Bis zum 5. März läuft eine Online-Auktion von Christie’s in New York, bei der erstmals mit KI-Hilfe entstandene Werke ersteigert werden können. Tausende Künstler laufen dagegen – aussichtslos – Sturm, aber haben die angebotenen Werke überhaupt irgendeine künstlerische Relevanz?

Wer mitsteigern und KI-Kunst erwerben will (überwiegend sind es NFTs, also rein virtuelle Werke), sollte schon über eine gut fünfstellige Summe disponiblen Einkommens verfügen, weshalb die Auktion für manche unserer Leser uninteressant sein dürfte, aber den protestierenden Künstlern geht es ja ohnehin um das Prinzip. „Cancel the Christie’s AI Art Auction“, fordern Nicole Sales Giles und Sebastian Sanchez, und mehr als 6000 Gleichgesinnte haben ihren offenen Brief bislang unterschrieben.
Ändern tut das natürlich nichts, und die Reaktionen in den Medien fielen bislang unentschieden aus. Der erhobene Vorwurf, die KI-Modelle seien mit ungefragt eingesammeltem, urheberrechtlich geschütztem Material trainiert worden und ihre Bildproduktion würde Künstler daher um den Lohn ihrer Kreativität bringen, kann so pauschal nicht aufrechterhalten werden. Die Künstler, die ihre mit KI-Unterstützung entstandenen Werke bei Christie’s anbieten, haben sich überwiegend nicht einfach vorhandener KI-Systeme bedient, sondern eigene Modelle entwickelt und selbst trainiert; Christie’s spricht deshalb auch von Augmented statt von Artificial Intelligence. Das KI-Modell, das Refik Anadols Machine Hallucinations – ISS Dreams generiert hat, wurde beispielsweise mit Fotos der Erdoberfläche trainiert, die von der ISS und diversen Satelliten aufgenommen worden sind – das sind keine Kunstwerke und die Bilder sind zudem wie alle NASA-Fotos gemeinfrei.
Man könnte auch einwenden, dass der Cancel-Aufruf vom mangelnden Selbstvertrauen der protestierenden Künstler zeugt. Haben die Werke der Augmented Intelligence denn überhaupt irgendeine künstlerische Relevanz? Wird Christie’s Auktion als Wendepunkt in die Kunstgeschichte eingehen, oder werden die Werke schon in wenigen Jahren vergessen sein, so wie es ja den allermeisten als NFT vermarkteten Bildern ergangen ist? Refik Anadols Bilder finde ich belanglos-dekorativ, Claire Silvers daughter ist typischer KI-Kitsch und die Bilder von Holly Herndon und Mat Dryhurst sind vor allem putzig.
Man weiß ja nie, wie der Kunstmarkt reagiert, aber ich finde den weit überwiegenden Teil der Werke unerheblich und kann auch nur davon abraten, auf diese KI-Kunst als Geldanlage zu setzen.
Wobei es eine Ausnahme gibt: Christie’s bietet auch eine Zeichnung aus dem Jahre 1987 an, die Harold Cohens AARON produziert hat. Der 2016 verstorbene Cohen hatte seit den 70er Jahren und bis zu seinem Tod an einem Kunst-Expertensystem gearbeitet und es immer weiterentwickelt; dessen späteren Versionen konnten die Bilder dann auch selbst kolorieren. DOCMA-Leser werden sich an meinen Artikel „Schön … aber ist das auch Kunst?“ in DOCMA 105 erinnern, in dem ich ausführlich auf Harold Cohen und AARON eingegangen war. Mit den heute verbreiteten Systemen der generativen KI hatte AARON schon deshalb wenig zu tun, weil es auf der symbolischen KI des vergangenen Jahrhunderts beruhte, nicht auf den neuronalen Netzen, die diese abgelöst haben. Vor allem aber muss man das AARON-Projekt wohl als Reflexion Harold Cohens über den (also eigentlich seinen) künstlerischen Prozess ansehen, die sich der KI in ihrer damals üblichen Form als Medium bedient hat. AARONs Zeichnung hat, warum auch immer, einen vergleichsweise niedrigen Schätzwert; dabei ist ausgeschlossen, dass diese KI jemals weiterentwickelt oder dessen letzte Version noch weitere Bilder generieren wird, wohingegen sich nach einer neuen, verbesserten Version von Midjourney oder Stable Diffusion erfahrungsgemäß niemand mehr für die Erzeugnisse ihrer Vorgänger interessiert.
Mein Interesse an der KI-Kunst rührt von meinem professionellen Interesse an der KI her, nicht von ihrem künstlerischen Wert. Viel inspirierender als die in New York gehandelten NFTs fand ich jüngst die Skulpturen im Bucerius Kunst Forum. Dessen neue, von Katharina Neuburger und Renate Wiehager kuratierte Ausstellung In Her Hands – Bildhauerinnen des Surrealismus, die noch bis zum 1. Juni 2025 zu sehen ist, zeigt Werke von Sonja Ferlov Mancoba (1911–1984), Maria Martins (1894–1973) und Isabelle Waldberg (1911–1990).
Man möchte die Skulpturen anfassen, darf es aber natürlich nicht, weshalb die Kuratorinnen eine „Materialbank“ angelegt haben, damit man den Ton, das Holz, die Bronze, den Gips und den Speckstein auch mit den Fingern erfahren kann.
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„werden die Werke schon in wenigen Jahren vergessen sein“
Mit Sicherheit, aber das gilt auf für die Werke der protestierenden Künstler. Auf die Frage, ist das Kunst oder kann das weg? fällt mir sehr oft nur die Antwort ein: beides.
Das war schon immer so. Kunst ist eine Pyramide, unten sehr breit und mit einer schmalen Spitze. Im Laufe der Zeit versinkt die Basis im Sand der Vergessenheit, bis nur noch die Spitze sichtbar bleibt.
Klar, die allermeisten Künstler sind von vornherein nur einer Minderheit bekannt, und auch viele wenigstens kurzzeitig Prominente versinken schnell wieder in der Masse. Aber hier geht es immerhin um eine Auktion bei Christie’s, und wenn die Schätzpreise auch nur im bis zu fünfstelligen Bereich liegen, gehe ich davon aus, dass prospektive Käufer in den Werken, für die sie mitbieten, auch eine Geldanlage sehen. Was wiederum bedeutet, dass sie mit dem kommenden oder anhaltenden Ruhm ihrer Schöpfer rechnen. Aber vielleicht ist die Blase ja bereits geplatzt, denn bislang scheint das Interesse nicht groß zu sein, auch wenn immerhin 150.000 Dollar für Refik Anadols „Machine Hallucinations – ISS Dreams“ geboten wurden. Aber die Auktion läuft ja noch bis Mittwoch – schau’n wir mal.
Hallo Herr Hußmann
Nicole Sales Giles und Sebastian Sanchez sind keine Künstler, sondern Mitarbeiter bei Christie’s. Und an sie ist das Protestschreiben gerichtet.
Sonnige Grüße
EitschPii