Landschaft / Landscape / Landschap
Warum spricht der Engländer eigentlich von „landscape orientation“, wenn er ein Querformat wählt? Auch wenn es vielleicht nicht extrem populär ist, widme ich mich heute einem Thema aus dem Kreuzungsbereich von Begriffs- und Kunstgeschichte.
Meine Inspiration war eine Fußnote in Robert Macfarlanes The Old Ways: A Journey on Foot, das ich gerade lese (und von dem auch eine deutsche Übersetzung erhältlich ist). In der Fußnote geht es um den Begriff landscape und wie er Eingang in die englische Sprache fand.
Landscape und das deutsche Landschaft sind sich ja sehr ähnlich; daher hätte ich darauf getippt, dass beide Worte denselben gemeingermanischen Ursprung haben und das englische Wort der Hälfte des englischen Vokabular angehört, die die Angeln und Sachsen im 5. Jahrhundert auf die Insel gebracht haben. Die andere Hälfte entstammt dem Französisch der Normannen, die ab dem 11. Jahrhundert die Oberschicht Englands stellten.
Für solche Entsprechungen zwischen Englisch und Deutsch findet man unzählige Beispiele wie house/Haus, field/Feld, door/Tür und so weiter. Manchmal gibt es lautliche Entsprechungen, während sich die Bedeutung auseinander entwickelt hat, etwa beim englischen knight (Ritter), der dem deutschen Knecht entspricht. Andere Fälle sind kurios, so wie der englische belfry (Glockenturm), der denselben Ursprung wie der deutsche Bergfried (der Hauptturm einer Burg) hat, nämlich das mittelhochdeutsche berfrit (Belagerungsturm). Der belfry hat ebensowenig etwas mit bell (Glocke) zu tun wie der Bergfried mit Berg oder Frieden; die heutigen Wortformen sind die Folge volksetymologischer Umdeutungen. (Der berfrit ist jünger als die angelsächsische Migration und kam also nicht auf diesem Weg nach England, sondern vermittelt über das Altfranzösische, das das germanische Wort übernommen hatte.)
Auf landscape trifft das nicht zu, denn dieses Wort taucht erstmals 1598 in der englischen Sprache auf, und das zunächst nicht in der Bedeutung, die Landschaft im Deutschen hat. Im 16. Jahrhundert fand die englische Oberschicht großen Gefallen an der niederländischen Landschaftsmalerei, für die Namen wie Joachim Patinier, Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel der Ältere standen. Brueghels Landschaft mit Fall des Ikarus von 1558 hatte ich in anderem Zusammenhang bereits in DOCMA 95 behandelt: Der im Meer versinkende Ikarus ist in eine Bildecke verbannt und wird leicht übersehen; das Gemälde zeigt vor allem eine prächtige Fantasielandschaft.
Im Zuge der Begeisterung für die holländischen Landschaftsmaler hatte man auch das niederländische Wort landschap aufgegriffen, und es fand als Lehnwort Eingang in die englische Sprache. 1598 wurde es, wie erwähnt, erstmals in der anglisierten Form landscape verwendet. Mit landschap wie landscape war aber zunächst keine Landschaft als solche gemeint, sondern ein Landschaftsbild. Das macht auch verständlich, weshalb Quer- und Hochformat (oder auch die entsprechende Ausrichtung einer Kamera) als landscape orientation beziehungsweise portrait orientation bezeichnet werden, auch wenn es gar nicht um Landschaften oder Porträts geht – die landscape orientation ist die typische Ausrichtung eines Landschaftsbildes. Über landscape gardening und landscape architecture übertrug sich der Begriff langsam vom Bild auf sein Motiv, denn wer Gemälde mit Darstellungen grandioser Landschaften besaß, wollte Vergleichbares auch in der Realität auf seinem Grundbesitz verwirklichen. So entstand im 18. Jahrhundert der englische Landschaftsgarten und die Bedeutung von landscape näherte sich der des deutschen Landschaft an. Dennoch ist mit landscape bis heute mehr die künstlich gestaltete als (wie im Deutschen) die natürliche Landschaft gemeint.
Allerdings hatte Landschaft auch im Deutschen einst eine ganz andere Bedeutung. Im 9. Jahrhundert stand das althochdeutsche lantscaf noch für die Gebräuche und sozialen Normen in einem Land, nicht für das Land selbst, und es ging deshalb stets um die Verhältnisse in besiedelten Gebieten. Erst später wurde aus der Bezeichnung für soziale Normen ein Wort für das Land, in dem diese Normen gelten, und es konnte am Ende auch für eine nicht vom Menschen geprägte Naturlandschaft verwendet werden.