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Mach mal ’ne Collage!

In der nächsten DOCMA wird Doc Baumann ein Buch über aktuelle Collagen zum Anlass nehmen, um den Unterschied zwischen Collage und Montage herauszuarbeiten. Als ihm jetzt ein weiteres Buch mit dem Titel „Collage – Inspiration, Komposition, Technik“ über den Weg lief, erwartete er etwas zu diesem Thema. Dieser Band allerdings stellt keine Werke unterschiedlicher Künstler vor, sondern hier geht es ums Making-of.

Mach mal ’ne Collage!
„Collagen“-Titel – ohne Kommentar zur Qualität der abgebildeten Collage

Ein Buch kann nichts dafür, wenn der Käufer falsche Vorstellungen von seinem Inhalt hat. „Inspiration, Komposition, Technik“ hätte ja auch einen Überblick über Collagen und ihre Hintergründe geben können. Nachdem ich im oben erwähnten Buch nichts Substanzielles über den Unterschied zwischen Montagen und Collagen hatte finden können, erhoffte ich mir hier mehr Auskünfte – fand aber etwas völlig anderes.

Auch ein Praxishandbuch darüber, wie man Collagen anfertigt, hat prinzipiell seine Daseinsberechtigung. Dass Titel und Untertitel diese Ausrichtung nicht klarer kommunizieren, ist bedauerlich. Dass das Covermotiv auch mit Hilfe von Photoshop entstanden sein könnte, das Buch aber nur Analoges mit Schere und Klebstoff behandelt, weckt ebenfalls falsche Erwartungen.

Ach ja, die Erwartungen. Schaut man sich ein Buch im Laden an, ist es meist eingeschweißt, blättern also nicht immer möglich. Da freut man sich über den Rückentext, der eine kurze, klare und verständliche Übersicht des Inhalts zu geben pflegt, der einen im Inneren erwartet. Und dort lesen wir: „Ein visuelles Manifest für disruptive Zeiten“. Natürlich wissen wir alle, was „disruptive Zeiten“ sind, oder? Ebenso, wie wir den Satz verstehen:  „Je digitaler und sleeker die Welt wird und auch der Kreativalltag, desto besser tut es, sich mit Schere, Kleber und Entdeckerfreude bewaffnet auf Streifzug zu begeben.“ „Sleeker“? Und wieso sollte es „besser tun“, sich in einer zunehmend digitalisierten Welt – wie man „digital“ zu  „digitaler“ steigern kann, erschließt sich mir nicht – mit Schere und Klebstoff zu bewaffnen, weiß ich ebenfalls nicht. (Wieso überhaupt „bewaffnen“? Sind wir im US-Wahlkampf? Aber besser Schere und Kleber als Automatikgewehre.)

Im selben Rückentext lesen wir: „Autoritäre Regime hatten deshalb zu allen Zeiten ihre Schwierigkeiten mit Collage-Künstlern.“ Das hat zum einen keinerlei Bezug zum Buchinhalt und ist zum anderen empirisch fragwürdig; zumal es Collagen noch nicht sehr lange gibt und daher „zu allen Zeiten“ ein eher unpassender Maßstab ist.

Nachdem wir auf diese Weise gelernt haben, dass – ganz disruptiv sleek – Rückentexte nicht dazu dienen, potenziellen Leser/innen Lust aufs Buch zu machen, sondern die elaborierte Sprache der Texter unters Volk zu bringen, haben wir auf den Inhalt eigentlich schon gar keine Lust mehr. Aber noch wissen wir ja nicht, was uns erwartet, und so schlagen wir es dennoch auf.

Und treffen gleich auf das übliche Kunstbuchgeschwurbel: „Für mich ist die Collage mehr als eine bloße Technik, sie ist eine Geisteshaltung – sie ist mein Leben. Mit ihr stelle ich die Wirklichkeit in Frage.“ Wer die Wirklichkeit in Frage stellt, sollte sich in Behandlung begeben und keine Bücher schreiben. Gemeint ist vielleicht „das Bild der Wirklichkeit“ – nur, warum sollten ausgerechnet Collagen dazu in der Lage sein? Die von Heartfield haben das vielleicht geschafft – die in diesem Buch vorgestellten ganz sicher nicht. Die sind auch kaum von der Qualität, um der Verlagsaufforderung folgen zu wollen, man möge sich an den „powervollen Arbeiten von Natascha Fix“ erfreuen. Powervoll? Etwas speechvergewaltigend.

Schließlich folgt in diesem kurzen Intro der Satz: „Und das Ermutigende: Du kannst das auch.“

Du? Bin ich hier bei Ikea? Wenn meine bisherigen Vorbehalte gegen das Buch noch weiteres Futter gebraucht hätten, hier hat es mich geradezu angesprungen. Ich möchte mir selbst aussuchen, wen ich duze und von wem ich geduzt werde.

Allerdings fand ich für diese unangemessene Vertraulichkeit auf der letzten Seite des Buches eine mögliche Erklärung: Natascha Fix hat früher Kinderbücher gemacht. Das lässt einen vielleicht auch den Rest des Buches besser einordnen.

Zwar heißt es im Text: „Heute wären sie [frühere Collage-Künstler/innen] vielleicht begeistert von Programmen für die digitale Bildbearbeitung. Ich selbst benutze beides. Ich bin sowohl in der digitalen wie in der analogen Welt unterwegs. Je nachdem, was ich machen will, bediene ich mich für meine Collagen beider Werkzeuge.“ Das allerdings merkt man dem Buch nicht an. Digitales (vom noch Digitaleren, wie es der Rückseitentext erwarten lässt, ganz abgesehen) kommt so gut wie nie vor. Eine der wenigen Stellen vermittelt uns diese fürs Collagieren nachgerade unverzichtbaren, brandheißen Tipps zum Thema „analoge Fotos“:

„1. Du schneidest Fotos aus und zerteilst sie in die gewünschten Elemente. [Was ist das Element eines Fotos?] 2. Anschließend ordnest du die Fotos auf einem Papier (bzw. einem anderen Untergrund) so an, dass das gewünschte Bild entsteht. 3. Die Elemente werden mit Kleber fixiert. 4. Das selbe [sic] Prinzip gilt auch für digitale Fotos!“ Das Ausrufezeichen ist hier wirklich angemessen, denn ohne diese Hervorhebung hätten wir nie kapiert, wie wir vorzugehen haben.

Die zweite Stelle, wo es um Digitales geht, liest sich so. „1. Du öffnest ein Foto, das du bearbeiten und collagieren willst. 2. Anschließend lädst du dir die eingescannten Strukturen … in Photoshop hoch [hochladen, im Ernst?] und kombinierst sie, wie gewünscht, mit deinem ursprünglichen Foto. 3. Eine von vielen Möglichkeiten, etwas freizustellen, besteht darin, mit dem digitalen Radiergummi auf einem Grafiktablett beispielsweise alles wegzuradieren, was man nicht haben will. 4. Schritt für Schritt kannst du so alle Details auf allen Bildebenen freistellen und damit die Komposition vollenden.“

Eine von vielen Möglichkeiten, einen eigenen Text zu verfassen, besteht darin, den Roman „Moby Dick“ in Word hochzuladen und alle überflüssigen Buchstaben zu löschen. Wie hatte die Autorin geschrieben? „Ich bin sowohl in der digitalen wie in der analogen Welt unterwegs.“ Kaum zu glauben nach solchen Sätzen. (Genau genommen hat das wohl nicht die Collagen-Produzentin selbst geschrieben, die wohl nur als Illustratorin des Bandes auftritt, sondern ein Autor (trotz der Ich-Form der Texte), der laut Vorstellung am Buchende „freier Journalist, PR-Berater und Kommunikationstrainer“ ist. Ach …

Für manche Menschen, die analoge Collagen machen möchten, könnte dieses Buch vielleicht hilfreich sein. Für digital Arbeitende gewiss nicht. Dass die Illustratorin bisher Kinderbücher gemacht hat, mag vieles erklären (zwingt erwachsene Leser aber nicht zur Lektüre). Und wenn das Ganze schon ein Praxisratgeber sein soll, hätte ich wenigstens etwa ein Kapitelchen erwartet, in dem man etwas über die Urheberrechtssituation erfährt: In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen darf man etwa Zeitschriftenfotos und ihre Teile für eigene – öffentlich gezeigte – Projekte verwenden?

Mein Fazit: ein rundum überflüssiges Buch; selbst für Kinder ungeeignet, da einfach zu, äh … disruptiv. Und sleek! Und nicht wirklich powervoll.

Natascha Fix & Jörg Bochow
Collage. Inspiration – Komposition – Technik
176 Seiten, mit ca. 170 farbigen Abbildungen
Format 23,5 × 31,5 cm
Fadengeheftetes Hardcover
Hermann Schmidt Verlag 2020
35,00 Euro

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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3 Kommentare

  1. Sehr geehrter herr Doc Baumann,
    Sie haben es auf den Punkt gebracht. Dieses Buch also nicht. Gibt es andere Bücher die das Thema besser behandeln und gibt es ein Werk über das Urheberrecht in bezug auf Collagen?
    Grüße und geben Sie Covid keine Chance
    R. Weinzierl

    1. Sehr geehrter Herr Weinzierl,
      leider kann ich diese Frage nicht beantworten, da mich das Thema nur in Bezug auf die Abgrenzung zur Montage interessiert. In der nächsten DOCMA kommt zwar ein mehrseitiger Beitrag über ein Collage-Buch, aber das ist als Künstler-Übersicht konzipiert, nicht praktisch handwerklich.
      Was die Urheberrechtsfrage betrifft, ist das wahrscheinlich schwierig und hängt oft vom Richter ab: Was der eine als Urheberrechtsverletzung wertet, geht beim anderen noch als legitime Verwendung mit eigener Gestaltungshöhe durch. Andre Praxisbücher zu Collagen habe ich mir nicht angeschaut; jedenfalls würde ich ein solches Kapitel in einem derartigen Buch erwarten.
      Mit freundlichem Gruß
      Doc Baumann

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