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Lust der Täuschung in Kunst und Politik

 Lust der Täuschung
Cover des Buches Lust der Täuschung / Hirmer Verlag 2018

In München läuft derzeit eine Ausstellung zum Thema Lust der Täuschung, zu der auch ein umfangreicher Bildband mit illusionistischen Werken von der Antike bis zu Virtual Reality erschienen ist. Doc Baumann hat ihn sich angeschaut. Lust der Täuschung scheint aber auch eine Taktik von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen zu sein, wie seine jüngsten verharmlosenden Äußerungen zu den Ausschreitungen in Chemnitz zeigen.


Teil 1: Lust der Täuschung in der Kunst


Beginnen wir mit der Lust der Täuschung in der Kunst. Die Ausstellung zum Thema in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, die dort bis zum 13. Januar 2019 zu sehen sein wird (danach in Aachen), habe ich bislang zwar leider noch nicht besuchen können. Der beim Hirmer Verlag erschienene Begleitband ist aber schon aufschlussreich genug und ausgiebig bebildert.

Das Buch ist in die Kapitel gegliedert: Wie Kunst lügt und wir sie darum lieben; Augentäuschung und visuelle Skepsis in der frühen Neuzeit; Materialtäuschungen, Augentäuschung und Illusionskunst in der barocken Deckenmalerei; Es werde Schein: Aspekte der Kunst- und Kulturgeschichte der Illusion sowie Original, Kopie, Fälschung – Kunst der Täuschung. Da habe ich allerdings zugegebenermaßen schon mit der Überschrift des ersten Kapitels Probleme, denn ich meine, dass Kunst – zumindest die sich in Bildern ausdrückende, um die es hier ja geht – gar nicht lügen kann, weil ein Bild keine Aussage ist und auch nicht eindeutig in eine Aussage übersetzt werden kann. (Die Mona Lisa etwa lässt sich korrekt sowohl mit dem Satz „Dies ist das Porträt einer jungen Frau“ als auch mit „Dies ist kein rotes Bügeleisen“ beschreiben.)

Die Verwendung des Begriffs „Lüge“ in Zusammenhang mit Bildern hat zwar eine lange Tradition – etwa Ausstellung und Katalog „Bilder, die lügen“ –, logisch haltbar ist das aber dennoch nicht. Und ohne eine klare begriffliche Abgrenzung kann dann auch der Begriff „Täuschung“ mitunter in die Irre führen.

Etwas unbefriedigend finde ich auch, dass digitale Werke ausschließlich im Kontext von Virtual Reality behandelt und gezeigt werden. Als sei „unser“ Medium der digital bearbeiteten Fotos nicht geradezu prototypisch für die Darstellung von Täuschungen.


Lust der Täuschung: Wer täuscht sich über was?


Man muss unterscheiden: Einerseits eine naturalistische, bis ins Detail naturgetreue Darstellung von etwas in einem Bild, wobei die Tatsache, dass es sich bei dem Gesehenen um ein Bild handelt, für die Betrachter klar und unbezweifelbar ist. Hängt es an der Wand mit einem Rahmen darum, so wird in der Regel kaum jemand annehmen, er oder sie sähe die dargestellte Szene selbst. Realität und Abbild werden also nicht verwechselt.

Ein Ausnahmefall ist es, wie auch im Katalog dokumentiert, wenn ein Gemälde selbst zum dargestellten Gegenstand gemacht wird, also nicht das mit einem Gemälde Dargestellte. Das ist etwa dann der Fall, wenn seine (gemalte) Rückseite gezeigt wird, gemalte Verletzungen durch Schnitte oder eine scheinbar vor dem Bild befindliche, gesplitterte Glasscheibe (wie in der Abbildung am Ende dieses Textes).

Andererseits haben wir es mit einer Illusion zu tun, wenn Betrachter die Darstellung (das Bild) mit dem Dargestellten (dem, was gemalt wurde) verwechseln, und wenn es dem Maler gerade darauf ankommt. So geben etwa viele Trompe-l’oeil-Gemälde flache, auf einer Tafel befestigte Objekte wie Briefe, Zettel, Zeitungsausschnitte, Federn oder ähnliches wieder, mit der Absicht, dass die Betrachter sie genau dafür halten sollen. (Natürlich nur vorübergehend, denn wenn sie dauerhaft davon ausgingen, es mit realen Briefen oder Federn zu tun zu haben, würde ja die Kunstfertigkeit des Malers weder erkannt noch angemessen gewürdigt.)

Der Bildband bringt zu allen diesen Varianten Bildbeispiele; der kunsthistorische und kunstwissenschaftliche Hintergrund wird in verschiedenen Aufsätzen zu den Themen aufbereitet.


Kunst der Täuschung: Eine mit sich selbst identische Oberfläche


Besonders gefallen hat mir übrigens ein bemaltes Objekt von Tom Früchtl, weil es etwas ins Bild umsetzt, das ich bereits vor 40 Jahren in einem Buch beschrieben habe, aber nie abbilden konnte: In vielen Texten zur Philosophie des Bildes ist zu lesen, ein Gemälde sei ein Objekt, dessen Oberfläche – der Bildträger – etwas anderes zeige als dessen eigentliche Oberfläche selbst. Eigentlich klar: Der Bildträger von Leonardos Mona Lisa ist eine Holzplatte, aber wir sehen keine Holzplatte, sondern eine Szene mit einer Frau vor einer wilden Landschaft.

Dazu hatte ich damals angemerkt, das sei zwar die Regel, aber als Extremfall spreche nichts dagegen, dass ein Maler eine Oberfläche genau so bemale, wie diese ohne die Malschicht aussähe. Ich hatte damals als Beispiel eine Marmorplatte gewählt. Das Werk von Tom Früchtl zeigt nun – auf einer Holzplatte gemalt – ebendiese Holzplatte mit ihrer Maserung. Und Früchtls Kunst der Täuschung geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er einen Lichtreflex und Beleuchtungsabfall mitmalt, also nicht nur die Oberfläche wiedergibt, sondern ihre Ansicht unter konkreten Bedingungen. Kunstphilosophisch höchst faszinierend!

Wer mit Photoshop arbeitet, muss nicht naturalistisch exakt malen können, um das Konzept der Illusion in ein Bild umsetzen zu können. In diesem Band finden Sie zahlreiche Anregungen für eigene Arbeiten, und den theoretischen Hintergrund bekommen Sie gleich mitgeliefert.

 

Andreas Beitin und Roger Diederen (Hrsg.): Die Lust der Täuschung. Von der Antike bis zur Virtual Reality, München 2018, Hirmer Verlag, Großformat, gebunden, 264 Seiten, 39,90 Euro

 

Lust der Täuschung
Lust der Täuschung: Pere Borrell del Caso (1835–1910), Escaping Criticism, 1874, Wikimedi

 


Teil 2: Maaßen oder die Lust der Täuschung in der Politik


Stellen Sie sich vor, Sie erlauben Ihrer Tochter, bis abends um zehn mit Freundinnen unterwegs zu sein. Hält sie den Termin nicht ein, drohen Sie ihr damit, sie gar nicht mehr ins Haus zu lassen sowie mit Streichung des Taschengeldes und Konfiszierung des Handys im nächsten Monat. In der Tat kommt das Töchterchen nicht zum vereinbarten Zeitpunkt nach Hause. Stattdessen erhalten Sie Wochen später den Anruf eines Freundes, er habe Ihre Tochter entführt, in seiner Wohnung eingesperrt und regelmäßig vergewaltigt. Er sei jetzt aber bereit, sie wieder nach Hause zu lassen, wenn Sie das wollen. Sie lehnen ab. Schließlich hätte die Tochter damals um zehn zu Hause sein sollen, jetzt braucht sie auch nicht mehr zu kommen. Und falls sie doch auftauchen sollte, gilt das mit dem Taschengeld- und Handyentzug selbstverständlich weiter, wie abgesprochen.

Man kann diesen Vater oder diese Mutter bewundern für ihre Prinzipienfestigkeit. Abgesprochen ist abgesprochen! Die meisten Menschen werden das allerdings nicht so sehen, sondern die Reaktion für hartherzig und lieblos halten, ganz davon abgesehen, dass sie völlig außer Acht lässt, dass das Nicht-nach-Hause kommen weder absichtlich noch freiwillig geschehen ist, sondern durch äußeren und sogar gesetzwidrigen Zwang zustande kam. Kaum jemand wird Verständnis dafür zeigen, dass die Leiden Ihrer Tochter nun auch noch durch Sanktionen von Ihrer Seite vertieft werden.

Kaum jemand – mit Ausnahme möglicherweise unseres juristisch versierten Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, der gerade wieder durch erneute skandalöse Behauptungen Schlagzeilen macht. Eine ungeheuerliche Unterstellung? Das wäre es, wenn es nicht eine erschreckende Parallele gäbe. Zitat aus Wikipedia: „Seit 1991 war er [Maaßen] Mitarbeiter im Bundesinnenministerium, unter anderem als Referatsleiter für Ausländerrecht (ab 2001). In dieser Funktion musste er unter Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) im Herbst 2002 in einem Rechtsgutachten die Frage untersuchen, ob der im US-Gefangenenlager Guantánamo festgehaltene Murat Kurnaz nach Deutschland zurückzuholen sei oder ob man seine Einreise verweigern solle. Maaßen vertrat die Auffassung, Kurnaz’ unbegrenztes Aufenthaltsrecht in Deutschland sei verfallen, da dieser mehr als sechs Monate außer Landes gewesen sei und sich nicht bei den zuständigen Behörden gemeldet habe. Kurnaz war bereits länger als sechs Monate in Guantánamo festgehalten worden.“ Trotz breiter Kritik stand Maaßen weiterhin zu seiner Einschätzung.

Ich bin zwar kein Jurist, und schon gar kein promovierter wie Herr Dr. Maaßen – aber vom Unterschied zwischen dem Buchstaben und dem Geist eines Gesetzes kenne ich schon. Die zugrundliegende gesetzliche Regelung wurde hier sicherlich korrekt zitiert – aber der komplette Kontext ausgeblendet (man könnte auch, sei er nicht ohnehin allgemein bekannt gewesen, sagen: unterdrückt). Ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie man selbst mit einer Wahrheit täuschen kann.


Maaßens Lust der Täuschung


2017 behauptete er – diesmal nicht auf der Basis der Wahrheit – auf eine parlamentarische Anfrage hin, „obwohl vor dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche im Umfeld des islamistischen Attentäters Anis Amri mit Wissen Maaßens ein V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz platziert war“, dem sei nicht so gewesen. (Zitat aus Wikipedia)

Bereits zuvor hatte er sein Verständnis von Pressefreiheit offenbart (die ja nun eben in der von ihm vorgeblich geschützten Verfassung garantiert ist), indem er 2015 Strafanzeige gegen zwei Blogger wegen Landesverrats stellte – und dann behauptete, er habe nicht gewusst, dass es sich um Journalisten handele.

Es gab verschiedene Treffen mit der Spitze der AfD (die zugestanden und dadurch relativiert wurden, er habe sich mit Vertretern aller Parteien getroffen); die Autorin Franziska Schreiber behauptet in ihrem Buch über diese Partei allerdings, dabei sei es auch um eine Beratung gegangen, wie die Partei eine Überwachung durch seine Dienststelle vermeiden könne (was bestritten wurde).

Unvergessen ist auch Maaßens Auftritt vor dem NSA-Untersuchungsausschuss, wo er ohne Nennung von Beweisen und Quellen behauptete, der Whisteblower Edward Snowden (in seinen Augen ein „Verräter“) könne ein Agent des russischen Geheimdienstes sein. Täuschung auf hohem, wenn auch durchsichtigem Niveau. Seiner Position wegen könnte das mancher für glaubhaft halten. Klar, der Papst könnte auch ein heimlicher Satanist sein und DOCMA das zentrale Organ einer Weltverschwörung der Illuminaten, das in seinen herunterladbaren Arbeitsmaterialien steganographisch verschlüsselte Anweisungen zum Sturz aller Regierungen dieser Welt verbreitet. Es gibt wenig, das theoretisch nicht der Fall sein könnte. Snowden konterte denn auch kühl und logisch unangreifbar: „Ob Maaßen Agent des SVR oder FSB ist, kann derzeit nicht belegt werden.“

Solche Lust der Täuschung ist für Maaßen offensichtlich nicht nur ein politisches Instrument, sondern sie bereitet ihm auch persönlich innige Freude: „Mir hat es richtig Spaß gemacht. Zwei Jahre habe ich mich darauf gefreut. Heute war es so weit. Es hat sich gelohnt.“ Ein seltsames Verständnis von Sich-gelohnt-haben, nachdem die Äußerung überwiegend mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen wurde.

Und nun also als Spitze von Täuschung und Verunsicherung der Bevölkerung Maaßens Äußerungen in einem Interview in – ausgerechnet – der Bild-Zeitung zu den Ereignissen in Chemnitz.

„Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz werden von mir geteilt.“ Auch noch grammatisch falsch. Dem Verfassungsschutz lägen „keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben“. Ein Video, das eine solche Hetzjagd zeigt, kommentierte er: „Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist … Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.“ So gut, dass er sie benennen konnte, waren diese guten Gründe allerdings dann doch nicht. Und vorsichtig kann man eine solche grundlose Unterstellung durch einen Geheimdienstchef auch nicht gerade nennen. Zum Beispiel, weil die Staatsanwaltschaft gar nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags ermittelt. Ein Unterschied, den ein Jurist sicherlich kennt, so dass die falsche Wortwahl abermals ein Indiz für die Lust der Täuschung ist.

Als ich die Nachricht über Maaßens Behauptungen zum ersten Mal hörte, war ich zwar sehr skeptisch, hielt das aber auch nicht für völlig ausgeschlossen, zumal er als Chef des Inlandsgeheimdienstes ja durchaus über Quellen verfügen könnte, die seine Aussagen stützen. Was mit Bildern, stehenden wie bewegten, alles gemacht werden kann, wissen wir als Bildbearbeitungsprofis schließlich sehr gut. Also linke Hetze?

Pustekuchen! Wie bereits im Fall Snowden stellt Maaßen vage Behauptungen darüber auf, was sein könnte: Er teilt eine Skepsis, ihm lägen keine belastbaren Informationen und Belege vor, es gäbe gute Gründe … Alles formal korrekt – und inhaltlich hohl. Er liefert keinen einzigen Beweis für seine Aussagen. Die Skepsis gegenüber diesem Verfassungsschutzpräsidenten wird auch von mir geteilt. Mir liegen keine belastbaren Informationen darüber vor, dass er die AfD-Spitze nicht beraten hat. Und nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit vom Versagen des Verfassungsschutzes gegenüber Rechtsextremen abzulenken. Wobei „Versagen“ bedeuten würde, dass man es versucht hätte. Die Ergebnisse der NSU-Untersuchungsausschüsse erlauben Zweifel daran.

Immerhin ist die AfD – verständlicherweise – die einzige Partei, die seine neuen Aussagen begrüßt hat. Jemandem, der unsere Verfassung schützt, sollte das zu denken geben. Na gut, der Innenminster steht auch noch hinter ihm. Zwei Unterstützer, über die nicht jeder glücklich wäre.

Wie es wirklich war – zumindest dem aktuellen Stand zufolge – lässt sich ausführlich beim ARD-Faktenfinder nachlesen. Nichts spricht demnach dagegen, dass die Videoaufnahmen authentisch waren, aber alles dafür. Offenbar geht es auch hierzulande nicht mehr ohne die Vierte Gewalt, die Presse, und ihre Bemühungen, Aussagen von offiziellen Stellen mit der recherchierten Wahrheit zu konfrontieren. So wie die stetigen Lügen von Trump in den USA eine solche Instanz nötig machen, sind es hierzulande Spitzenbeamte wie Maaßen, die ähnliche Maßnahmen erfordern.

Würde es sich um einen VW-Manager handeln, wäre eine solche Lust der Täuschung schon bedenklich genug. Dass in seinen Händen jedoch der Schutz unserer Verfassung liegt, macht mir Angst. Was brauchen wir noch rechte Netzwerke, die Fake News verbreiten, wenn der, der eigentlich ihre Umtriebe bekämpfen soll, öffentlich ihre Täuschungen durch Verbreitung von Gerüchten verharmlost?

 Lust der Täuschung
Lust der Täuschung in Kunst und Politik: Porträt Hans-Georg Maaßen / Foto: Wikimedia/Bundesministerium des Innern/Sandy Thieme – Grafik: Doc Baumann
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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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