Jannike Stelling: „Schlechte Aussichten“
Manche Bilder sollen den Betrachter überwältigen, andere erzielen ihre Wirkung auf subtilere Art. So wie Jannike Stellings Fotos aus ihrer Serie „Schlechte Aussichten“, von denen ich eine Auswahl in DOCMA 102 vorstelle.
Mir ist zwar keine Statistik bekannt, mit der ich meinen Eindruck untermauern könnte, aber es kommt mir so vor, als würden Künstler heutzutage weit öfter von der Dystopie als von der Utopie inspiriert. Vom Fortschrittsglauben der 50er, 60er und 70er Jahre scheint wenig übrig geblieben zu sein. In den 50ern erwartete man sich bessere Lebensverhältnisse und in den 60ern und 70ern darüber hinaus mehr Liberalität, wenn nicht überhaupt eine gerechtere und friedlichere Welt. Mittlerweile sorgen wir uns aber zunehmend, ob wir das bisher Erreichte überhaupt halten können. In unserer deutschen Idylle geht es den meisten zwar gut, aber der Klimawandel, die Corona-Pandemie, die Verbreitung autoritärer Regimes selbst in Europa und nun auch noch die näher rückende Front eines Kriegs vor unserer Haustür wecken Zweifel, ob es immer so weiter gehen wird. Davon, dass es den Kindern einmal besser gehen soll, ist schon kaum noch die Rede.
Die Bilder aus Jannike Stellings Serie „Schlechte Aussichten“ rufen die Vorstellung möglicher Kriege und Katastrophen wach, obwohl sie nur die Bemühungen zeigen, uns eben davor zu schützen. Wir sehen Bunker, Lebensmittelvorräte und die Jodtabletten, mit denen man sich im Falle eines Atomschlags vor radioaktiven Jod-Isotopen schützen soll, die militärische Übungsstadt Schnöggersburg, wo die Bundeswehr den Häuserkampf trainiert – aber auch eine Straßenszene aus Berlin-Mitte, in der die Stadt ebenso fake wie die Kulissen von Schnöggersburg wirkt.
Der Stil ihrer Fotos ist dokumentarisch und die Bildbearbeitung bleibt minimal – beim Betrachten der Bilder fällt auf, dass sie alle dieselben Farben – Grau, Cyan, Grün und Rotbraun – enthalten, was ihnen auch eine formale Klammer gibt. Plakative Elemente fehlen hier; die beklemmende Wirkung der Serie entsteht im Kopf des Betrachters, der sich eine Situation vorstellt, in der wir auf Bunker und Vorräte angewiesen sein könnten.
Mehr dazu in der aktuellen Ausgabe DOCMA 102 und auf der Website der Fotografin.