Kann man auf Apples Software setzen?
Walt Mossberg, der Apples Geschichte über viele Jahre wohlwollend kommentiert hatte, früher beim Wall Street Journal und jetzt bei re/code und The Verge, und den Steve Jobs einst „unseren Freund“ nannte, äußerte sich jüngst kritisch über die abnehmende Qualität von Apples Anwendungssoftware. Aber ist das eine neue Entwicklung? Ich rate schon seit langem davon ab, bei kritischen Projekten auf Apples Software zu setzen.
Wohlgemerkt: Ich bin in der Wolle gefärbter Mac-Fan, arbeite seit 1987 mit dem Macintosh und besitze natürlich auch ein iPhone, einen iPod, und ein iPad. Aber meine Apple-Vorliebe betrifft die Hardware und das Betriebssystem. Wenn es dagegen um Apples Anwendungssoftware geht, bin ich ein gebranntes Kind.
Vor knapp 30 Jahren, als ich noch als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz arbeitete, entwickelte ich KI-Systeme in Allegro Common LISP, einer Entwicklungsumgebung, die später von Apple aufgekauft wurde. Und damit begannen die Probleme, nämlich neue Versionen mit inkompatiblen Neuerungen, die erhebliche Anpassungen erfordert hätten. Ein Student, dessen Diplomarbeit ich mit betreut hatte, hatte kaum die Uni mit seinem Diplom verlassen, als die von ihm entwickelte Software deshalb komplett umgeschrieben werden musste – oder vielmehr hätte umgeschrieben werden müssen, denn der ehemalige Student stand dafür natürlich nicht mehr zur Verfügung. Aber nicht lange danach spielte es sowieso keine Rolle mehr, weil Apple sein LISP-Entwicklungssystem abstieß, das daraufhin einen langsamen Tod starb.
Später, als Technischer Leiter der Abteilung „Digitale Medien“ im MACup Verlag, entwickelte ich auf Basis des Apple Media Tool (AMT) eine interaktive Oberfläche und mit HyperCard das zugehörige Redaktionssystem für die ComputerFoto-CD – die ComputerFoto, die Älteren erinnern sich vielleicht, war die erste Fotozeitschrift, die sich ausschließlich der Digitalfotografie widmete. Aber kaum war ich fertig, verkündete Steve Jobs das Ende des Apple Media Tool. In diesem Fall hatte ich Glück: Die belgischen Entwickler des AMT machten sich selbstständig und brachten mit iShell einen noch sehr viel mächtigeren Nachfolger auf den Markt, den ich dann für die zweite Version der ComputerFoto-CD nutzte.
Andere Anwendungen, die Apple erst vernachlässigte und dann sterben ließ, waren HyperCard, QuickTime-VR Studio, ClarisWorks und diverse andere Claris-Anwendungen – die Periode, in der Apple die Anwendungsentwicklung dem Tochterunternehmen Claris anvertraut hatte, war insgesamt eine gute Zeit, aber Apple holte die Anwendungen später heim nach Cupertino, und das war für sie der Todeskuss.
Fotografen werden sich daran erinnern, wie Apple 2005 mit der Workflow-Software Aperture speziell diese Kundschaft gewinnen wollte, aber vor über einem Jahr stellte Apple die Weiterentwicklung ein und ersetzte Aperture durch Fotos, eine einfachere Anwendung mit reduziertem Funktionsumfang, die sich offensichtlich nicht an professionelle Fotografen richtet.
Beim Thema Videoschnitt waren Profis wie auch Amateure und Gelegenheits-Videofilmer betroffen: Erst ersetzte Apple das beliebte und verbreitete iMovie durch eine gleichnamige, aber inkompatible Software mit geringerem Funktionsumfang und völlig anderem Konzept, dann machten sie dasselbe mit der professionellen Schnittsoftware FinalCut Pro.
Zu dieser Zeit hatte ich mich längst entschlossen, keine Anwendungssoftware von Apple mehr zu nutzen. Allerdings setzte ich leichtsinnigerweise auf Apples Time Machine als Backup-Software. Time Machine ist eine feine Sache, wenn es darum geht, eine gestern oder vor einer Woche gesicherte Version einer Datei wiederherzustellen, aber in den zwei Fällen, in denen ich wirklich auf meine Backups angewiesen war, hat mich Time Machine im Stich gelassen. Beispielsweise hatte die Software große Datenbankdateien, die an einer Stelle beschädigt waren, monatelang bei den Backups übergangen – die Kopierversuche scheiterten, was Time Machine aber nicht meldete. Als ich das Problem bemerkte, war es zu spät. Ich verwende jetzt eine Software, die mich auf solche Probleme aufmerksam macht.
Manche Ärgernisse mit Apples Anwendungssoftware lassen sich nicht so einfach beheben. iTunes, einst eine schlanke und elegante Software zur Verwaltung und zum Abspielen von Musik, wuchsen immer mehr Aufgaben zu, etwa dem Datenaustausch mit Apples iOS-Geräten, die sie mehr schlecht als recht erledigt. Und wenn es darum geht, mit meiner Musiksammlung zu arbeiten, sehne ich mich nach den alten Versionen zurück. Auch um Fotos kommt man nicht herum, denn bei jeder neuen Kamera, die ich anschließe, startet ungefragt diese für mich nutzlose Anwendung, der ich dann erst einmal beibringen muss, dass sie auch für diese Kamera nicht zuständig ist.
Manche hoffen ja darauf, dass man in Cupertino ein Einsehen hat und sich neben Produkten wie der Apple Watch und dem geplanten Auto künftig auch der Anwendungssoftware mit mehr Energie widmet. Ich habe da meine Zweifel. Ich hadere ja längst nicht mehr nur mit den Anwendungen, sondern zunehmend auch mit dem Betriebssystem. Aber das ist ein anderes Thema für einen anderen Tag.
PS: Eines hat Apple doch endlich richtig gemacht, auch wenn es lange genug gedauert hat: Die neueste Generation der iMacs mit 5K-Retina-Display und der Mac Pro (Late 2013) können dazu kompatible Monitore jetzt auch mit 10 statt 8 Bit pro RGB-Kanal ansteuern. In den Systeminformationen muss man nach dem Eintrag „30-Bit-Farbe (ARGB2101010)“ suchen, um sicherzustellen, dass das eigene Modell zu dieser Avantgarde zählt. Natürlich ist das kein großes Ding, denn Windows-Anwender erfreuen sich schon lange an dieser Option. Wozu sie gut ist und was Sie in Photoshop tun müssen, um sie zu aktivieren, verrate ich in der DOCMA 69, die Sie jetzt an jedem guten Kiosk finden.
Geplante Obsoleszenz…
Ich kann das Ganze leider nur unterschreiben! Jede Claris-Software einschließlich Bento, Claris Draw und Claris Works, ist gestorben worden, dazu kamen MacDraw, HyperCard und viele andere Apple-Programme, die ich verwendet habe. Ich hüte mich deshalb ebenfalls schon lange, Apple-Software auf meinem Mac für Wichtiges zu verwenden.
Und meine in Allegro Common Lisp geschriebene grafische Programmierumgebung GLUE, die ich für meine Doktorarbeit entwickelt hatte (Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre), hat auch nicht lange überlebt (nur ein in Visual Basic geschriebener „Ableger“ — der läuft vermutlich heute noch)… Der Artikelanfang zum Thema „ACL“ hat mich jedenfalls nochmal richtig „berührt“ — es ist also leider auch anderen so ergangen.
Viele Grüße, Gerd Waloszek