Mal ein Bildfehler ganz anderer Art
Die üblichen Bildmontagefehler sind regelmäßigen DOCMA-Leser/innen inzwischen ja hoffentlich vertraut – jedenfalls sofern sie sich gelegentlich der Mühe unterziehen, meine Bildkritik zu lesen. Da gibt es die beliebten Bildfehler bei Perspektive, Schattenwurf und Beleuchtung überhaupt, falsche Schärfezonen, bis hin zu unsauberen Freistellern und dergleichen. Ein ganz eigenes Feld sind dagegen Plausibilitätsmängel.
Ein Beispiel für einen Bildfehler wegen fehlender Plausibilität? Sie montieren ein außerirdisches Raumschiff in eine Szene des Oktoberfestes ein. Nehmen wir einmal an, alle oben genannten Stolpersteine sind erfolgreich umgangen und die Montage ist technisch perfekt. Dann bleibt das Problem, dass es nicht die geringste Reaktion der Jahrmarktbesucher auf das unheimliche Objekt in ihrer Mitte gibt. Alle tun so, als sei nichts geschehen (Was in der Originalaufnahme ja auch der Fall ist). Niemand läuft erschreckt davon, niemand nähert sich mit großer Vorsicht oder Neugier, keine gezückten Handykameras, um das Ding für Facebook oder die Enkel zu dokumentieren.
Da bleiben für die Betrachter zwei Möglichkeiten: Entweder ist das Raumschiff nur für die Kamera sichtbar, für menschliche Augen aber nicht, was erklären würde, dass sich keiner um das Objekt zu kümmern scheint. Die weitaus näherliegende Möglichkeit jedoch: Bei der Montage von Hintergrundszene und Raumschiff wurde zwar brav darauf geachtet, keinen der üblichen Montagefehler zu machen – die Plausibilität blieb aber dabei auf der Strecke. Die beiden Teilszenen passen einfach nicht zusammen.
Das ist jene Art von mangelnder Plausibilität, mit der wir es bei Montagen in den meisten Fällen zu tun haben. Eine ganz andere begegnete mir kürzlich, als in der Werbepause im Fernsehen eine Reklame für den neuen Škoda Kombi ausgestrahlt wurde.
Als ich sie zum ersten mal sah, fiel mir nichts auf (so genau schaut man bei Werbung ja meist sowie nicht hin). Beim zweiten Mal kam mir irgendetwas – die Szene ist sehr kurz – seltsam vor.
Da ich den Spielfilm ohnehin aufgenommen hatte, steuerte ich nach dem Ende den Recorder an die entsprechende Stelle und schaute mir die Unwohlsein erregende Szene noch einmal Bild für Bild an. Und siehe da: Die dort präsentierte „Gutenberg-Bibel“ war gleich im doppelten Sinne keine: Weder entsprach sie deren Format, noch stimmte die Seitenaufteilung, und schon gar nicht die verwendete Schriftype – zwar immerhin eine Renaissance-Antiqua (es hätte ja auch eine Helvetica sein können), aber dennoch meilenweit entfernt (in typografische Punkt-Maße mag man das gar nicht umrechnen) von Gutenbergs gebrochener Textura. Hier ist die Pseudo-Bibel auch im Web zu bewundern.
Na ja, es ist zwar keine richtige Bibel von Gutenberg, aber immerhin eine Bibel. Oder? Pustekuchen! Es handelt sich um die Doppelseite eines nicht sonderlich alten lateinischen Heiligenkalenders, die mit einer Beschreibung des heiligen Ulrich von Augsburg, lateinisch Uodalricus, (10. Jahrhundert) beginnt.
Gemeint war das Ganze so: „Manche Sammlerobjekte sind für Vitrinen – eine Ming-Vase, eine blaue Mauritius oder eine Gutenberg Bibel – aber einige sind für Straßen gebaut.“ Das also war der Grund, warum die drei genannten Objekte in der Werbung überhaupt auftauchten. Vase (vielleicht von Ikea?) und Marke habe ich nicht überprüft, dafür wäre ich auch nicht kompetent. Aber bei dieser angeblichen Gutenberg-Bibel, die weder von Gutenberg noch eine Bibel ist, packt mich schon das Grausen und ich frage mich, was die Leute heute überhaupt noch lernen, außer auf Tasten zu tippen. (Dass dann „Gutenberg Bibel“ auch noch falsch ohne Bindestrich geschrieben wird, bestätigt nur die Einschätzung nicht vorhandener Kompetenz.)
Wie bei allen Bildfehlern: Da gibt es ja nicht nur den Grafiker am Ende der Kette, da gibt es noch die ganze hochbezahlte Werbeagentur mit ihren zahllosen Fachleuten mit ehrfurchtgebietenden englischen Hierarchie-Bezeichnungen, die Leute in der PR-Abteilung der beauftragenden Firma und und und. Alle haben’s nicht bemerkt oder wussten es nicht besser.
Bei den üblichen Montagemängeln kann man sich damit herausreden, das richtig hinzukriegen, erforderte eine extrem hohe Qualifikation. Außerdem: Das merkt doch keiner! Dieses blöde Argument trifft sicherlich auch in diesem Falle weitgehend zu. Aber ich immerhin habe es bemerkt, und da ich darüber schreibe, wissen es jetzt auch Sie und es wird peinlich. Der Unterschied diesmal ist allerdings, dass es nicht um Montage-Spezialistenwissen geht, sondern dass diese Werbung schlicht ein Beispiel für mangelhafte Bildung ist. Setzen, sechs!
Nachtrag: Da die Franziskanerkirche in Mainz, in der Gutenberg beerdigt wurde, im 18. Jahrhundert abgerissen wurde, kannte man die Lage seines Grabes bis heute nicht. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll aber in diesem Gebiet seit einiger Zeit ein schwaches Schleifgeräusch tief im Boden zu hören sein. Eine Mitarbeiterin des Gutenberg-Museums, die anonym bleiben möchte, äußerte dazu den Verdacht, Gutenberg würde seit dem Erscheinen dieser Werbung in seinem Grab rotieren.
Der wahre Grund, warum die Oktoberfestbesucher nicht auf das außerirdische Raumschiff reagieren, ist kein Plausibilitätsfehler, sondern die Aktivierung des PAL-Felds (Problem-anderer-Leute-Feld), das Douglas Adams in seinem Grundlagenwerk „Per Anhalter durch die Galaxis“ beschrieben hat. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hintergründe_zu_Per_Anhalter_durch_die_Galaxis#Problem-anderer-Leute-Feld
Stimmt – jetzt, wo Sie’s sagen, fällt es mir auch wieder ein! Oder was Raumschiff kam von irgendeiner hinterwäldlerischen Zivilisation, die nicht über PAL-Felder verfügt – soll’s ja immer noch geben.
Oder weil sie schlicht schon zu zugedröhnt sind und nix mehr mitkriegen! 😀
Glückauf, Ollie