerer Ebenen, Normal-Map-Filter zur Beleuchtungsanpassung, Live-Versetzen-Filter und noch einiges mehr), die mich nachdenken lassen, damit – anstelle von Photoshop – meine Fotomontagen und 3D-Compositings zu machen. Aber ich teste noch.
Zitat: „Sie fühlen sich auch im Stich gelassen, weil es nun keine Updates mehr für die Version 1 gibt. Da fehlen mir offen gesagt die Worte.“
Nun, als uralter PS-Anwender sind Sie in dieser Hinsicht vieles gewohnt, oder nicht? Haben Sie vergessen, dass man für jeweils ältere PS-Versionen kein ACR-Updates bekommt! Stört natürlich nicht, wenn man die Fotos ohnehin nur als JPGs speichert.
Zitat: „Der Hauptkritikpunkt ist vielleicht, dass es keinerlei große Neuerungen in Richtung künstlicher Intelligenz gibt“
Zitat „Essenziell sind solche KI-Funktionen nun nicht, aber wie sehr man sich an sie gewöhnt hat, stellt man schnell fest, wenn man sie“
So richtig störend ist also offensichtlich nur, dass das magische Marketingwort „KI“ nirgendwo auftaucht. Entweder es fehlen Funktionen oder Funktionalität oder nicht. Das sollte doch für einen ernsthaften Bildbearbeiter das Entscheidungskriterium sein.
Sehr merkwürdiger Einwand. Zum einen ist es nun einmal so, dass der Support jeder Software irgendwann eingestellt wird. Immer. Zum anderen hat Adobe über den DNG-Konverter für alle Anwender eine Möglichkeit geschaffen, selbst die ältesten Photoshop-Versionen mit Camera Raw weiter zu nutzen – auch mit neueren Kameras.
Nö. Sie müssen den Satz nur komplett zitieren und dann auch zu Ende lesen. „Nicht essenziell“ heißt: Es geht auch ohne. Aber eben nicht so gut. Das ist der Punkt mit der Gewöhnung. Ein erfahrener Bildbearbeiter kann schon leicht nachvollziehen, wie das gemeint ist. 😉